17. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide 2013
Die zwei linken Hände des Wolfgang Böhme
“Fallwurf Böhme – Die wundersamen Wege eines Linkshänders” (Heinz Brinkmann, D 2012)
“So hat’s dann doch immer gepasst – Linkshänder halt”, sagt Wolfgang Böhme rückblickend. Wolfgang Böhme, Handball-Star in der DDR, so steile Karriere wie bei seinem legendären Fallwurf von rechts, wie dann der von Linksaußen eingeleitete Fall durch die Stasi. 1974 verhilft der 1949 in Wolfen als eineiiger Zwillingsbruder zehn Minuten nach Matthias Geborene, in Heringsdorf auf Usedom aufgewachsene Böhme der DDR-Nationalmannschaft im eigenen Land zur Vizeweltmeisterschaft bei der 8. Handball-Weltmeisterschaft. Ein Jugendfreund aus alten Heringsdorfer Tagen, Heinz Brinkmann, zeichnet nun seine wechselvolle Geschichte in der Doku “Fallwurf Böhme – Die wundersamen Wege eines Linkshänders” nach.
Böhmes sportliches wie privates Leben ist gezeichnet von der Blockkonfrontation zwischen DDR und BRD in den Jahren, als der Kalte Krieg auf dem Höhepunkt war und jeder sportliche Wettkampf zwischen Ost und West auch unter dem Zeichen stand, den “Klassenfeind zu besiegen”. Im Handball war die DDR in den 70er Jahren international führend, die BRD unter Trainer Vlado Stenzel nur ein kleines Licht. Dennoch gelang der BRD 1976 in der Olympia-Qualifikation trotz knapper Niederlage gegen die DDR-Mannschaft, deren Spieler für den ehemaligen BRD-Nationalspieler und späteren Bundestrainer Heiner Brand “damals Idole waren”, die Qualifikation für die Spiele in Montréal.
Wolfgang Böhme verzeichnet das in seinem Tagebuch, an dem sich Brinkmann entlang hangelt, zwar als persönliche Niederlage. Aber der linkshändige Draufgänger und Jungspund mit Liebschaft(en) für so viele schöne Frauen, deren Fotos er in sein Tagebuch einklebt, zeigt sich darin als durchaus nachdenklicher (SED-) Zeit-Genosse. Welche “Linkshändigkeit” ihm später zum Verhängnis werden sollte. Denn nicht nur wegen seines Faibles für westliche “Beat-Musik” und – eben die Frauen – gilt Böhme bei den IM’s, zu denen auch, wie sich später herausstellte, Mitspieler im DDR-Handballnationalkader gehören, als unsicherer Kantonist. Den füttert man freilich dennoch mit Westbesuchen und Doping-Pillen – “aufbauende Maßnahmen” nannte man das damals beides euphemistisch.
(Un-) gleiche Zwillingsbrüder auf linkshändischer Vergangenheitssuche: Matthias (links) und Wolfgang Böhme (Still aus dem Film)
1980, kurz vor den Olympischen Spielen in Moskau, haben DDR-Sportchef Manfred Ewald und die Stasi allerdings die Nase voll von ihrem “Linkshänder”: Böhme wird relegiert – und für die DDR-Öffentlichkeit “legendisiert”: “Verfehlungen” wie Westkontakte werden ihm vorgeworfen, daher sein erzwungener Abgang auf der Höhe seiner Handballkarriere.
Böhme hegt darüber heute kaum einen Groll. Irgendwie sei das logisch gewesen, für das System wie für ihn, der längst seinen Abgang plante wie Zwillingsbruder Matthias, der in die Schweiz ausreiste. Dem ehemaligen sozialistischen Sporthelden verweigerte man dennoch das Ausreisegesuch, so wurde der inzwischen studierte Diplom-Sportlehrer Türsteher in der Ost-Berliner Yucca-Bar – und lernte dort seine dritte Ehefrau kennen …
Erstaunlich unversehrt hat Böhme die Stasi-Beobachtung und -Gängelung etwa im Warnemünder Neptun-Hotel überstanden, in dessen Bar er als Spieler mit zwei linken Händen verkehrte, wissend, dass da jede(r) Zweite ein Stasi-Spitzel war. Auf deren Teufeleien hat er sich einerseits nie, andererseits doch manchmal eingelassen, hat dabei aber weder sich, noch anderen Schaden zugefügt. Oder doch …? Was in den Tagebüchern, aus denen Filmemacher Brinkmann ausführlich zitiert, manchmal recht naiv und blauäugig “wie zweifach links-händisch” klingt, war stets ein bisschen Selbstbehauptung gegen die Eingemeindung durch einen Staat wie überhaupt das Sportgeschäft, das sich auch im Kapitalismus, der ihm immer wieder Abwerbeangebote machte, nicht viel anders gebärdete. Böhme ist dabei widerspenstig geblieben, zwar kein Widerstandskämpfer, aber eben ein fallwurfstarker Linkshänder … (jm)
“Fallwurf Böhme – Die wundersamen Wege eines Linkshänders”, D 2012, 88 Min. Regie: Heinz Brinkmann, Buch: Heinz Brinkmann, Matthias Thalheim, Kamera: Hartmut Schulz, Schnitt: Karin Schöning, Produktion: Hartmut Schulz, Artia Nova Film in Koproduktion mit dem rbb, Förderung: Kulturelle Filmförderung Mecklenburg-Vorpommern, Filmwerkstatt Kiel der FFHSH, nordmedia Fonds GmbH Niedersachsen und Bremen, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur