Verbotenes Lichtspiel #7 – JAPAN! EXTREM!

Harakiri, Bushido, Kamikaze. Zwischen Faszination und Fassungslosigkeit schwanken westliche Betrachter beim Blick auf die japanische Kulturgeschichte, die jahrtausendlange Tradition des unbedingten Gehorsams, der Opferbereitschaft und der Verehrung des gottgleichen Tenno. Angesichts der Unbeugsamkeit japanischer Soldaten sahen die Amerikaner sich gezwungen, zwei Atombomben auf japanische Städte abzuwerfen, um den Pazifikkrieg zu beenden. Die Schmach des verlorenen Krieges, die Verdrängung der eigenen Kriegsverbrechen und der ökonomische Zusammenbruch stürzten Japan in eine tiefe moralische Krise.
Die Film-Studios und Filmemacher der 40er und 50er Jahre reagierten mit humanistischen Meisterwerken wie „Ikiru“ (Akira Kurosawa, 1954) oder „Tokyo Story“ (Yasujiro Ozu, 1954), die die Werte der Gemeinschaft und der Familie priesen. Im selben Jahr erblickte aber auch eines der bekanntesten Filmmonster das Licht der Leinwand. „Godzilla“ (Ishiro Honda, 1954) brachte den atomaren Zerstörungs-Horror zurück in die Städte und auf die Leinwände.
Wenige Jahre später bricht sich ein neues japanisches Kino Bahn: Junge Regisseure befreien sich in den 60er Jahren von den tradierten Fesseln der Filmstudios und inszenieren ihre politisch ambitionierten Sozialdramen oder moralisch ambivalenten Genre-Knaller als freie Produktionen. Zwischen Avant-Garde und Exploitation entstehen gänzlich neue Genres und in ihrer Extremität befreiende Bilderwelten, auf die wir in der siebten Reihe des „Verbotenen Lichtspiels“ den Fokus legen.
„Horrors Of Malformed Men“ (1969) gilt als Kultklassiker des Pink-Film-Genres, seine Mischung aus Erotik und albtraumhaften, post-apokalyptischen Bildwelten trieb die Zuschauer in Scharen aus den Vorstellungen. Die sechsteilige „Lone Wolf & Cub“-Reihe (wir zeigen Teil 2 „Der unbesiegbare Samurai“, 1972) war ebenso erst viel später ein Publikumserfolg, obwohl die Filme auf der äußerst beliebten Manga-Saga über einen herrenlosen Samurai und seinen dreijährigen Sohn basierten. Die hier gezeigten, ästhetisierten und expliziten Schwertkämpfe setzten bis heute gültige Maßstäbe. Das lässt sich auch über „The Street Fighter“ (1974) sagen, ein Martial-Arts-Kracher mit Karate-Legende Sonny Chiba, der in den USA als erster Film ein X-Rating allein aufgrund der Gewaltdarstellung bekam. Gänzlich verboten und vor Aufführungen gar von der Polizei beschlagnahmt wurde „Im Reich der Sinne“ (1976) wegen des Vorwurfs der Pornografie. Heute gilt er als unstrittiger Klassiker der Filmgeschichte. Für uns jetzt schon ein moderner Klassiker: „Battle Royal“ (2000). Der vereint die Tugenden des zeitgenössischen japanischen Kinos: Absurd überzeichnete Situationen und Geschichten, die aber in einem echtem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Realitäten stehen, dargeboten von einem hervorragendem Ensemble in faszinierenden Bildern. Japan! Extrem!
Terminübersicht
  • 7.1.14, 20:30, Schaubude: Der unbesiegbare Samurai (Kenji Misumi, JAP 1972, 81 Min., OmeU)
  • 9.1.14, 20:30, Hansastr. 48 e.V.: Im Reich der Sinne (Nagisa Oshima, JAP 1976, 102 Min., OmeU)
  • 16.1.14, 21:00, Luna Club: Battle Royal (Kinji Fukasaku, JAP 2000, 121 Min., OmeU)
  • 21.1.14, 20:30, Weltruf: Horrors of Malformed Men (Teruo Ishii, JAP 1969, 99 Min., OmeU)
  • 28.1.14, 20:30, Studio-Filmtheater: Der Wildeste von allen (Shigehiro Ozawa, JAP 1974, 91 Min., OmeU)
Der unbesiegbare Samurai (Lone Wolf & Cub, Teil 2) / Kozure Ôkami: Sanzu no kawa no ubaguruma
Japan 1972, OmeU, Regie: Kenji Misumi, mit Tomisaburo Wakayama und Akihiro Tomikawa (www.imdb.com/title/tt0068816/?ref_=fn_al_tt_4)
„I’m on a mission that niggaz say is impossible, but when I swing my swords they all choppable. I be the bodydropper, the heartbeat stopper, child educator, plus head amputator.“ – GZA, Liquid Swords
Leichen pflastern seinen Weg. Für Ogami Itto ist jeden Tag Badetag. Blutbad, versteht sich. Als Ronin und Auftragsmörder mit Kleinkind zieht der ehemalige Scharfrichter durch das Japan der Edo-Zeit. Im Nacken den Clan der Yagyu, dessen tödlicher Intrige er seine Herren- und auch Frauenlosigkeit verdankt, voraus stets das nächste Gold und die Toten in dessen Folge.
Wu-Tang, Besson, Tarantino, Mendes, Cormac McCarthy: Kenji Misumis nihilistische Genregranate hat tiefe Spuren hinterlassen im globalen Pop. 1980 als „Shogun Assassin“ mit neuer Score erneut in den Kinos, hat der Film den Ninja-Boom der 80er mitbegründet. Das deutsche Re-Release-Poster lag dabei mit dem Claim „Er schwingt sein Schwert und befreit seine Opfer von ihren Köpfen“ schon dicht dran am wu-tangschen Lyrismus. Die Bundesprüfstelle freilich zeigte sich wenig beeindruckt von soviel Skills und hat den Film prompt indiziert. Weltweit folgten weitere Verbote.
Nicht zuletzt funktioniert der Film als gelungene Comicverfilmung. Kazuo Koikes exzellenter Manga-Vorlage „Lone Wolf & Cub“ stellt der Misumi ein visuelles Equivalent in Scope zur Seite. Ein wenig so als wäre dein Lieblings-Spaghetti-Western eingeladen zum Sushi-Essen mit Sake-Flatrate.
Im Reich der Sinne / Ai no korîdaa
Japan 1976, OmeU, Regie: Nagisa Oshima (www.imdb.com/title/tt0074102/?ref_=fn_al_tt_1)
Die Geschichte der bedingungslos leidenschaftlichen und fatalen Affäre zwischen der jungen Abe Sada und einem verheirateten Geschäftsmann basiert auf einem tatsächlichen Fall aus dem Japan der 30er Jahre. Trotz Geständnis wurde Abe Sada vom Mord an ihrem Liebhaber freigesprochen. Da die sexuellen Akte von den beiden Schauspielern nicht gespielt, sondern tatsächlich vor laufender Kamera vollzogen wurden, provozierte „Im Reich der Sinne“ einen Skandal: Vor der ersten Festivalaufführung in New York und während der Berliner Filmfestspiele wurden die Filmrollen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Bis heute ist „Ai no korîdaa“ (OT) in Japan und vielen anderen Ländern nur zensiert aufführbar. Dem Regisseur und Enfant Terrible des japanischem Films Nagisa Oshima brachte der Film allerdings die verdiente internationale Anerkennung: Das renommierte British Film Institute erklärte „Im Reich der Sinne“ zum künstlerisch bedeutendsten Film des Jahres 1976.

 

Battle Royal / Batoru rowaiaru
Japan 2000, OmeU, Regie: Kinji Fukasaku, mit Takeshi Kitano (http://en.wikipedia.org/wiki/Battle_Royale_(film))
„Homo homini lupus“ – Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen
Die Vision Japans, die Regiealtmeister Kinji Fukasaku in seinem 60. Film „Battle Royal“ zeichnet, ist düster, brutal und würde Sonnenscheinchen Hobbes sicher gefallen. Um der rebellierenden Jugend Einhalt zu gebieten und dem Volk das Blut und die Vergeltung zu gewähren, nach der es dürstet, wird eine Bildungsreform verabschiedet, die es in sich hat. Sie sieht vor, dass jedes Jahr eine 9. Klasse entführt und auf einer abgelegenen Insel zu einem Kampf auf Leben und Tod verdammt wird. Klingt nach einem wilden Mash-Up aus Survival of the Fittest, „Herr der Fliegen“, Stanford-Prison-Experiment, „Wedlock“ und 10 kleine Negerlein? Ist es auch – aber doch auch so viel mehr. Das was sich die erschreckend jugendlichen Protagonisten zu den Klängen von Wagner und Bach da antun, verstört und erschreckt, ist aber nie nur Effekt. Allein schon der, wie gewohnt großartige, Takeshi Kitano („Takeshi’s Castle“) als Initiator und düsterer Mittelpunkt des blutigen Treibens unterscheidet diese Perle von sich ähnlich gebärdender Massenware. Von Quentin Tarantino zum besten Film seit 1992 gekürt, vom Amtsgericht Fulda zwischenzeitlich beschlagnahmt und eventuell nur noch kurzzeitig verfügbar. Da sein, heißt begeistert sein.
Horrors Of Malformed Men / Kyôfu kikei ningen: Edogawa Rampo zenshû
Japan 1969, 99 min, OmeU, Regie: Teruo Ishii (www.imdb.com/title/tt0142257/?ref_=fn_al_tt_1)
„Horrors Of Malformed Men“ – im Original eher Grauen DER und nicht VON – ein Mann ohne Gedächtnis erforscht seine Vergangenheit, findet seinen irren Vater, der gottgleich missgebildete Männer erschafft, um dann wieder Frauen zu unterwerfen – absurde Beziehungs-, Familien- und Machtspiele – nach Kurzgeschichten des japanischen Poe’s Rampo – „Freaks“ und „Island Of Lost Souls“ sehr nahe, in Sergio Leone-Cinemascope-Gedächtniseinstellungen aufgelösten Tanztheaterstücken des Black Butoh-Mitbegründers Hilikata, eine Art Pina Bausch/Otto Mühl-Fist-in-your-Face für Japaner. Ein Affront aus dem Studiosystem der Toei, kaum gezeigt, schlecht beworben und vom Regisseur als unwichtig abgetan! Tabubrüche EN MASSE garantiert, die den heutigen Zuschauer in ihrer Theatralität aber eher amüsieren. Vielfilmer Ishii gab den Affen ordentlich Zucker und vergnügte sich mit Kunststudenten auf Acid – eine 10-minütige surreale Reise durch die Insel der Malformed Men ähnelt Jodorowsky’s Visionen – und wer wirklich liebt, der muss auch explodieren können!

 

Der Wildeste von allen / Gekitotsu! Satsujin ken
Japan 1974, OmeU, Regie: Shigehiro Ozawa, mit Shin’ichi „Sonny“ Chiba (http://en.wikipedia.org/wiki/The_Street_Fighter)
Drei Filme mit Sonny Chiba wolle er sich an seinem Geburtstag anschauen, erzählt Christian Slater seiner ungläubigen Gesprächspartnerin in „True Romance“. So macht Quentin Tarantino als Drehbuchautor unmissverständlich klar: An diesem Sonny Chiba muss was dran sein.
„The Street Fighter“ ist der erste Film einer Trilogie um den Auftragskiller Takuma Tsuguri. Takuma macht für Geld eigentlich alles. Moral ist bei ihm stets in erster Linie Zahlungsmoral. Natürlich kann er es sich leisten, denn er verfügt zwar nicht über Skrupel, wohl aber über eine weitgehend konkurrenzlose Kampftechnik. Im Zuge der Entdeckung seines Restgewissens macht er sich allerdings die Yakuza zum Feind.
„The Street Fighter“ kann man durchaus als japanische Reaktion auf den Erfolg von Bruce Lee werten. Und da man ja nicht einfach das Gleiche nochmal machen kann, macht man Ähnliches, aber härter. Nicht so elegant und visuell bestechend, wie es das deftige japanische Genrekino der 70er auch vorgeführt hat. Dafür hart und konsequent. Auf jeden Fall steckt vielen Figuren am Ende mehr und Substanzielleres in den Knochen als der Schock.
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