18. Filmfest Schleswig-Holstein 2014
Vorhanden, aber nicht überall sichtbar
Workshop 1: „Hat Schleswig-Holstein eine Filmszene?“
Im ersten von zwei Workshops lud Arne Sommer in seiner Funktion als Leiter der Filmwerkstatt Kiel zur Diskussionsrunde mit der Fragestellung „Hat Schleswig-Holstein eine Filmszene?“. Als Gäste geladen waren die gestandenen Dokumentarfilmer Kay Gerdes und Jess Hansen sowie die Filmemacherin und Gründerin des jüngsten Kieler Filmemacher-Stammtisches Jessica Kordouni. Im Publikum befanden sich etliche und wesentliche Protagonisten der im Titel der Veranstaltung in Frage gestellten Filmszene, darunter Filmemacher und Kameramann Claus Oppermann, der stellvertretende Leiter des Studentenwerkes SH Thomas Plöger, Prof. Stephan Sachs, Experimentalfilmer und Leiter des Bereiches Time Based Media an der Muthesius Kunsthochschule, Kameramann Torben Sachert, die Regisseure Christian Mertens und Oliver Boczek sowie Dokumentarfilmregisseur und infomedia-Mitarbeiter Helmut Schulzeck. Die Randbedingungen für eine substantielle Diskussion waren also gegeben. Natürlich lässt eine knappe Stunde Veranstaltungsdauer nur Zeit für eine Bestandsaufnahme und das Setzen von Prioritäten für das regionale Filmschaffen, die im folgenden zusammengefasst werden sollen.
So nennt Jessica Kordouni als maßgeblichen Grund für die Gründung ihres Filmemacher-Stammtisches die Notwendigkeit zum Netzwerken (insbesondere) mit dem technisch qualifizierten Filmpersonal in Kiel und Umgebung. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Spezialisten in Kiel, die aufgrund ihrer Ausbildung oder ihres autodidaktisch erarbeiteten Könnens begehrte Mitstreiter in freien Projekten sind. Die verschiedenen Filmcrews der Stadt an einen Tisch zu bringen, hat sich Kordouni zum Ziel gesetzt. Die vielzitierte digitale Revolution hat dafür Sorge getragen, dass technische Ausrüstung mittlerweile einfacher zu handhaben und günstiger zu beschaffen ist. Waren vor etlichen Jahren die Institutionen wie Universität, die Kulturelle Filmförderung SH e.V. und das Studentenwerk, die technische Ausrüstung zur Verfügung stellen konnten, gleichzeitig kommunikative Knotenpunkte für die Filmschaffenden, so leidet mit der inzwischen geringeren Nachfrage nach Filmausrüstung auch ihre Funktion als Informationsbörsen.
Mit den filmtechnischen Quantensprüngen Zelluloid-Videotechnik-Digitaltechnik kam es laut dem NDR-Cutter und freiem Dokumentarfilmer aus Leidenschaft Kay Gerdes auch zu einem Generationenwechsel bei den Filmemachern. Während 16-mm-Filmer notgedrungen mit dem kostenintensiven Material äußerst sparsam umgehen mussten, konnten die Videofilmer lange draufhalten. Zu lange, wie Gerdes bei Beobachtungen im Offenen Kanal Kiel oft feststellen musste. Da wurde dann stundenlang gefilmtes Material in noch viele längeren Sitzungen montiert. Das fotografische Auge wird so sicherlich nicht auf dem effektivsten Weg geschult. Doch die als Bürgermedium zur freien Meinungsäußerung (in Wort, Schrift und Bild) Mitte der 80er Jahre ins Leben gerufenen Offenen Kanäle sind in Kiel ein wichtiger Spiel- und Lernort für junge Filmemacher und als einzige Institution komplett frei zugänglich.
Zwar gibt es in Schleswig-Holstein keine klassische Filmschule, dafür aber etliche Institutionen, die Medienausbildung anbieten: Die Lernprogramme auf dem „Scheersberg“ wenden sich an Schüler und Jugendliche aus ganz Schleswig-Holstein. Das Studentenwerk SH bietet Studenten und Interessierten nicht nur Ausrüstung, sondern Kurse zu allen Aspekten des Filmemachens, vom Drehbuch über die Inszenierung bis zur praktischen Umsetzung. An der Fachhochschule Kiel kann man eine Ausbildung zum Mediendesigner machen. Die Muthesius Kunsthochschule hat einen Bereich für zeitbasierte Medien, darunter eine Klasse für experimentellen Film.
Die Filmwerkstatt Kiel der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) entstand einst aus der Initiative von Filmemachern u.a., die sich in der Kulturellen Filmförderung SH e.V. zu einem Interessenverband zusammenschlossen, um sich in der freien Filmarbeit gegenseitig zu unterstützen. Die Kulturelle Filmförderung unterhielt auch einen postalisch versendeten Filmbrief, der 2000 auf einen elektronischen Newsletter samt Webseite infomedia-sh.de umgestellt wurde. Über den Umweg Filmwerkstatt und FFHSH wird der Newsletter infomedia-sh.de nun wieder ausschließlich über die Kulturelle Filmförderung SH e.V. getragen.
So diversifiziert der institutionelle Unterbau des Medienschaffens in Kiel und Schleswig-Holstein ist (dazu kommen noch universitäre Angebote an der CAU und Universität zu Lübeck), so unterschiedlich sind die Interessenlagen, Produktionssituationen und Perspektiven der Filmemacher im Land. Kay Gerdes und Jess Hansen stehen stellvertretend für die professionellen Filmschaffenden, die z.B. für den NDR oder assoziierte Produktionsfirmen arbeiten. Darüber hinaus investieren Gerdes und Hansen aber eben auch ihre Freizeit in freie Projekte und tragen damit zum kulturellen Filmschaffen des Landes bei. Dieses Standbein/Spielbein-Modell praktizieren praktisch alle freien Filmemacher, die im Land leben und arbeiten in unterschiedlichen Varianten. Dazu kommen die noch jungen Filmemacher, der Nachwuchs, der sich in ersten Projekten ausprobiert. Entweder mit Blick auf einen Medienberuf, als Teil der schon begonnenen Ausbildung oder schlicht aus Spaß am Filmemachen.
Von einer professionellen Filmszene im Sinne vollberuflichen Filmschaffens kann eigentlich nicht die Rede sein. Sicher aber von einer lebendigen Filmszene, die allerdings sehr heterogen ausgebildet ist und – wie allgemein beklagt wurde – nicht wirklich sichtbar ist. Der Newsletter und die Plattform infomedia-sh.de könne hier Abhilfe schaffen, allerdings müssen die Kommunikationsform verändert oder erweitert werden, um auch moderen Social-Web-Kommunikationskanäle wie Facebook zu bedienen und damit die jüngere Generation besser zu erreichen. Infomedia müsse auch wieder verstärkt das Sprachrohr der Kulturellen Filmförderung e.V. werden, merkte Thomas Plöger an, und auf das regionale Filmschaffen fokussieren.
Arne Sommers abschließende Frage, was die Filmförderung und damit auch die Filmwerkstatt Kiel für die Filmszene in Schleswig-Holstein tun könne, wurde mit einem bunten Strauß an Wünschen beantwortet: Generell liege der Bedarf bei der Nachwuchsförderung weniger in der Technikausbildung als in Ausbildungsprogrammen, die z.B. „die Lücke zwischen dem Scheersberg und der Filmförderung“ schließen. Die Vernetzung und Information von Filmschaffenden könnte über moderne Kommunikationskanäle verbessert werden, die Webseite der Filmwerkstatt sei in dieser Hinsicht verbesserungswürdig und der Einsatz von YouTube empfehlenswert. Außerdem wünschten sich die jungen Filmemacher geförderte Betreuung der Drehbucharbeit und Seminare zur Projektkalkulation.
Der Workshop hat deutlich gemacht, dass es für die verschiedenen Bedürfnisse der Filmemacher und des Nachwuchses Anlaufstellen gibt, das informelle und strukturelle Angebot aber sicher optimiert werden kann. Eine Fortsetzung des Diskurses wäre sicher wünschenswert. (dakro)
(Siehe hierzu auch den Kommentar.)