18. Filmfest Schleswig-Holstein 2014

Waren- und Kunstverhältnisse hinterfragt

„Fracht – Grenzen der Freiheit“ (Kolja Lehmann-Murithi, Linn Marx, D 2013)

Auf der Leinwand reihen sich Fotos von Containern, dem Transportmedium der globalisierten Warenwelt, dazwischen lettern Fragen: „Was ist in den Containern drin?“ / „Wer genießt mehr Freiheit, der Mensch oder die Ware?“ / „Welche Passagiere sind blind?“ / „Wovor flüchten Flüchtlinge?“ / „Wer entscheidet, was wir brauchen?“ / „Sind Güter gut?“ / „Kann man Zeit gewinnen oder verlieren?“ … Vor der Leinwand im Kofferformat ein ebensolcher Container, enthaltend – neben dem technischen Performance-Equipment – verschiedene symbolische „Frachten“: „die wertvollste Fracht: sauberes Trinkwasser“ / „die abstrakte Fracht: ein Stück von einem Geldschein“ / „die geheime Fracht: ein Fundstück mit eigener Geschichte“ …
Mit ihrer multimedialen Installation / Skulptur / Performance „Fracht – Grenzen der Freiheit“ sind Kolja Lehmann-Murithi und Linn Marx inzwischen um die halbe Welt gereist, um weitere „Fracht“ in einem Logbuch zu sammeln: Kommentare, Beiträge, Erstaunliches und Erhellendes zu eienm virulenten Thema: Waren wie Menschen sind in der globalisierten Welt beständig in Bewegung – in Migration oder auch Flucht. Der Mensch, dem die Waren zum Leben fehlen, weil selbst elementare Lebensgrundlagen wie Wasser zur bloß kapital-verwertbaren Ware wird, muss aus seiner Heimat fliehen, zuweilen als „blinder Passagier“ in den Containern, die auch die Waren in die und zwischen den Wohlstandfestungen transportieren. Menschlichkeit wird zu einer Frage des Warenverkehrs, wie die aktuelle Abschottungspolitik Europas gegenüber Armutsflüchtlingen zeigt. Überhaupt wird im Kapitalismus alles zur Ware und damit zum Warenverhältnis.
Kolja Lehmann-Murithi und Linn Marx hinterfragen diesen „Warenverkehr“ – ganz unideologisch, gleichwohl mit klarer kritischer Position. Antworten müssen wir als Betrachter selbst geben, und die können auch ganz anders als „politisch“ ausfallen, wie Linn Marx aus dem Logbuch der Containerreise kolportiert. Mancher assoziiert mit den bunten Containertürmen auf den Terminals Lego-Steine aus der Kindheit. Auch das ist „erlaubt“ und erwünscht, denn das Projekt lässt bewusst viele Öffnungen frei, um sich ihm zu nähern.
Gerade das macht seine Stärke jenseits politisch-korrekter Agitprop-Kunstware aus. Wie vielleicht Kunst immer vor allem die richtigen Fragen stellt und uns die Suche nach der Antwort überlässt, dazu anregt. Und so kann man angesichts der in ihrer Einfach- und Direktheit beeindruckenden Performance auch die alte Frage wieder stellen, wie sich Kunst in politisch-gesellschaftliche Diskurse einmischen kann – und muss. (jm)
„Fracht – Grenzen der Freiheit“, D 2013, Performance, Regie: Kolja Lehmann-Murithi, Linn Marx, Kamera, Schnitt: Linn Marx, Ton: Kolja Lehmann-Murithi, Wolfgang Marx, Roger Stein, Musik: Enno Dugnus, Valentin Butt, Web: http://fracht-grenzen-der-freiheit.blogspot.de/, www.facebook.com/Fracht.Grenzen.der.Freiheit
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