64. Int. Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2014

Blick zurück ohne Zorn

„The Little House“ (Yoji Yamada, JAP 2014)

Yoji Yamada gehört zu den Regie-Altmeistern, deren Spätwerk sich recht zuverlässig auf der Berlinale verfolgen lässt. Über Jahrzehnte war Yamada in Japan mit der Tora-San erfolgreich, bevor er 2002 mit „The Twilight Samurai“ auch international auf sich aufmerksam machen konnte. Zwei weitere Samurai-Filme folgten und bildeten eine Trilogie, die mit ihrem unsentimentalen Blick auf die Krieger-Kaste in Zeiten gesellschaftlichen und sozialen Umbruchs den Grundstein für Yamadas cinematisches Spätwerk legte. Seither ist ihm die Aufmerksamkeit der Filmgemeinde gewiss. Zuletzt trat er mit sensiblen Familiendramen das humanistische Erbe eines Akira Kurosawa oder Yazujiro Ozu an. Bei letzterem begann er seine Filmkarriere als Regieassistent. So überraschte es nicht, dass sich im letzten Jahr „Tokyo Kazoku“ (Tokyo Family, JAP 2013), Yamadas Remake des Ozu-Klassikers „Tokyo Monogatori“ (Reise nach Tokio, JAP 1953), im Berlinale-Programm fand. In diesem Jahr schließlich lief seine Verfilmung des gleichnamigen japanischen Bestsellers „The Little House“ im Wettbewerb.
Die junge Taki kommt 1936 aus der Provinz nach Tokyo, um als Haushälterin in der kleinbürgerlichen Familie der Hirais zu arbeiten. Vater Masaki ist Manager in einer Spielzeugfirma, seine Ehefrau Tokiku und der kleine Sohn führen ein gutsituiertes und behütetes Leben in einem recht modernen Haus am Rande der Stadt. Als Masaki eines Abends den Chef seiner Firma und andere Kollegen zum Essen lädt, fällt der junge, sensible Zeichner Itakura insbesondere Taki und der Dame des Hauses Tokiku auf. Tokiku fühlt sich zu dem jungen Mann hingezogen, was Taki nicht verborgen bleibt. Sie wird unfreiwillig Zeugin einer Affäre, die die Familie zu zerstören droht. Sie steht vor der Entscheidung, den Dingen ihren Lauf zu lassen oder sich unerhörterweise einzumischen.
„The Little House“ erzählt die Geschichte der jungen Taki und der Hirai-Familie in der Retrospektive: Eine mittlerweile greisenalte Taki schreibt ihre Erlebnisse im Haus der Familie als eine Art späte Beichte auf und gibt sie ihrem jungen Neffen zum Lesen. Der ist zunächst irritiert, dass Taki sich nur an ihre persönlichen Erlebnisse erinnert und in keiner weise die politische Situation Japans reflektiert. Das Aufkommenden des japanischen Nationalismus der im gescheiterten Militärputsch mündet, und der Krieg mit China scheinen keinen Einfluss auf das Leben im kleinen Haus zu haben. Die Fragen des Neffen zu den politischen Veränderungen jener Zeit lässt Taki unbeantwortet. Sie erinnert lediglich bruchstückhaft die verharmlosenden Diskussionen unter den Männern über den Einmarsch in die Mongolei und China. Die deutschen Verbündeten werden noch als unbesiebgar eingestuft, die Amerikaner noch als wirtschaftliche Vorbilder gefeiert, mit denen man sich sicher nicht anlegen werde.
Haru Kuroki (l.) und Takako Matsu in „The Little House“ (Foto: „The Little House“ Film Partners)
Man sieht Yamadas Film die Sorgfalt in der Darstellung des japanischen bürgerlichen Lebens an, das in jenen 30er Jahren vielleicht zur vollen Blüte kam, kurz bevor Japans ungebremster Nationalismus die Nation in den Krieg mit den Amerikanern führte und diese Bürgerlichkeit für Jahrzehnte, wenn nicht gar für immer, zerstörte. Sein Film ist ein durch und durch sentimentaler Blick zurück, der nicht die Frage nach Mitschuld der bürgerlichen Klasse stellt, sondern eine Zeit der Unschuld beschwört. Taki, in perfekter Natürlichkeit gespielt von Haru Kuroki (wofür sie mit dem Silbernen Bären für die beste Darstellerin ausgezeichnet wurde), ist die weibliche Personifizierung dieser Unschuld und Loyalität, die auch in praktisch jedem späten Ozu-Film gefeiert wird. Die Affäre ihrer Herrin und ihre Intervention ist für sie ein prägendes Lebensdrama, das sie auch nach Jahrzehnten noch nicht verarbeitet hat. Aus westlichem Blickwinkel wirkt es irritierend, wenn solch persönliches Schicksal nicht in einem historischen Kontext relativiert wird. „The Little House“ nimmt aber nicht nur einen konsequent persönlichen Blickwinkel ein, er reduziert auch die Historie auf reine Schicksalmacht. Vom tatsächlichen Kriegsgeschehen erzählt der Film lediglich, dass das Ehepaar Hirai nach einem Bombenangriff auf Tokio eng umschlungen im abgebrannten Haus aufgefunden wurde.
Für „The Little House“ bieten sich möglicherweise zwei Lesarten an: Die des reinen Rührstücks, das alle Beteiligten noch postum miteinander versöhnt und die politische Naivität und Passivität der bürgerlichen Klasse angesichts des fatalen japanischen Nationalismus entschuldigt. Oder die der akkuraten Beschreibung des bürgerlichen Lebens im Tokio der Showa-Ära aus der Perspektive einer jungen Provinzlerin. Yoji Yamada inszeniert unzweifelhaft altmeisterlich, doch sein Sujet wirkt diesmal altbacken und ist zumindest ambivalent. (dakro)
„The Little House“, Japan 2013, 136 Min., Farbe. Regie: Yoji Yamada, Buch: Yoji Yamada, Emiko Hiramatsunach dem Roman von Kyoko Nakajima, Kamera: Masashi Chikamori, Schnitt: Iwao Ishii, Darsteller: Haru Kuroki, Takako Matsu, Takataro Kataoka, Hidetaka Yoshioka u.a.
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