55. Nordische Filmtage Lübeck 2013

Dokumentarfilmprogramm zeigt Expeditionen in die Natur und das Menschliche zwischen Poesie und Politik

Die Dokumentarfilmsektion der 55. Nordischen Filmtage Lübeck zeigt in diesem Jahr vier kurze und 26 Lang-Dokumentationen. Thematisch bewegen sich die Geschichten zwischen Aufbruch und (Wieder-) Entdeckung: DIE EXPEDITION ANS ENDE DER WELT (Regie: Daniel Dencik) begleitet ein Team aus Wissenschaftlern und Künstlern auf ihrer Entdeckungsreise an die Küste Grönlands. In NÖRDLICH DER SONNE erkunden zwei junge Regisseure das arktische Polarmeer und zeigen nicht nur ihre Begeisterung fürs Surfen, sondern auch für die Umwelt. Aus einer unverklärten und persönlichen Sicht beschreibt DER WEG IST KEIN ZIEL die Strapazen einer Nordgrönland-Expedition des Kameramannes Martin Varga, der nach wochenlanger Wanderung Sehnsucht nach einer Currywurst hat.
In NIRGENDS ZU HAUSE von Margreth Olin dagegen wünschen sich jugendliche Flüchtlinge nach einer Odyssee der Not, in ihrer neuen Heimat Norwegen bleiben zu dürfen. Olin schlägt in ihrer 90minütigen Doku eine Brücke zu den jungen Opfern der Anschläge von Utøya, die Kari Anne Moe in TÖDLICHER SOMMER – NORWEGENS JUGEND UND DIE ANSCHLÄGE sensibel portraitiert. BLÜTEN VOM ÖLBERG von Heilika Pikkov erzählt vom bewegten Leben einer estnischen Nonne, die seit mehr als 20 Jahren in Israel lebt.
Die Natur als Ort und Motiv spielt eine ganz besondere Rolle in EINE GESCHICHTE VOM WALD, in dem das Regie-Duo Ville Suhonen und Kim Saarniluoto ein magisches Bild der Schönheit finnischer Wälder zeichnen. Als Vorfilm läuft DER TRAUM VOM STEINADLER (Regie: Benjamin Ree). Juha Suonpääs AUF DEN SPUREN DER WÖLFE zeigt die Tiere aus der Sicht des Wolfspflegers Seppo Ronkainen.
Zwischen den Grenzen der Poesie und Politik mäandert der Dokumentarfilm in diesem Jahr besonders im international vielbeachteten und preisgekrönten THE ACT OF KILLING von Joshua Oppenheimer. Iva Heinmaas DIE SAMURAI VON TSCHERNOBYL erinnert an die tödliche Realität der unzähligen estnischen Helfer nach der Reaktorkatastrophe. Weiter nördlich, in Weißrussland, waren die irischen Filmemacher Mark Byrne und Rob Dennis für UNTER DER KNUTE mit Oppositionellen in der Hauptstadt Minsk und auf dem Land unterwegs und berichten über Bespitzelung und Repression. Die Regisseurin Ivalo Frank zeigt in OPEN kriminelle Straftäter aus Grönland, die in Dänemark in einer geschlossenen Psychiatrischen Klinik leben, während sich EIN GLÄUBIGER IST WIE EINE INSEL einer verwaisten Kirche auf der estnischen Insel Ruhnu widmet.
Menschen, die unter den Auswirkungen ökologischer Katastrophen leiden, begegnen wir in ASCHE von Herbert Sveinsbjörnsson, der Landwirte aus Island nach dem Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull befragt. In KIRUNA – WELTRAUMSTR. kehrt Liselotte Wajstedt in ihre schwedische Heimatstadt gleichen Namens zurück, um die Geschichte und persönliche Erinnerungen an die Minenstadt aufleben zu lassen. Grímur Hákonarson lässt in DIE LAXÁ-BAUERN Tatbeteiligte die Hintergründe zum Sprengstoffanschlag auf einen isländischen Staudamm im Jahr 1970 offenbaren und DIE CHRONIK DES LETZTEN TEMPELS reflektiert den kontrovers diskutierten teuersten öffentlichen Bau Lettlands: den der Nationalbibliothek.
Einen musikalischen Schwerpunkt der Dokumentarfilmsektion bilden drei besondere Filme: BESCHWERDECHOR von Regisseurin Ada Bligaard Søby ist der Film zum partizipativen Chorprojekt der NFL in Kooperation mit der Musikhochschule. In MITTSOMMERNACHTSTANGO begibt sich die deutsche Regisseurin Viviane Blumenschein auf die Spuren des finnischen und argentinischen Tango und Mika Ronkainen vereint in FINNISCHES BLUT, SCHWEDISCHES HERZ die Erinnerungen von Vater und Sohn mit der Geschichte der finnischen Migration nach Schweden in einem musikalischen Roadmovie. Zu den beiden letztgenannten Filmen veranstalten die Nordischen Filmtage Lübeck am 31.10.13 einen „Finnischen Tango Abend“ in Kooperation mit Klaffi Productions und der Finnish Film Foundation. Hierbei können die Besucher der Filme ab 21.30 Uhr im Kolosseum beim Konzert von Mirella Hautala und der Band MÃ¥nskensorkestern mit dabei zu sein.
Im Vordergrund der folgenden Dokumentationen in diesem Jahr stehen zwischenmenschliche Beziehungen und die Konfrontation mit Lebenskrisen. Einfühlsam porträtiert Katrine Philp in TANZ FÜR MICH einen jungen russischen Profitänzer auf dem Weg nach oben. Ganz stark müssen die Protagonistinnen von QUELLEN DER KRAFT (Regie: Joonas Berghäll und Katja Gauriloff) sein, die mit der Diagnose Krebs konfrontiert sind. Die zwölfjährige Katrine erleidet das gleiche Schicksal und kann nur noch auf eine Stammzellentherapie hoffen. EIN GANZ NORMALES LEBEN (Regie: Mikala Krogh) versucht ihre Familie ihr dabei zu ermöglichen. Ein gesellschaftliches Tabu-Thema berührt EIN MANN WIE SIE von der populären isländischen TV-Moderatorin Ragnhildur Steinunn Jónsdóttir, die eine junge Frau auf ihrem Weg zur Geschlechtsangleichung begleitet. GESPRÄCHE ÜBER ERNSTE THEMEN von Regisseurin Giedre Beinoriuté lässt Kinder und Jugendliche zu diversen Themen vor der Kamera unverfremdet zu Wort kommen und Marat Sargsyan hat mit VATER das außergewöhnliche Portrait eines Familienvaters mit krimineller Vergangenheit erschaffen. Die Vergangenheit holt die schwedische Regisseurin Mia Engberg in BELLEVILLE BABY nach vielen Jahren ein, als sich eine alte Liebe aus ihrer Studienzeit bei ihr meldet. In MEIN ZEUGS lagert der Fotograf und Filmemacher Petri Luukkainen seinen materiellen Besitz ein und erlaubt sich, nur einen Gegenstand pro Tag zurückzuholen. So möchte er dem Konsumrausch entsagen.
Am 2. November 2013 wird der mit 2.500 Euro dotierte Dokumentarfilmpreis der Lübecker Gewerkschaften für einen „gesellschaftspolitisch besonders engagierten Film“ aus dem Dokumentarfilmprogramm des Festivals bei der Filmpreisnacht verliehen.
(nach einer Pressemitteilung der NFL)
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