Verbotenes Lichtspiel präsentiert: „Halb tot“

Halb voll oder halb leer – der alte Streit um die Perspektive, wenn es um ein Glas mit Flüssigkeit geht. Halb tot oder halb lebendig? Ist das auch eine Diskussion wert? Hier ist doch die Perspektive klar. Erst lebt der Mensch und dann entweicht das Leben. Ist es einmal ausgetrunken, schenkt niemand nach, auch nicht zur Hälfte. Im Kino ist das aber manchmal anders. Hier ist der Tod keinesfalls so endgültig. Ob allerdings das, was nach dem Tod kommt, und wir meinen hier nicht Harfe spielen auf einer gemütlichen Wolke, wirklich Leben ist? Die sechste Ausgabe von Verbotenes Lichtspiel versammelt Filme, die Figuren mit stark eingeschränkter Lebendigkeit vorführen. Wir haben uns für den Titel „Halb tot“ entschieden und damit für die eindeutig pessimistischere Perspektive. Die gezeigten Filme geben dafür allemal Anlass.
Schon Frankenstein war nicht wirklich erfolgreich, geschweige denn glücklich mit dem Ergebnis seiner Labortätigkeit. Dieser überehrgeizige Umgang mit Leichen(teilen) hätte dem „Re-Animator“ (1985 – 21.3.2013, Luna) eine Lehre sein können, aber Pustekuchen. Friedhofswärter Rupert Everett muss in „Dellamorte Dellamore“ (1994 – 19.3.2013, Weltruf) spätestens dann feststellen, was für einen zweifelhaften Job er da angenommen hat, als eine Gruppe tödlich verunglückter Pfadfinder die endgültige Grabruhe verweigert. Und auch der ausgewiesene Experte Master Gau hat in „Mr. Vampire“ (1985 – 13.3.2013, Schaubude) alle Hände voll zu tun, erfolglose Bestattungsvorgänge auszubügeln. Schon so gut wie tot, an der Oberfläche aber noch quick- und damit höchstens halb lebendig, ist dagegen das anvisierte Opfer eines Mordanschlags in Stephen Frears“˜ „Die Profi-Killer – The Hit“ (1984 – 7.3.2013, Hansafilmpalast). Derweil erweist sich in David Cronenbergs „Parasiten-Mörder“ (1975 – 28.3.2013, Traum-Kino) unbändiger sexueller Appetit nicht gerade als Symptom gesteigerter Lebensintensität – eher im Gegenteil. Und der dezidiert diesseitige „I Saw the Devil“ (2010 – 23.3.2013, Koki) rückt dafür einen Serienmörder ganz nah an die Grenze zum Jenseits und wieder weg und wieder nah heran und wieder …
Ob es um den Zusammenhang von Lust und Tod geht (Vampire, parasitenbedingte Geilheit) oder um die groteske Deformation menschlicher Eigenschaften (Zombies); ob es um die Weigerung geht, den Tod anzuerkennen (Wiederbelebung) oder um den Kampf gegen sein endgültiges Eintreten. Immer spiegelt sich darin eine höchst menschliche Disposition: die Angst vor dem Tod – und die Sorge um das Leben danach.
7.3.2013, 21 Uhr, Hansafilmpalast (Hansastr. 48):
Die Profi-Killer – The Hit
GB 1984, 98 Min., OmeU. Regie: Stephen Frears, Drehbuch: Peter Prince, Kamera: John A. Alonzo, Mike Molloy, Musik: Eric Clapton, Paco De Lucia, Darsteller: Terence Stamp, John Hurt, Tim Roth, Laura del Sol
„We Will Meet Again, Some Sunny Day“ stimmen ein rüder Haufen Londoner Gangster im Gerichtssaal an. Das Ständchen gilt Willie Parker (Terence Stamp), der gerade gegen seine ehemaligen Komplizen ausgesagt hat und deshalb als Kronzeuge straffrei ausgeht. Der Freispruch ist gleichzeitig sein Todesurteil und die Vollstreckung nur eine Frage der Zeit. Zehn Jahre später spüren ihn der stets übel gelaunte Profikiller Braddock (John Hurt) und sein schießwütiger Lehrling Myron (Tim Roth) in Spanien auf. Parker überrascht seine Henker auf der Autofahrt nach Paris zu seinem verratenen Boss: Er erwartet seine Hinrichtung mit Gelassenheit. Dafür werden die Killer durch die attraktive Spanierin Maggie (Laura del Sol) aus der Bahn geworfen. Aus dem Gang zum Schafott wird ein Road Trip mit ungewissem Ausgang. „The Hit“ ist eine Mixtur aus britischem Gangsterfilm, Neo-Noir und philosophischem Road Movie, der ganz beiläufig Rollenklischees begräbt und damit den Weg frei macht für eine neue Generation von Filmgangstern.
13.3.2013, 21 Uhr, Schaubude:
Mr. Vampire
Hongkong 1985, Regie: Ricky Lau, OmeU
Manche Bilder bleiben. Hängen im Kopf, im Herzen. Fühlen sich an wie verliebt Sein: Ein Geistermädchen, auf dem Fahrradgepäckträger eines Jungen, getaucht in Kunstnebelschwaden und eine vom blauen Licht der 80er geflutete Nacht. Der Film kontert es einen Schnitt weiter mit brutalem Slapstick. Horrorkomödie mit Zwischentönen. Ein wiederauferstandener Vampir im Blutrausch, ein taoistischer Priester, der ihn zur Strecke bringen will. Helfen sollen bewährte Hausmittel, reichlich Kung Fu und seine beiden Trottel-Schüler, denen Amor droht, Hirn und Hose platzen zu lassen. Hier tanzen die Teufel nicht, sondern hüpfen. Frei von den hedonistischen Anwandlungen ihrer westlichen Verwandtschaft, sind chinesische Vampire, genannt Kyonsi, äußerst übellaunige Gesellen, dem Zombie nicht ganz unähnlich. Asienreisende aufgepasst, andere Vampire, andere Regeln. Im Tonfall schon mal an Sam Raimis „Evil Dead“-Filme, Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ oder Laurel & Hardy erinnernd, hüpft Ricky Laus kleines Meisterwerk doch auf unverkennbar eigenen Beinen. Angereichert mit etwas Voodoo, amourösen Verquickungen und Seele satt, ist „Mr. Vampire“ die Film gewordene Definition einer guten Zeit. Dein Facebook Post aus der Zukunft, Kategorie Lieblingsfilm.
19.3.2013, 21 Uhr, Weltruf:
Dellamorte Dellamore
Italien/Frankreich/Deutschland 1994, 99 Min., englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
Auferstandene Tote zu töten, gehört zu Francescos Job als Friedhofswärter dazu – buisness as usual. Diese Melo-Splatter-Noir-Komödie ändert ihren surrealen Lauf, als er sich verliebt – Schein und Sein verschwimmen, was ist noch liebens- und lebenswert? Michele Soavi, assistant director von Dario Argento, second unit director von Terry Gilliam, hat hier ein Meisterwerk erschaffen. In kunstvoll arrangierten Bildern entwickelt sich ein Verwirrspiel der Realitäten, ein komplexes Arrangement von Liebe zwischen Mann und Frau und Ding. Rupert Everett in der Hauptrolle erscheint wie der tragische Bruder Bruce Campbells aus „Evil Dead“, Anna Falchi darf gleich dreimal die femme fatale geben, und über allem schwebt etwas Poe und „Vertigo“. Verfilmung eines erfolgreichen italienischen Comics.
21.3.2013, 21 Uhr, Luna:
Re-Animator
USA 1985, 86 Min., OmdtU, Regie: Stuart Gordon, mit: Jeffrey Combs, Bruce Abbott
Daniel Cain ist Medizinstudent und auf der Suche nach einem neuen Mitbewohner. Fündig wird er bei Herbert West, der nach einem blutigen Vorfall seines bisherigen Studienortes verwiesen wurde. West zieht ein, errichtet im Keller des Hauses ein Laboratorium, und die verlässlichen Genreregeln geschuldete Katastophe nimmt ihren Lauf. Nach der erfolgreichen Wiederbelebung der Hauskatze, Steigerung des aggresiven Potentials inbegriffen, versuchen sich die Beiden an größeren Aufgaben. Stuart Gordens Regiedebut von 1985 markiert mit einigen anderen, heute als Klassiker verehrten Filmen, z.B. „Evil Dead“ einen Wendepunkt im Bereich des Horrorfilms. Hatten Filme wie „Cannibal Holocaust“ die Grausamkeit auf eine kaum erträgliche Spitze getrieben, garniert Gordon seine farbenfrohe Gewalt mit schwarzem Humor und gewährt dem Zuschauer so Momente der Entspannung. „Re-Animator“bedient sich munter bei den Untoten, Mad Scientists und Laboratorien seiner literarischen Paten Lovecraft und Shelly, steht bei der gestrafften Handlung konsequent auf dem Gas und lässt auch den Genre-Fan nicht zu kurz kommen. Ein Filmbastard dessen kreative Einfälle, wie Dr. Hills abgetrennter Kopf auf amourösen Abwegen, auch heute noch begeistern.
23.3.2013, 22.30 Uhr, Koki:
I Saw the Devil
Korea 2010, 144 Min. OmU. Regie: Kim Jee Woon. Mit Lee Byung Hun, Choi Min Sik
Nicht nur im Norden der koreanischen Halbinsel finden sich Menschen, die ihrer Umgebung – sagen wir es mal so – Schaden zufügen. Nein, auch im Süden hat noch so mancher Zeitgenosse Nachholbedarf, was Umgangsformen angeht. Da ist z.B. der Serienmörder Kyung Chul, der tagsüber einen Schulbus fährt, abends aber mit dem selben Fahrzeug einsame Landstraßen nach Opfern absucht, denen er dann – sagen wir es mal so – Schlimmes, wirklich Schlimmes antut. Sein jüngstes Opfer ist die Tochter des Polizeipräsidenten. Soo Hyeon, ihr Verlobter, sinnt auf Rache (was man verstehen kann), und stellt dem Killer nach. Bald schon macht er ihn ausfindig – aber er tötet ihn nicht, sondern fügt ihm nur üble, wirklich üble Verletzungen zu, um, sobald Kyung Chul sich erholt hat, die Jagd fortzusetzen … Einen härteren Film (wir sprechen jetzt mal nur von den regulären Kinoproduktionen) haben Koreas Leinwände noch nicht gesehen – 80 Sekunden wurden gekürzt, damit er überhaupt aufgeführt werden konnte. Hierzulande befinden die Richter gerade über die endgültige Verbannung. Also schnell gucken, bevor er verboten wird.
28.3.2013, 22.15 Uhr, Traum-Kino:
Parasiten-Mörder
„Shivers“ aka „The Parasite Murders“ aka „They Came from Within“, Kanada 1975, Originalfassung mit deutschen Untertiteln, Regie: David Cronenberg, mit: Paul Hampton, Barbara Steele, Lynn Lowry, Joe Silver, Ronald Mlodzik, Fred Doederlin, Allan Migicovsky
Ein moderner Wohnkomplex soll seinen Bewohnern allen Komfort bieten. So suggeriert es zumindest der Werbefilm, mit dem David Cronenberg seinen ersten Kinofilm „Parasiten-Mörder“ beginnen lässt. Nicht nur der verräterische Titel, auch die seltsame Machart des Clips schürt erstes Unbehagen, zum Beispiel die Informationen über das ausgefeilte Sicherheitssystem. Dass die Bedrohung nicht (allein) von außen kommt, macht auch einer der drei originalen Alternativtitel klar: „They Came from Within“. Wie sich in dieser vermeintlich sicheren Festung nun das Begehren ausbreitet, inszeniert Cronenberg in der für ihn typischen distanzierten, ein wenig klinischen Weise. Es steht manifester und blutiger Körperhorror neben der Groteske und sogar gelegentlichen humoristischen Anflügen. Vor allem aber besticht die surreale Atmosphäre und die Kühnheit, mit der der Film seine zentralen Fragen im wahrsten Sinne des Wortes Fleisch werden lässt: Bricht sich Sexualität gewaltsam Bahn, wenn sie verdrängt wird? Darf man da nachhelfen? Oder ist die Verdrängung eine eigentlich gebotene Präventivmaßnahme gegen eine weltweite Epidemie, und man rührt besser nicht daran? Oder lässt sich das – besonders misslich – gar nicht entscheiden?
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