Zeit für einen grundlegenden Systemwechsel

Medienpolitischer Grundsatzartikel vom AG DOK-Vorsitzenden Thomas Frickel (aus: black box 01/2014)

„Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland, das jährlich über mehr als achttausend Millionen Euro verfügt, lässt sich einen großen Teil seines Programms von der freien Produktionswirtschaft subventionieren. Deutschlands Produzenten und Filmschaffende halten das Fernsehprogramm am Leben. Umgekehrt wäre es besser.“ So AG DOK-Vorsitzender Thomas Frickel zur Misere der deutschen Produktionslandschaft. Die AG DOK wiederholt ihren Forderungskatalog zur Vertragsgestaltung zwischen Dokumentarfilm-Produzenten und öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.
Deutschlands Rundfunkbeitragszahler gehen paradiesischen Zeiten entgegen. Nachdem Medienpolitiker quer durch alle Fraktionen schon seit einiger Zeit immer lauter nach längeren Verweilzeiten des Fernsehprogramms in öffentlich-rechtlichen Mediatheken verlangen, wollen sie jetzt auch noch den Rundfunkbeitrag senken – um stolze 73 Cent im Monat! Was für ein schönes Weihnachtsgeschenk, mit dem Malu Dreyer, Ministerpräsidentin aus Rheinland-Pfalz, und ihr sächsischer Amtskollege Stanislaw Tillich da Anfang Dezember vor die Kameras traten! Erweiterter Internet-Abruf öffentlich-rechtlicher Sendungen für weniger Geld! Wer wollte ob solcher Nachrichten kurz vor dem Fest nicht frohlocken und jubilieren?
Die unabhängigen Produzenten und die freiberuflichen Film-und Fernsehschaffenden zum Beispiel. Weiß die Ministerpräsidentin nicht, dass Urhebern und Produzenten die Rechte zur Mediatheken-Nutzung fast immer vergütungsfrei weggenommen werden? Weiß sie nicht, dass der öffentlichrechtliche Rundfunk in Deutschland einen großen Teil seines Programms völlig unzureichend bezahlt? Besonders im dokumentarischen Bereich können mehr als zwei Drittel der Sendungen nichteinmal nach den von Sendern selbst gesetzten Regeln als „voll finanziert“ gelten; in manchen Fällen beträgt die Sender-Beteiligung gerade noch ein Viertel der kalkulierten Herstellungskosten. Im Schnitt übernehmen die Sender nur 60% dessen, was ein dokumentarischer Film tatsächlich kostet. Oder, anders gesagt: die Produzenten müssen für 40, 60 oder mehr als 70 Prozent der Produktionskosten selbst aufkommen. Ein ruinöses Geschäftsmodell – vor allem dann, wenn die politischen Vorgaben keinen Freiraum lassen, um das selbst investierte Geld wieder zu verdienen.
Das mit Gebührenmilliarden gepamperte System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das dem neuesten KEF-Bericht zufolge immer noch knapp 24.000 fest angestellte Mitarbeiter beschäftigt, das sich unzählige gut bezahlte Direktorenposten und eine ganze Kompanie amtierender und ehemaliger Intendanten leistet, das jede Tariferhöhung mitmacht und seinen Getreuen eine solide betriebliche Altersversorgung auf Kosten der Gebührenzahler ermöglicht – die gleichen Sender, die der Öffentlichkeit mit Stolz neue Digitalkanäle, Online-Angebote und Mediatheken präsentieren, können sich diese Wohltaten nur leisten, weil sie seit Jahren den freien Mitarbeitern und der unabhängigen Produzentenszene dieses Landes wegsparen, was sie an anderer Stelle mit vollen Händen zu den Funkhausfenstern herausschmeißen. Ja, es stimmt: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland, das jährlich über mehr als achttausend Millionen Euro verfügt, lässt sich einen großen Teil seines Programms von der freien Produktionswirtschaft subventionieren. Deutschlands Produzenten und Filmschaffende halten das Fernsehprogramm am Leben. Umgekehrt wäre es besser.
Wäre es angesichts solcher Fakten nicht sinnvoller, mit etwaigen Überschüssen die öffentlich-rechtlichen Programme endlich einmal anständig, das heißt: nach marktüblichen Standards – zu bezahlen? Was Autorinnen, Regisseure, auch, was Kameraleute und Cutterinnen nach den von den Sendern selbstherrlich festgesetzten Richtwerten zu bekommen haben, ist strikt gedeckelt, der Produzent muss nach dieser Definition grundsätzlich kostenlos arbeiten und darf kein Honorar für seine Arbeit beanspruchen (und die Produzentin natürlich auch nicht). Eine ganze Reihe unmittelbar produktionsbezogener Ausgaben soll darüber hinaus aus den Allgemeinkosten, den so genannten Handlungskosten finanziert werden, obwohl diese nach wie vor absurd niedrig und völlig unzeitgemäß sind. Schon vor Jahren haben Studien nachgewiesen, dass Produktionsfirmen selbst bei angeblich voll finanzierten Auftragsproduktionen mit einer Kostendeckung von weniger als 90% auskommen müssen, wenn sie für deutsche Fernsehsender arbeiten – den Rest finanzieren sie in Form von Eigenleistungen, Rückstellungen – oder auch mit eigenem Geld. An einen unternehmerischen Gewinn, der Spielräume zur Entwicklung neuer Ideen und Projekte öffnet, ist unter solchen Umständen kaum zu denken. Das Hamsterrad der Produktion dreht sich immer schneller, denn der laufende Betrieb frisst alles weg und knabbert auch schon an den erwarteten Einnahmen zukünftiger, noch gar nicht realisierter Projekte. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Immer mehr unabhängige Produktionsfirmen steigen aus dem Markt aus – oder sie flüchten unter die Fittiche der Fernsehtöchter, die ohnehin schon weite Teile der Branche beherrschen.
Dass es über Jahre hinweg gelungen ist, diese unerträgliche Situation zu verschleiern, haben Deutschlands Fernsehproduzenten zumindest teilweise selbst zu verantworten. Aus Angst, Aufträge zu verlieren, haben die Produktionsfirmen die stetige Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen trotz ständig sinkender Umsatz-Renditen viel zu lange stillschweigend hingenommen und versucht, sich irgendwie durchzuwursteln. Erst kürzlich bestätigte die Allianz Deutscher Produzenten den Sendern in mehreren so genannten „Eckpunkte-Papieren“, dass für voll finanzierte Auftragsproduktionen angemessene Vergütungen und eine faire Rechteaufteilung gelten, obwohl selbst die Unterzeichner wussten, dass nach wie vor das krasse Gegenteil der Fall ist.
Wer immer wieder öffentlich bekundet, dass im Verhältnis zwischen Sendern und Produzenten alles in Ordnung ist, darf sich nicht wundern, wenn das am Ende tatsächlich jemand glaubt. Zugleich erschweren solche Zugeständnisse jede weitere Argumentation. Denn wenn in der Branche wirklich faire Bedingungen herrschen – welchen Grund gäbe es dann noch, überschüssige Rundfunkbeiträge zurück zu halten? Und wenn – einschließlich der Nutzungsrechte – tatsächlich alles fair bezahlt wäre – warum, um alles in der Welt, sollten die Filme dann nicht unbegrenzt im Internet verfügbar sein? Dass sich Gebührenzahler und Politiker irgendwann auf solche Aussagen berufen würden, war vorauszusehen. Jetzt haben wir von Frau Dreyer die Quittung bekommen. Das Taktieren ist zum Bumerang geworden. Dumm gelaufen.
Doch auch die Ministerpräsidentenkonferenz scheint unentschieden. Vor einiger Zeit noch hat sie in einer Protokollerklärung zum Rundfunkstaatsvertrag die Sender aufgefordert, Urheber angemessen zu vergüten und Produzenten eine faire Aufteilung von Verwertungsrechten zu gewähren. Dieser Appell war wichtig, ehrlich und sicher gut gemeint. Jetzt verlangt sie von den Sendern die Bereitstellung zusätzlicher Verwertungsrechte im Internet, entzieht ihnen aber gleichzeitig die Mittel, die nötig sind, um diese Rechte auch angemessen zu bezahlen. Wie passt das zusammen? Gar nicht.
Wer eine unabhängige Produzenten-Szene als Ideenschmiede, als Spiegel gesellschaftlicher Vielfalt, als Garant innovativer inhaltlicher und künstlerischer Ansätze erhalten und fördern will, muss ihr doch zu allererst das wirtschaftliche Überleben sichern. Das ist – so banal es sich anhört – vor allem eine Frage des Geldes. Dann muss allerdings auch gesagt werden, wo dieses Geld herkommen soll. Was den Sendern an Finanzmitteln zur Verfügung steht, ist nämlich restlos verplant. Jede Verhandlungsrunde zwischen Urhebern, Produzenten und Sendern beginnt mit der Drohung, man könne alles fordern – nur kein Geld. Aber wenn es keine Verhandlungsspielräume gibt, sind Verhandlungen über die adäquate Bezahlung unabhängiger Produzenten und Urheber sinnlos.
Nur zwei Optionen können die Ausbeutung der unabhängigen Produktionswirtschaft beenden: Entweder müssen die dafür notwendigen Mittel innerhalb der Sender umverteilt – das heißt: aus anderen Bereichen abgezogen werden. Oder aus dem Rundfunkbeitrag wird zusätzliches Geld bereitgestellt, das durch klare Zweckbestimmungen endlich an der richtigen Stelle ankommt. Beides ließe sich politisch lösen. Stattdessen den Rundfunkbeitrag zu senken, ist natürlich auch eine Option. Allerdings eine, die das Problem der unabhängigen Produktionswirtschaft weiterhin auf der politischen Tagesordnung hält. Zumindest so lange, bis die Branche endgültig zusammenbricht.
Mag sein, dass dieses Szenario sogar einkalkuliert ist. Denn warum soll man sich über eine angemessene und faire Bezahlung der Filmschaffenden Gedanken machen, wenn es unter den Augen der aufsichtführenden Gremien und Politiker jahrelang auch anders ging? Wann immer sich eine neue Verbreitungsform für öffentlich-rechtliche Programme auftat, nahm man Urhebern und Produzenten die dazu nötigen Verwertungsrechte vergütungsfrei und durch kleine, scheinbar harmlose Vertragsergänzungen weg. Europaweite Satellitenausstrahlung über ASTRA, immer mehr Wiederholungen in immer mehr Digitalprogrammen, 7-days-catch-up in den Mediatheken – alles das musste nach und nach an die Sender abgetreten werden, ohne dass dafür auch nur ein Cent mehr bezahlt wurde. In den so genannten Drei-Stufen-Tests für öffentlich-rechtliche Telemedienangebote nickten die Aufsichtsgremien Finanzierungspläne ab, in denen die Rechtekosten der neuen online-Dienste auf „null Euro“ beziffert wurden. Kaum ein Rundfunkrat fand das merkwürdig.
Und schon 2008 erhob eine unheilige Allianz aus Verbraucherverbänden, DGB und dem vom WDR aus regierten Deutschen Kulturrat mit dem Slogan „Was GEZahlt ist, muss von Dauer sein“ die Forderung nach zeitlich unbegrenzten Online-Abrufmöglichkeiten für das gesamte Fernsehprogramm – freilich ohne zu wissen, dass ein großer Teil des öffentlich-rechtlichen Programmangebots mitnichten „GEZahlt“ ist. Jetzt liegt die gleiche Forderung auf dem Tisch der Länderchefs. Und die haben anscheinend immer noch nicht verstanden, dass unabhängige Produzenten nur dann wirtschaftlich überleben können, wenn sie werthaltige Verwertungsrechte an ihren Filmen selbst nutzen können. Mit am wichtigsten sind dabei die Online-Rechte. Wenn sie den Produzenten verlorengehen, nur weil die Medienpolitik das gesamte öffentlich-rechtliche Programm auf Dauer kostenlos im Internet sehen will, macht die Ministerpräsidentenkonferenz ihre eigene Forderung nach einer fairen Aufteilung von Nutzungsrechten zur Makulatur.
Nachsatz: Was den aktuellen medienpolitischen Forderungen völlig fehlt, ist die Vision. Der momentane Umbruch in der Medienlandschaft böte auch die Möglichkeit, innovative Internet-Projekte mit öffentlich-rechtlichem Charakter direkt – und ohne den Umweg über schwerfällige Sender-Apparate – zu initiieren. Viele Internet-Angebote – seien es Filme, Blogs, Podcasts oder die Online-Enzyklopädie Wikipedia – können mit öffentlich-rechtlichen Qualitäts-Angeboten durchaus mithalten – das heißt: sie erfüllen die gleichen Kriterien, die Professor Kirchhof in seinem Gutachten als Eckpunkte des öffentlich-rechtlichen Funktionsauftrags definiert hat. Warum also sollten solche Angebote, die der Öffentlichkeit kostenlos im Netz zur Verfügung stehen und die für den gesellschaftlichen Diskurs unserer offenen und pluralistischen Gesellschaft ähnlich wichtig sind wie öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme, nicht auch aus öffentlichen Mitteln – sprich: aus der Rundfunkabgabe – finanziert werden? Es wäre also durchaus denkbar, einen Teil des Rundfunkbeitrags unabhängigen Anbietern für die Produktion von Internet-Projekten zur Verfügung zu stellen. Die Auswahl solcher Projekte und die Kontrolle dieser internetbasierten öffentlich-rechtlichen Angebote könnte ohne großen bürokratischen Aufwand an Gremien übertragen werden, die es bereits gibt – etwa bei den Landesanstalten für privaten Rundfunk.
Vorschläge und Forderungen der AG DOK zur Neugestaltung der Vertragsgrundlagen zwischen unabhängigen Dokumentarfilm-Produzenten und (öffentlich-rechtlichen) Sendeanstalten in Deutschland
Ausgangslage:
Alle seitherigen Vertragsmodelle öffentlich-rechtlicher Fernsehsender übervorteilen und benachteiligen die unabhängigen Dokumentarfilmproduzenten. Dieses Prinzip ist durch weitere systemimmanente Vertragskosmetik nicht mehr zu heilen. Deshalb ist es Zeit für einen grundlegenden Systemwechsel.
Definition/Grundsätze:
1. Wenn für Fernsehproduktionen keine eigenständige Verwertungschance jenseits des vorgesehenen Sendeplatzes erkennbar ist, kann es sich nicht um eine teilfinanzierte Produktion handeln. In diesen Fällen müssen die gesamten Herstellungskosten vom auftraggebenden Sender getragen werden.
2. Sollte der Sender eine negative Verwertungsprognose des Produzenten in Zweifel ziehen, kann er die Finanzierungslücke durch eine Garantiezahlung seiner Vertriebstochter schließen lassen.
3. Kalkulationen und Verträge von Fernsehproduktionen müssen Produktionskostenanteil und Nutzungsrechtevergütung getrennt ausweisen. Letztere richtet sich jeweils nach dem beabsichtigten Nutzungsumfang; jedem einzelnen Nutzungsrecht entspricht ein materieller Gegenwert.
4. Die seither üblichen Kalkulationsvorgaben der Sender und Kalkulationsverhandlungen entfallen. Alle Projekte werden nach externen, marktüblichen, von den deutschen Filmförderungen anerkannten (und von einer neutralen Schiedsstelle überprüfbaren) Kostensätzen kalkuliert. Die nach solchen allgemeinverbindlichen Standards ermittelten Projektkosten sind Grundlage für die Aufteilung von Verwertungsrechten.
5. Nur, wenn eine dokumentarische Fernseh-Produktion, die
  • zu marktüblichen, von den deutschen Filmförderungen anerkannten Kostensätzen kalkuliert ist,
  • dabei alle tatsächlich anfallenden Kosten und Tätigkeiten erfasst,
  • eine dem tatsächlichen Arbeitsaufwand entsprechende Urhebervergütung enthält
  • und zudem sowohl für den Produzenten als auch für die beteiligten Urheber eine dem beabsichtigten Nutzungsumfang entsprechende Vergütung für die Abtretung der Urheber- und Leistungsschutzrechte vorsieht, von einem Fernsehsender auch zu 100% bezahlt wird, handelt es sich um eine voll finanzierte Auftragsproduktion. Alle Senderbeteiligungen unterhalb dieser Vollfinanzierung
  • selbst, wenn sie dem Produzenten nur geringfügige eigene Finanzierungsanteile überlässt, gelten als Teilfinanzierung. Dazu zählen alle Produktionen, für die oben genannte Kriterien – oder auch nur eines davon – nicht zutreffen.
Das heißt: ein Teil des Finanzierungsrisikos liegt in diesen Fällen – auch, wenn es in Form von Eigenleistungen oder Rückstellungen erbracht wird – bei der Produktionsfirma bzw. bei den beteiligten Urhebern und anderen Mitwirkenden.
6. Für alle teilfinanzierten Produktionen müssen die Verträge mit der auftraggebenden Fernsehanstalt so gestaltet sein, dass der Produktionsfirma die realistische Möglichkeit verbleibt, ihren Finanzierungsanteil durch die Nutzung eigener Verwertungsrechte zu decken und darüber hinaus einen unternehmerischen Gewinn zu erzielen.
7. Koproduktionen mit Fernsehsendern kann es schon von der Vertragskonstellation her nicht geben. Bei einer Koproduktion teilen sich die Partner das Risiko und treten in soweit in eine BGB-Gesellschaft ein. Das ist im Vertragsverhältnis mit Fernsehsendern regelmäßig nicht der Fall. Deshalb kann es bei teilfinanzierten Produktionen auch keine Erlösbeteiligung zu Gunsten der Sender geben. Etwaige Überschüsse aus der Verwertung stehen – unabhängig vom Finanzierungsanteil des Senders – ausschließlich dem Produzenten zu. Sie belohnen die Bereitschaft zum unternehmerischen Risiko und tragen dazu bei, die Eigenkapitaldecke und damit die Struktur der deutschen Produktionswirtschaft zu stärken und überlebensfähig zu machen.
Daraus folgt: Forderungskatalog
A. Ein Sender kann nur Nutzungsrechte beanspruchen, die er auch explizit bezahlt.
B. Die Übertragung von „Rechte-Paketen“ darf es in künftigen Verträgen nicht mehr geben. Derartige Lösungen begünstigen in aller Regel die Verwerter und benachteiligen Produzenten und Urheber.
C. Richtschnur jeder einzelnen Vertragsvereinbarung muss die Frage sein, ob und wie die Eigeninvestitionen der Produktionsfirma durch eigene Erlöse des Produzenten zurückgeführt werden können. Je schwieriger das voraussichtlich ist, desto geringer muss die Rechteübertragung an den Sender ausfallen.
D. Um diese Selbstverständlichkeit in die Praxis umzusetzen, bedarf es der Festsetzung einer Mindestlizenzsumme für die Nutzung des einfachen Senderechts (z.B. Erstausstrahlung und zwei Wiederholungen), die unter Mitwirkung aller Beteiligten von einer neutralen Schiedsstelle festgelegt und jeweils angepasst werden sollte. Da dokumentarisches Fernsehen bei der Budgetzuweisung seit Jahren vernachlässigt wird, wird man sich dabei an Minutenpreisen orientieren müssen, die in anderen Programmbereichen üblich sind. Ein anderer möglicher Ansatz wäre die Aufteilung der verfügbaren Programmmittel auf die gesamte Sendezeit. Ersatzweise können auch die Minutenpreise herangezogen werden, die von den Sendern beim Verkauf von Klammerteilrechten verlangt werden.
E. Die Mindestlizenz für dokumentarische Produktionen darf 50% der Herstellungskosten nicht unterschreiten, und sie deckt nur die Nutzung der Produktion durch die beteiligte Programmredaktion des vertragsschließenden Senders im Rahmen des „einfachen Senderechts“ ab. Alle weitergehenden Rechte – auch innerhalb der eigenen „Senderfamilie“ – müssen gesondert verhandelt, gesondert erworben und gesondert vergütet werden.
F. Das gilt für Wiederholungen, Programmaustausch, Klammerteilverwertung, Weitergabe an arte oder 3sat sowie insbesondere für Pay-TV, VOD und andere wirtschaftlich interessante Verwertungsmöglichkeiten außerhalb des frei empfangbaren Fernsehens. Eine automatische lizenzkostenfreie „Verlängerung“ des übertragenen Senderechts auf die Bereitstellung des Films in den Mediatheken kann es nicht geben – nicht für sieben Tage und erst recht nicht länger. Es ist klarzustellen, dass die Zurverfügungstellung eines Films auf Abruf ein eigenständiges Nutzungsrecht darstellt.
G. Deshalb sind alle VOD bzw. Abruf-Rechte gesondert zu vergüten – und zwar in Relation zum jeweiligen Sendeplatz der vorausgegangenen „regulären“ Sendung. Da in den ersten sieben Tagen nach einer Sendung die Abrufe im Internet am intensivsten sind, muss das 7-days-catch-up wie eine Wiederholungssendung gewertet (und natürlich auch bezahlt) werden. Eine Verlängerung der Standzeiten in den Mediatheken um weitere 30 Tage muss dann jeweils wie eine weitere Wiederholungssendung vergütet werden. Wenn die Bereitstellung im Internet nicht durch Geo-Blocking begrenzt wird, muss der Sender die Weltrechte erwerben und bezahlen.
H. Wenn ein Sender nicht in der Lage ist, sein Programm selbst zu bezahlen und dem Produzenten deshalb eigene Finanzierungsanteile aufbürdet, ist er verpflichtet, die Vermarktungsstrategien des Produzenten aktiv zu unterstützen. Das soll insbesondere geschehen durch: 1. Verzicht auf exklusive Nutzungsfenster. 2. Freigabe zur VOD-Verwertung rechtzeitig vor dem Sendetermin. 3. Bewerbung der Bezahl-Angebote des Produzenten (DVD, VOD etc.) programmbegleitend und im Abspann.
I. Die Abwicklung der Folgevergütungen (Inkasso und Verteilung) soll über Verwertungsgesellschaften erfolgen (Französisches Modell).
Erstveröffentlichung in der black box Nr. 239 / Januar 2014 // Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Ellen Wietstock (Hrsg. black box) und Thomas Frickel (Autor)
Der filmpolitische Informationsdienst black box erscheint alle sechs Wochen (8 Ausgaben jährlich) in gedruckter Form. black box kann bei Ellen Wietstock, Fischerinsel 4, 10179 Berlin, Tel. 030-25798170, wietstock@blackbox-filminfo.de, abonniert werden. Das Jahresabo kostet 40 €. www.blackbox-filminfo.de.
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