Filmförderung nicht bloß verwaltet, sondern gelebt

Interview mit Bernd-Günther Nahm über 25 Jahre Filmförderung in Schleswig-Holstein

25 Jahre lang war Bernd-Günther Nahm als Leiter der Filmwerkstatt Kiel und als Geschäftsführer der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein die personifizierte Filmförderung im Lande. „BG“ (englisch ausgesprochen) kannte jeder, der hier mit Film zu tun hatte, und „BG“ kannte sehr viele des Metiers in ganz Deutschland und darüber hinaus. Seine Sympathie für die Filmschaffenden beruhte auf Gegenseitigkeit. Und so nahm es nicht wunder, dass zu seiner Verabschiedung von der Filmwerkstatt im Dezember 2013 eine große Sause in der Kieler Pumpe stattfand. Doch Bernd-Günther Nahm ist nicht aus der Welt. Und so nutzte infomedia-sh.de nun die Gelegenheit, mit etwas Abstand zum Eintritt in den vermeintlichen „Ruhestand“ noch einmal mit „BG“ über die Filmförderung zu sprechen.
infomedia-sh.de: Bernd-Günther, wie geht es dir denn jetzt so als „Pensionär“?
Bernd-Günther Nahm: Unter diesen Begriff kann ich für mich noch nichts subsumieren. Das ist nichts, was mich zur Zeit beschäftigt oder was ich fühle. Natürlich gibt es jetzt einen Unterschied, den ich auch genieße. Vorher habe ich eine Arbeit gemacht, die ich gern gemacht habe, aber die natürlich auch eine kontinuierliche Verpflichtung war. Und jetzt mach’ ich in dem Bereich noch vieles andere. Da sind noch nicht so richtig viele Lücken aufgetreten. Meine Arbeit ist jetzt mehr projektbezogen. Ich muss eben nicht für jeden Tag planen und ein Programm haben. Und das find’ ich auch sehr angenehm.
Und was machst du zum Beispiel?
Ich hab’ damit schon im letzten Jahr angefangen, hatte das ja früher mal gemacht. Ich habe 10 Jahre lang an der Muthesius Kunsthochschule „Videoproduktionen“ unterrichtet. Daran habe ich angeknüpft und hab’ im letzten Jahr schon an der Hochschule in Darmstadt einen längeren Kurs „Medienmanagement“, dann an der Kunsthochschule in Saarbrücken einen längeren Kurs zur „Medienproduktion“ gegeben und hab’ das in diesem Sommersemester ziemlich intensiv in Saabrücken fortgesetzt. Zur Zeit habe ich noch einen Kurs hier in Kiel an der CAU bei Christoph Corves in der AG Medien. Da betreue ich die Umsetzung von Kurzfilmprojekten (Reportagen) im Rahmen des Studiums. Was kommen wird und wofür ich von der Fachhochschule Kiel angefragt wurde, die ja auch einen Medienbereich haben, ist, ob ich da in größerem Umfang einsteige. Das werde ich wohl im kommenden Wintersemester machen.
Blicken wir zurück auf die Filmförderung Schleswig-Holstein. Du hast dort ja 25 Jahre „zugebracht“, sie hier im Lande mit aufgebaut. Was war für dich die größte Herausforderung?
Am Anfang war es schon so, dass man in einem Bereich angetreten ist, der sich nicht von alleine vermittelt hat. Der Politik und anderen Entscheidungsträgern klar zu machen, dass Film vielleicht etwas ist wie Oper oder wie ein anderer künstlerischer Bereich in der Kultur und einer Förderung und Unterstützung bedarf, nicht nur finanzieller Art, sondern auch im Sinne der Infrastruktur, das zu kommunizieren, war am Anfang schon schwierig. Da hat auch meine Familie einen sehr großen Einsatz geleistet. Das fing ja gleich so an, dass ich viel unterwegs und daher weg war. Das heißt, du musstest zu irgendwelchen Ereignissen, Empfängen, Veranstaltungen gehen, musstest deine Nase zeigen, musstest dich da einbringen. Ich glaub’, wenn man das alles nicht so gemacht hätte, dann wäre das auch nicht so erfolgreich gewesen.
Dennoch war das am Anfang schwierig. Es gab den Vorläufer, wenn man so will, der ja noch weiter wunderbar existiert: die LAG Film (heute: Landesverband Jugend und Film Schleswig-Holstein). Auf ihrer Ebene war sie schon etabliert. Ulli Ehlers hatte sie mit anderen zu großem Erfolg gebracht. Für dieses kleine Bundesland war das schon ’ne tolle Sache und ist es immer noch. Aber im professionellen Bereich gab es eben nichts. Und die Aktiven waren auch nicht so konzentriert. Es gab die Lübecker, es gab die Kieler. Es gab durchaus Spannungen zwischen einzelnen Landesteilen, wo ich am Anfang dachte, na, ich bin hier nicht geboren, ich bin hier sozusagen nicht zuzuordnen. Aber wenn du dann lange in Kiel arbeitest, bist du halt Kieler und wirst von Lübeckern anders gesehen und umgekehrt. Da etwas auf die Beine zu stellen und die richtigen Leute zu finden, was die Politik, was die Unterstützung angeht, denen klar zu machen, dass das eine sinnvolle Sache ist, das war die große Herausforderung.
Eine andere Herausforderung war sicher, die Filmemacher zu finden und mit denen zusammenzuarbeiten. Da, muss ich sagen, hab’ ich halt Glück gehabt, da hatte ich eine gute Nase, ein glückliches Händchen. Denn dass die Filmförderung hier in Schleswig-Holstein so erfolgreich war, liegt ja nicht daran, dass es die Filmförderung gibt. Sondern den Erfolg haben die Filmschaffenden, die hier tätig waren, ausgemacht – und die Filme, die hier entstanden sind. Da haben wir langfristig gute Leute gefunden und mit denen gut zusammengearbeitet. Das ist ja auch das Positive für mich auf der menschlichen Ebene, dass es diese Beziehungen immer noch gibt. Man kann z.B. so jemanden nennen wie Lars Jessen, der im Moment einer unter den bekannteren der Filmschaffenden ist, der auch noch teilweise hier im Lande lebt. Lars habe ich mit seinem ersten Film kennengelernt und bin heute noch eng und freundschaftlich mit ihm verbunden. Und das ist toll.
Die Filmschaffenden, also die Interessenten aus dem Bereich Produktion, hatten und haben den Anspruch oder die Erwartung, dass sie gefördert werden, und die hiesige Fördersumme war und ist im Vergleich zu dem, was an Förderanträgen kam und kommt, und in Relation zu den Produktionskosten relativ gering. Wie bist du damit umgegangen?
Das ist sicherlich auch eine große Herausforderung. Besonders in so einem Gebilde wie Schleswig-Holstein, wo sich ja fast alle kennen, die in diesem Bereich aktiv sind, ist das manchmal problematisch. Zum einen können Filmemacher zuweilen nicht damit umgehen, dass sie nicht gefördert werden. Ich hab’ da in den 25 Jahren manch Erstaunliches erlebt, wenn ich den Leuten sagen musste, es hat nicht gereicht. Menschen, die ich lange kannte, rasteten aus bis zur persönlichen Verunglimpfung. Ich habe versucht, das persönlich zu kommunizieren, dass wir nicht verwalten … Das war, glaube ich, unser Erfolg, dass wir Filmförderung nicht verwaltet sondern immer gelebt haben, dass wir immer nah an den Produzenten, an den Antragstellern, an den Filmemachern waren. Und dann musst du ihnen sagen, es geht nicht. Und natürlich ist es doppelt schwierig, wenn du mit den Leuten vorher über die Projekte gesprochen und ihnen den ein oder anderen Hinweis gegeben hast. Dann verdichtet sich das manchmal bei den FilmemacherInnen so, dass sie denken, na ja, da ist doch jetzt alles geklärt. Jetzt warten wir nur noch bis das Geld kommt, und dann fangen wir an. Aber das ist ja nicht so. Es gibt ja eine unabhängige Jury, und diese Jury hat entschieden. Die Jury hat es sich nie leicht gemacht. Das war immer eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den einzelnen Projekten. Und natürlich hat die Jury auch manche Enttäuschung verbreitet für Antragsteller, die sich schwer ins Zeug gelegt hatten und nun erfahren, es hat nicht geklappt.
Oft hat es auch nicht geklappt, weil einfach das Geld nicht da war, um mehr Projekte zu fördern. Und es war im Verein und in der Filmförderung grundsätzlich immer eine Diskussion: Streut man breit, gibt man vielen die Chance, dass sie mit einem ersten Werk auf sich aufmerksam machen können? Aber wenn man breit streut, kann man nur wenig geben, was sich natürlich auf das Produkt auswirkt. Du brauchst einfach auch Geld, um einen guten Film zu machen. Die Alternative war, mehr Projekten zu sagen, es reicht nicht, um dann den Projekten, von denen man „tausendprozentig“ überzeugt war, die geforderte Summe zu geben.
Anfangs bekam die Förderung 300.000 DM pro Jahr. Dann wurden – auch von der Politik – Hoffnungen geschürt, und die Kulturelle Filmförderung S.-H. hatte es sich auf die Fahnen geschrieben: „Wir wollen mindestens eine Million.“ Das sollte in drei bis vier Jahren erreicht werden. Später hat sich doch verdichtet, dass das nicht zustande kommt und dass das nur eine Hoffnung war aber keine realistische Annahme.
Neben der Schwierigkeit in diesem Bundesland, das ja nicht zu den reichsten gehört, überhaupt Geld aufzutreiben, und neben der Schwierigkeit, diese Form von Kultur der Politik zu vermitteln, war das dritte Finanzierungsproblem, dass 1989, als wir anfingen, die „Wende“ kam. Lübeck und andere Regionen waren vorher „Zonenrandgebiet“, wie das damals hieß. Da gab es spezielle Bundesförderungen, die auf einmal wegbrachen. Da war das Land plötzlich ganz anders in der Verpflichtung, und gleichzeitig war der „Aufbau Ost“ angesagt. Dass dann, gerade wenn du mit einem neuen Projekt startest, die Chancen nicht so gut sind, angemessen finanziell ausgestattet zu werden, ist klar. Natürlich hatten alle anderen, die schon länger aktiv waren, bessere Chancen, weil sie mehr vorzuweisen hatten.
Wir hatten zeitweise sogar noch weniger Fördergeld als diese 300.000 DM. Unsere Rettung war die ULR (Unabhängige Landesanstalt für Rundfunk und neue Medien). Hut ab vor deren damaligem Direktor Gernot Schumann, der erkannte, dass kultureller Film nicht etwas ist, was keinen interessiert, sondern dass gerade in dem Bereich tolle Filme entstehen. Die ULR war die Rettung. Wenn die nicht gewesen wäre … Zu dem Zeitpunkt hatten wir gerade noch 100.000 DM Fördersumme vom Land.
Das gleiche hat sich auch im Umgang mit den beiden Stützpunkten Kiel und Lübeck gezeigt, nämlich dass man das mit zwei Anlaufstellen auf Dauer gar nicht weiter führen kann. Die Kosten waren zu hoch. Es wurde zum Betrieb dieser beiden Stellen sogar mal auf den Fördertopf zugegriffen. Das ging natürlich nicht. Klar, wir haben es immer wieder versucht und sind politisch angetreten, aber eine Million wie geplant, das haben wir nicht hinbekommen.
Neben der Projektförderung war und ist auch Ziel, strukturell etwas im Lande zu bewegen. Dem steht allerdings entgegen, dass Schleswig-Holstein ein kleines Bundesland ist und eine Randlage hat. Diese Ansprüche konnte die Filmförderung also gar nicht erfüllen. War man sich dessen bewusst oder hat man dennoch Träume gehabt?
Was man in einem pragmatischen Ansatz unter struktureller Förderung auch verstanden hat, ist nicht, dass man überall im Lande Stationen aufbaut und Filmwerkstätten gründet und diese Arbeit übers ganze Land verteilt, sondern dass man wenigstens versucht, im Lande, und das war dann eindeutig Kiel, einen Pool bzw. einen Anlaufpunkt zu haben, an dem Informationen, Geld, Austausch, Kontakte zusammenlaufen, und dass man damit die Situation der Filmschaffenden hier im Lande auch erheblich verbessert. Das hat wirklich geklappt und ist zum Glück beibehalten worden, als die Filmförderung Hamburg mit der schleswig-holsteinischen Förderung zur Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein fusioniert wurde.
Ich will meine vorherige Frage nochmal präzisieren: Ich meinte mit „strukturell“, dass man durch Förderung von einzelnen Projekten die Filmemacher so stärkt, dass sie auf eigene wirtschaftliche Füße kommen und dass sie später selber finanziell unabhängiger produzieren können, meinetwegen bisweilen auch mit Filmförderung, so dass hier – in Anführungsstrichen – eine kleine Filmbranche entsteht. Es gibt natürlich Leute, wie Lars Jessen oder Lars Büchel, die das geschafft haben, aber die Mehrheit kann vom Filmemachen nicht leben.
Das ist sicherlich hier so – aber andernorts nicht anders. Das ist auch immer der Konflikt gewesen, dieser Zwitter zwischen Kunst und Kommerz, dass sich der Film nur etablieren kann, wenn er sich auch auf dem Markt etabliert. Ich habe ja immer wieder versucht zu erklären, dass man schauen muss, dass man das Fernsehen als Co-Produzenten mit ins Boot bekommt, dass man vielleicht international coproduzieren muss, dass man sich einfach auf diesen Markt bewegen muss. Und das umzusetzen, ist uns nur teilweise gelungen. Aber das ist etwas, was die Filmwerkstatt bzw. die Filmförderung im Lande generell nicht bewerkstelligen können.
Dafür gab es auch zu wenig Geld, anders als im Bundesvergleich z.B. in Nordrhein-Westfalen. NRW war ja nicht der beste Standort für Filmförderung und Filmproduktion – allenfalls mit dem WDR und den Privaten ein interessanter Fernsehstandort, aber die anderen Bereiche gab es nicht. NRW hat dann über Jahre zig Millionen investiert, um sich eine Position in der Filmproduktion zu erkämpfen.
… und vieles ist dort misslungen, war letztlich vergeblich.
Der Nachteil bei uns war sicher, dass unser Land keine Filmbranche, keine Filmindustrie hat. Der Vorteil für uns als Förderung war aber, dass wir uns darum auch nicht kümmern mussten. Wir mussten nicht bestehende Firmen durch Förderung am Leben erhalten. Wir konnten uns von Anfang an dem kreativen Potential im Lande zuwenden und haben wirklich eine Autorenförderung gemacht. Und wie wir das gemacht haben, darauf bin ich wirklich stolz. Es ist genau das, was im Augenblick von allen so gehypt wird: Coaching, Mentoring, in Projekte mit reingehen, den Prozess begleiten und nicht nur sagen: Das ist der Antrag, die Jury sagt, du kriegst 20.000, bei der Premiere sehen wir uns wieder. Unsere Vorgehensweise wird heute in der Branche überall angeboten und von institutionellen und kommerziellen Anbietern auch verkauft. Da sind wir sehr früh dabei gewesen. Das war das Plus, was wir unseren Kreativen geben konnten. Wir hatten nicht viel Geld. Aber wir hatten unseren persönlichen Einsatz, die Erfahrung, unser Netzwerk. Das sind auch, wenn man so will, Geld werte Leistungen, die wir als Filmförderung geliefert haben.
(Die Fragen stellte Helmut Schulzeck.)
Vergleiche auch: Gespräch von Jessica Dahlke (www.filmszene-sh.de) mit Bernd-Günther Nahm zur Förderung des Kurzspielfilms „Der kleine Kaiser“ von Oliver Boczek auf Youtube.
Cookie Consent mit Real Cookie Banner