18. Filmfest Schleswig-Holstein 2014
Schnee von heute
„Friedhelm Erbt“ (Marc Schulz, D 2012)
Zu Dutzenden laufen in den History-Rubriken des TV aus naheliegend immer gleichem, selten auch fernliegenderem Filmmaterial zusammenmontierte Dokus über den 2. Weltkrieg. Gewiss gut, dass so auch einer breiteren Masse von Zuschauern das wohlfeile Vergessen erschwert wird, doch die Erinnerungsware ist hier konfektioniert.
Einen anderen Weg, die Erinnerung zu bewahren, eigentlich erst neu zu entfachen, wählt Marc Schulz in seiner 5-minütigen Mini-Doku „Friedhelm Erbt“. Sein gleichnamiger Protagonist, sein Großvater, ist Jahrgang 1922 und hat den Winterkrieg in Russland von der Belagerung Leningrads bis zur Katastrophe von Stalingrad miterlebt. „Du wirst abgestumpft, du kannst darauf gar nicht gefühlsmäßig reagieren“, erzählt Erbt, wie es ihm mit dem Mut der Verzweiflung gelang, einen schwer verletzten Kameraden aus der Feuerzone, wo „die Russen wie wild schossen“, ins (halbwegs) sichere Hinterland eines Waldes zu retten. „Du musst da jetzt raus, und eine Stimme sagte, wir schützen dich“, erinnert sich Erbt an dieses Ereignis, bei dem er eigentlich doch nur sein eigenes Leben retten wollte.
Kein Heldenmut, kein nachinszeniertes Elend, einfach nur die schlimme, weil gefühllose Realität des Krieges, in der man doch intuitiv weiß, was zu tun ist, wird hier deutlich und bedarf dabei keiner historischen Bebilderung. Schulz und sein Kameramann Lasse Bruhn stellen den 88-Jährigen buchstäblich kühl und verloren in eine weite schleswig-holsteinische Winterlandschaft von heute, lassen ihn am Stock durch diese spazieren. Der Krieg wird in diesem fast schon Idyll so erfahrbar, weil er so extrem fern ist, zeitlich wie räumlich. Eine Studie über die Erinnerung, die im Schnee von heute verblasst und dabei umso eindringlicher vom Gestern in die Gegenwart scheint – und schreckt. (jm)
„Friedhelm Erbt“, D 2012, 5:04 Min., Regie: Marc Schulz, Kamera, Ton: Lasse Bruhn, www.uesofilm.com/filme/friedhelm-erbt/