64. Int. Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2014
Vergnügliche Küchenpsychologie
„Über-Ich und Du“ (D/CH/A 2014, Benjamin Heisenberg)
Nach den zwei dramatischen Arbeiten „Schläfer“ (2005) und „Der Räuber“ (2010) liefert Benjamin Heisenberg nun recht unerwartet eine leichtfüßige Komödie ab, die ihr Humorpotential aus dem gesellschaftlichen Gefälle zwischen Ganovenmilieu und Hochkultur zieht. Kaum ist der Vorspann durchgelaufen, ist die Exposition auch schon gesetzt: Der Keinkriminelle Nick (Georg Friedrich) muss sich schleunigst rar machen, denn er hat Schulden angehäuft. Incognito tritt er einen Job als Nanny des greisen, altersvergesslichen Psychologie-Altstars Curt Ledig (André Wilms) in dessen Villa am Ammersee an. Die beiden gehen schnell eine Symbiose zum beiderseitigen Vorteil ein. Während Nick die antiquarischen Bücher des Alten bei seiner teilzeitgeliebten Buchhändlerin versilbert, beginnt Curt ein psychologisches Experiment mit unerwartetem Ergebnis. Während in Curt die Lebensgeister wieder erwachen und er auf einem letzten Symposium mit seiner braunen Vergangenheit aufräumen will, bevor es zu spät ist, schlägt sich Nick mit Curts unüberwindbarer „Küchenphobie“ herum.
Bauern- vs. psycho-schlau – Georg Friedrich und André Wilms (l.) in „Über-Ich und Du“ (Foto: Komplizen Film)
Was „Über-Ich und Du“ zum Vergnügen macht, ist das unangestrengte Spiel von Friedrich und Wilms, die subtilen Seitenhiebe auf Familie, den Kulturbetrieb, aber auch das Fehlen einer kanonhaften Botschaft. Zwar wird auch das reflexartige Verhalten der Medien beim Thema Verstrickungen im Dritten Reich veralbert und die Hilflosigkeit bzw. die Ignoranz der Familie beim Umgang mit den Alten angerissen, aber Heisenberg setzt nur kleine Spitzen. Das dramaturgische Feld bleibt aufgeräumt, die Handlung überschaubar. Umso mehr Raum bleibt für die glaubwürdige Entwicklung einer eigentlich absurden Freundschaft, Curt und Nick, Intellektueller und Lebenskünstler, Gehirn und Muskel. Herrlich, wenn beide, ob bauern- oder psycho-schlau, an der insbesondere auf der finanziellen Ebene vereinnehmenden „Mutter“ genannten Gangsterchefin scheitern. Heisenberg und sein Ko-Autor Josef Lechner nehmen ihr Thema auch nicht bierernst und verpassen dem Professor eine „Küchenphobie“, die sich per Instant-Hypnose auf Nick überträgt und für ein paar schöne Slapstickmomente sorgt. Überhaupt probiert sich Heisenberg dezent an vielen inszenatorischen Comedy-Varianten aus, stets lässt er aber den Schauspielern Raum zum subtilen Agieren.
Gegen die allgegenwärtigen und formelhaften Schweiger/Schweighöfer-Beziehungskomödien wird sich „Über-Ich und Du“ wohl kaum kommerziell durchsetzen. Aber schön, dass es Komödien gibt, die überraschend und geist-reichend daherkommen. (dakro)
„Über-Ich und Du“, D/CH/A 2014, 94 Min., DCP. Buch: Benjamin Heisenberg, Josef Lechner, Regie: Benjamin Heisenberg, Kamera: Reinhold Vorschneider, Schnitt: Stefan Kälin, Andreas Wodraschke, Produktion: Janine Jackowski, Jonas Dornbach, Maren Ade, Darsteller: André Wilms, Georg Friedrich u.a.