Ein Eis-Gedicht
„Eis“ (Jessica Dahlke, D 2014)
Kann man mit Film ein Gedicht machen? Die junge Kieler Filmemacherin Jessica Dahlke versucht es. Sie selbst, die vor allem als Kamerafrau erste Erfahrungen sammelte, als PR- und Netzaktivistin seit einigen Monaten für eine eigenwillige junge Filmszene in Schleswig-Holstein wirbt und sie etabliert (www.filmszene-sh.de), bezeichnet ihren 5-minütigen Kurzfilm „Eis“ als „Kamera-Übung“.
Nicht viel mehr, aber vor allem auch nicht viel weniger ist dieses filmische Gedicht, das sich gewöhnlichen (Kurz-) Spielfilm-Gesetzen und -Dramaturgien verweigert, dafür in bewegend bewegten Bildern schwelgt, etwas wie Poesie in ihnen gestaltet und dabei das etwas übersteuerte Pathos nicht scheut, das einst dem Stummfilm seine Kraft gab.
Schwelgen in stummfilmhaften Schneebildern: Still aus dem Film (Foto: Jessica Dahlke)
Ein Stummfilm (mit Musik) auch dies: Aus weit aufgerissenen, deutlich geschminkten Augen blickt die Protagonistin (Sigrun Benesch) zu Anfang, geschnitten auf die Klavierakkorde der nicht minder pathetischen Musik, auf ein Fenster mit Eisblumen. Wir ahnen, wenn der Schnee auf ihr schwarzes Haar fällt, es ist das Eis in ihrem erkalteten Herzen. Bald fällt Schnee, bald irrt sie durch eine Großstadt mit ihren eisern-eisigen Fassaden, als Schattenriss ihrer selbst durch eine kühle Unterführung, bald fließt noch letztes nicht Gefrorenes als Träne aus ihrem Auge. Bald sieht sie den, der sie retten könnte (Ingo Rotkowsky), der aber selbst von der Brücke springt …
Wer ist er, der ihr noch zwischen Büchern zulächelt? Ein nicht Retter, sondern Verfolger, wie der ostentativ in einem Bücherregal gezeigte Krimititel „Der Stalker“ von Tania Carver, nahelegt. Oder ist Carver gleich „Craving“? Und warum muss der Spiegel, in dem sich die Protagonistin ohnehin schon verzerrt verzeichnet sieht – wir haben verstanden – auch noch zersplittern? Muss nochmal im Zeitraffer zurückgespult werden, damit wir begreifen, dass Zeit nur ein Augenblick ist aus großen Stummfilmaugen?
Immerhin: Ohne diese allzu deutlichen Bildhinweise wären wir als Zuschauer womöglich nicht auf sie gekommen. Und warum sollte und dürfte man nicht überzeichnen? Ist vielleicht nur das Auge des alternden Rezensenten und ebenso Dichters solcherlei zu eisig klar dafür? Jessica Dahlke schaut augenoffen auch dagegen an, gegen Seh- und Fühl-Gewohnheiten. Und wenn das nur eine Übung sein sollte – Chapeau! Schon mal als Bilderreimen sehr gelungen! (jm)
„Eis“, D 2014, 5 Min., Buch, Regie: Jessica Dahlke, Darsteller: Sigrun Benesch, Ingo Rotkowsky, Musik: Pierre Schmalfeldt, Ingo Rotkowsky. Infos zum Film und zum Dreh: www.die-dahlke.de/eis