18. Filmfest Schleswig-Holstein 2014
Surreale Apokalypse
„Draußen ist, wo du nicht bist“ (Friederike Hoppe, D 2013)
Müssen Filme Handlungen haben? Und wenn ja, was ist eine Handlung? Können nicht auch Bilder für sich stehen und allegorienhaft gereiht erzählen? Friederike Hoppes poetischer Kurzfilm versucht letzteres, entwirft einen apokalyptisch-surrealen Bilderbogen, bei dem mittelalterliche Allegorienbilder wie Kafka Pate gestanden haben könnten, und erzählt in diesem (Alp-) Traumreigen dennoch die Geschichte einer Gesellschaft, die sich mit dem Tanz auf dem Vulkan aus der Wirklichkeit stiehlt, genauer: im Traum von dieser eingeholt wird.
Schon die Anfangseinstellung ist ein bedrückendes, gleichwohl höchst malerisches Vexier- oder auch „Wimmelbild“: Über einem in fahlem Filterlicht liegenden Feld von verdorrten Sonnenblumen schweben plötzlich Luftballone und zwischen den toten Stengeln tauchen Commedia-dell’arte-Gestalten auf, die schwanken wie die Untoten in Zombie-Filmen. Doch die wahre Hölle liegt noch ganz woanders: auf den Wartefluren eines kafkaesken Amtes, wo die „Delinquenten“ begierig weiterrücken, wenn einer aufsteht und die Schlange verlässt. Was treibt sie, welcher Schein berechtigt zum Eintritt in eine Traumwelt, die wie ein Pandämonium von Irren wirkt, wo sich das Licht (Belichtungseffekt) seltsam farbig an den Konturen der Verlorenen bricht? Eine Scheinwelt, der plötzlich die Sicherung herausgedreht wird, wo die Zeit stillzustehen scheint, aber wie irr beschleunigt Greise in eine Kinderhüpfburg zurück katapultiert.
Idyll oder dantesches Inferno? Still aus der Eingangssequenz des Films (Foto: Friederike Hoppe)
Aufruhr im Kleinbürgerparadies? Menetekel einer dantesch aus den Fugen geratenen Welt, die Kafka nicht bedrängender hätte erdenken können? Der Film legt bewusst viele bildhafte Leimruten aus, an denen die Augen des verstörten Betrachters haften bleiben können wie die Fliegen am klebrigen Fliegenfänger. Hoppe bietet ein Traumbild an, das den Alpdruck unmittelbar einschließt. Und einen Rätselspruch über das noch nicht oder schon nicht mehr Sein: „Die Zeit verläuft weiterhin in einer Spirale nach unten oder nach oben. Egal, wir fliegen hinterher“ – taumelnd, träumend, berückt und erschrocken von diesem ganz großen poetischen Bilderkino! (jm)
„Draußen ist, wo du nicht bist“, D 2013, 11 Min., Regie: Friederike Hoppe, Kamera Anselm Belser