Nicht Fleisch, doch Fisch

Dass die realen Produktionsbedingungen den Überbau der Kultur bestimmen, wusste schon Karl Marx. Auch wenn dessen Theorien, die ihnen kommunistische Besatzung einst aufoktroyierte, in den baltischen Ländern kaum eine Rolle mehr spielen, sie bleiben wahr. Die lettische Filmemacherin Astra Zoldnere legt das mit ihrem ebenso kurzen wie doch auf den Punkt gebrachten Porträt der Kultur ihres Landes zumindest nahe.

Alles beruht dort auf den „Treasures of the Sea“, den Meeresfrüchten, die man vor der Küste Lettlands immer noch reichhaltig aus der Ostsee fischen kann. Nicht nur eine der wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen ist die Fischerei, auch bestimmte sie über Jahrhunderte die Kultur Lettlands. Der Fisch ist quasi ihr „Fleisch“. Das weiß man, aber man kann es kaum so eindringlich zeigen wie Zoldnere in ihrem poetischen Dokumentarfilm. Ein Netz, prall von Fischen, wird an Bord gezogen, die Möwen schwirren und erbeuten ihren Teil. Dann liegen die Fischer in verdienter Ruhe in den Kojen, bevor der reiche Fang angelandet und am heimischen Ofen geräuchert wird.

Das hat etwas von Fischerromantik, auch von den malerischen Bildern her. Doch bevor es zum bunten Ethno-Idyll verkommt, schneidet Zoldnere Bilder von Fischfabriken dazwischen, welche die Romantik mit der industriellen Realität konterkarieren. Das Silber (und Gold) des Meeres, das der Fischer unter der Dusche eben noch besang (auch eine widerständige Tradition der baltischen Staaten, ihre singende Revolution), kommt in die Konserve, der symbolische Fisch wird zum banalen Fleisch.

Doch im nächsten Schnitt wird gefeiert, mit Gesang, Tanz, Räucherfisch … und viel Wodka, das Leben, die Kultur, die ihren Reichtum aus dem des Meeres schöpfen. Fast schon filmische Postkarte oder touristisches Werbevideo für Lettland. Doch dafür viel zu poetisch, zu innig sich zur Heimat und einer alten, gewachsenen Kultur bekennend. (jm)