17. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide 2013

Wrestling in der Nachbarschaft

„Kieler Giganten“ (Kathleen Schinkowsky und Andreas Walter, Deutschland 2010/12)

Wer hätte schon – bis auf Insider und Fans – gedacht, dass es in Kiel eine Wrestling-Szene gibt? „Kieler Giganten“, eine erfrischend unprätentiöse Kurzdokumentation, die im Rahmen eines Seminars an der Kieler Uni entstanden ist, belehrt uns eines besseren. Die vorher vermutete Selbstgefälligkeit geht den Protagonisten in diesem Film völlig ab, was bei Kämpfern in dieser Sportart auf den ersten Blick sehr verwunderlich scheint, da Wrestling doch sehr viel Wert auf Äußeres legt, z.B. auf Rollenspiel, affektiertes Reagieren und Imponiergehabe. Vielleicht liegt es am Alter der Sportler, die sich jede Woche in der „Sportschule Yawara“ in Universitätsnähe treffen, um zu trainieren und den Sport weiter zu erlernen. Es sind in der Regel junge Leute, meist noch Schüler oder Studenten, die mit diesem „Show-Sport“ einen Ausgleich zu ihrem Alltag finden.
Der Film lässt uns einen Blick hinter die Kulissen des Kieler Wrestlings werfen. „L.A. Silva“ (der Kämpfername von Lars Gulke) und „Constantin“ (Jendrik Wellendorf) erzählen so z.B. wie sie zum Wrestling gekommen sind und was sie besonders an diesem Sport schätzen. Auch einige junge Frauen haben das Wrestling für sich entdeckt und machen einen selbstbewussten Eindruck, auch wenn sie mit ihrem Geschlecht in der „Yawara Sportschule“ in der Minderheit sind. Muras Aktas, der relativ lange dabei zu sein scheint, hat die Rolle eines Trainers übernommen. Er bringt seinen Schützlingen bei, wie sie richtig fallen, was die entscheidende Voraussetzung für die späteren Kämpfe ist, also das A&O des Wrestlings, weil es natürlich ein möglichst schmerz- und verletzungsfreies Kämpfen garantieren, aber dennoch die Illusion des Echten und Dramatischen bewahren soll.
Exotischer Sport mitten unter uns: „Kieler Giganten“
Der Film zeigt ungeniert das Training, legt so auch gewisse Tricks beim Wrestling offen, wie z.B. Schläge, die echt wirken sollen, aber nur angetäuscht werden. Er bricht damit ein traditionelles Tabu des Wrestlings, bei dem das Verheimlichen dieser Kampftricks so „heilig“ ist wie das Verschweigen von Tricks bei Zauberern. Hier kommt der Film so auch zu der „ewigen“ Frage, was beim Wrestling „fake“ und was „echt“ ist. Trotz der Offenheit in manchen Dingen lässt der Film die Antwort darauf in der Schwebe, nimmt dem Sport nicht sein „Geheimnis“.
Erstaunen mag es den Unbedarften, wie beliebt das Wrestling in Kiel zu sein scheint, auch wenn es hier noch lange nicht am Endpunkt seiner Entwicklung zum ausgereiften Amateursport angekommen sein mag. Bei öffentlichen Veranstaltungen füllen Wrestling-Kämpfe mit gut 200 bis 250 Zuschauern regelmäßig die Halle der „Sportschule Yawara“, die auf einem Hinterhof liegt. Alle Wrestling-Shows waren bisher nach Bekunden der Veranstalter ausverkauft. Der Film lässt aufgeregte Atmosphäre und tolle Stimmung schnuppern, wenn „Face“ (der Gute) und „Heel“ (der Böse) aufeinander treffen. Murat Aktas gesteht, dass bei diesen Kämpfen nur der Verlauf im Groben vorgegeben wird, dass es aber zu viel erwartet wäre, wenn nun wie bei den Profis ein richtiges „Script“ abgearbeitet würde, wenn demnach die aufgeregten jungen Amateure, eine komplizierte „Storyline“ lernen und dann auf die Kampfbretter bringen würden. Originalton Murat: „Das wäre wohl zu viel Druck für sie.“
Aber immerhin, das zeigen die Filmmacher neugierig und anregend zugleich, gibt es in Kiel tatsächlich die Möglichkeit, einen solchen doch recht exotischen Sport auszuüben oder als Zuschauer und/oder Fan, quasi in seiner Nachbarschaft, zu begleiten. Und das mag Fans doch für ihre möglichen Erwartungen bezüglich der vom Fernsehen her gewohnten Professionalität entschädigen. (Helmut Schulzeck)
„Kieler Giganten“, Deutschland 2010/12, 29 Min., Regie: Kathleen Schinkowsky und Andreas Walter, Kamera: Nico van Baal, Albert Maekitalo, Alexander Joachimsmeier, und Peer Rogge, Schnitt: Jackie Gillies. Der Film entstand im Rahmen des von Prof. Dr. Christian Huck geleiteten Seminars „Producing a Documentary“ (Sommersemester 2010) an der Christan-Albrechts-Universität Kiel.
„Kieler Giganten“ wird auf dem 17. Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide am Samstag, 16. März 2013, 15.30 Uhr in der Pumpe, Haßstr. 22, 24103 Kiel, gezeigt.
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