63. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2013
Den Tod im Gepäck
„Meine Schwestern“ (Lars Kraume, D 2012/13)
Lars Kraumes Film „Meine Schwestern“ ist ein Film über Emotionen. Drei Schwestern werden mit dem Tod konfrontiert. Eine von ihnen wird in wenigen Tagen sterben, was sie aber noch nicht wissen. Sie verbringen noch einmal ein verlängertes Wochenende miteinander, steigen aus ihrem Alltag aus, setzen sich mit einander auseinander. An äußerer Handlung passiert nicht viel. Der Film hat über gewisse Strecken auf den ersten Blick nicht so viel zu erzählen, verlässt sich eher darauf, emotionale Situationen und die Gefühligkeit der Protagonistinnen zu schildern. Ein unausgesprochenes Abschiednehmen liegt über den Tagen, kontrastiert mit bewusst gelebter Lebensfreude, die vereinzelt aus den Frauen hervorbricht.
Zu Beginn steht der Tod der Hauptfigur und das heißt, das „eigentliche“ Filmende. Linda ist gestorben und wird in den Leichenraum des Krankenhauses gebracht. Aus dem Off hören wir die Filmfigur ihr Ende kommentieren, was signalisieren soll, es gibt für die Verstorbene ein Danach. Gleichzeitig wird Linda auch zur Erzählerfigur gemacht, die aber nun nicht den ganzen Film lang durch die Handlung führt, sondern nur ein paar Informationen über die Vorgeschichte und die Schwesternkonstellation liefert. Linda hat wegen eines angeborenen Herzfehlers schon viele Operationen hinter sich gebracht. Sie hat nicht damit gerechnet, 30 Jahre alt zu werden. Nun steht ihr wieder eine Operation bevor, und sie ahnt, dass sie diese nicht überstehen wird. Deshalb beschließt sie, zuvor mit ihren beiden Schwestern noch ein paar Tage gemeinsam zu verbringen.
Jördis Triebel spielt diese ruhige, für ihr Alter schon ziemlich reife Frau mit gelassener Intensität. Ihre Linda hat 30 Jahre Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass der nächste Tag schon der letzte sein könnte. Als „mittlere“ zwischen jüngerer und älterer Schwester hat sie einen ausgleichenden Charakter und vermittelt quasi bei den Konflikten ihrer Schwestern untereinander, moderiert das Miteinander. Nina Kunzendorf spielt nicht minder glaubwürdig die ältere Schwester, die kontrollieren will, meint auf ihre Schwestern aufpassen zu müssen und oft mit dieser selbst gewählten Rolle überfordert scheint. Lisa Hagmeister schließlich hat das Drehbuch den undankbarsten Part von den dreien zugeschrieben, ohne ihr Verhalten recht nachvollziehbar motivieren zu können. Es wird einfach, eher als charakterliche Eigenschaft, gesetzt, dass die jüngste Schwester, Clara, als das ewige Nesthäkchen zart verhuscht, ständig fast den Tränen nah, eher verzagt denn selbstbewusst, sich zu kurz gekommen glaubt, mit den Schwestern nicht mithalten kann und frustriert um Aufmerksamkeit, besonders von Linda buhlt.
Lisa Hagmeister, Jördis Triebel, Nina Kunzendorf (v.l.n.r.) in „Meine Schwestern“
Das Spiel dieser weiblichen Charaktere mit- und gegeneinander ist eigentlich das Interessante an Kraumes Film. Nicht die äußere Handlung. Sie ist eher banal und nur gegen Schluss auf den Stufen hinauf zur Sacré CÅ“ur für einige Momente tatsachlich dramatisch. Zuerst fahren die drei Frauen mit dem Zug in den Urlaubsort ihrer Kindheit und Jugend an die schleswig-holsteinische Nordseeküste, der Erinnerungen an pubertär wilde, aber heile Zeiten evoziert, dann spontan zu Tante (Angela Winkler) und Onkel (Ernst Stötzner) nach Paris, immer die Herzschwäche und den „angedrohten“ Tod von Linda im Gepäck und vor Augen. Kurzfristige Zusammenbrüche Lindas gemahnen denn auch zur Vorsicht aber auch zum „carpe diem“. Die Handlung ergibt sich meist nicht zwingend aus den einander folgenden einzelnen Szenen. Diese könnten auch ganz anders gereiht sein.
Regisseur Kraume erzählte, dass er gerne mit den drei Schauspielerinnen, mit denen er schon bei anderen Fernsehproduktionen zusammen gearbeitet hatte, einen Film machen wollte, und er in seiner Familie einer ähnlichen Todesfall wie den von Linda gehabt habe. Also traf man sich schon vor Jahren mit Drehbuchautorin Esther Bernstorff für ein langes Wochenende und improvisierte Szenen, die gleich in einem ersten Drehbuchentwurf festgehalten wurden. Im Nachhinein scheint es logisch, dass daraus eher die Reihung einzelner Stationen erwuchs als eine an Dramatik zunehmende Sterbegeschichte. Zumal der Regisseur betont, dass sie alle eine Geschichte über das Leben erzählen wollten und auch erst während des Drehens der Tod der Hauptfigur „beschlossen“ wurde.
Die Handlung des Films trabt notgedrungen bisweilen auf der Stelle, zumal die Figurenkonstellation nach spätestens einer halben Filmstunde so gut wie auserzählt ist und wir nun eine Abfolge ähnlicher Situationen erleben. So reicht der Film schließlich insgesamt gesehen selten über die Qualität eines „normalen“ Fernsehfilms hinaus, und es verwundert schon, dass sich doch noch ein mutiger Verleiher für diese nur fürs Fernsehen vorgesehene Produktion gefunden hat, der den Film im Herbst in die Kinos bringen will. (hsch)
„Meine Schwestern“, D 2012/13, 88 Min., Buch: Ester Bernstorff, Regie: Lars Kraume, Kamera: Jens Harant, Schnitt: Barbara Gies, Darsteller: Jördis Triebel, Nina Kunzendorf, Lisa Hagmeister, Angela Winkler, Ernst Stötzner