63. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2013
Stillleben Weg
„Kalifornia“ (Laura Mahlberg, D 2013)
Weit und leer ist das Land zwischen den Dünen irgendwo an der Nordseeküste, über die beständig ein kalter Wind streift. Die Kamera schwenkt auf einen kleinen Wohnwagen nirgendwo in der Einöde. Da wohnt der alte Pavel (Pavel Bobrov). Aber was heißt schon wohnt? Er ist ein Tramp, seine Heimat ist das Dazwischen, nicht der Ort, sondern der Weg, und der ist ebenso weit, wie er ganz nach Innen führt.
Seltsam entrückt, fremd und zugleich vertraut mutet dieses Setting an, mit dem Laura Mahlberg, bis 2012 Filmstudentin an der Merz Akademie Stuttgart, ihren nach „Der Partisan“ (2009) und „Gelb“ (2010) dritten Kurzfilm beginnen lässt. Er begleitet ihren Protagonisten Pavel auf einer Reise, die vorderhand zu seinem Freund Jack nach „Kalifornia“, aber eigentlich aus dem Nirgendwo ins Nirgendwo führt, denn am Ende kommt Pavel dort wieder an, wo er losgetippelt ist: bei sich und seinem Fernweh.
Go West auf dem Weg in die stille Leere – Pavel (Pavel Bobrov) macht sich auf nach „Kalifornia“ (Foto: Laura Mahlberg)
„Kalifornia“ ist eine Odyssee, eine Art Road-Movie, welches das Genre konterkariert, ja komisch bricht. Denn auf seinem Weg nach Westen, der bekanntlich weit ist, begegnen ihm Gestalten, die allesamt symbolisch und zugleich komisch verschroben erscheinen. Da ist der Motorrollerfahrer, dessen Motorroller nicht fahren will, die Tankwärtin, die weder Benzin noch Kaffee verkaufen mag, zwei Lebemänner, die in einer Sushi-Bar dem sinnlosen, aber hippen Müßiggang frönen, oder die Kellnerin, die Pavel wortlos einen Aussichtspunkt mit Blick in den weiten Stadthorizont weist – vielleicht eine Sirene für den ziellosen Odysseus …?
Nicht nur hier herrscht überall eine eigentümliche Leere, führen die Wege nirgendwo hin, bleiben Haltestellen, an denen Pavel auf die Weiterfahrt wartet, in langen Einstellungen wahre Stillleben. Nicht der Weg ist hier das Ziel, sondern das Ziel der Weg, den zu Beschreiten sinnlos erscheint, weil er nirgendwo hin, geschweige weg führt. Ein Stillstand, der sich – insofern ganz „unfilmisch“ – auch im ruhigen Tempo des Films spiegelt, dessen Einstellungen (Kamera: Tony Kranz) sich immer wieder in den präriehaften Weiten der Dünenlandschaften oder der endlosen Verwinkelungen nächtlicher, menschenleerer Städte geradezu festsaugen.
Es geht nicht voran, das gelobte Land jenseits des Horizonts, das schon im eintönigen Freizeichen des Telefons, mit dem Pavel seinen entfernten Freund anruft (aber nicht erreicht), so gleichförmig säuselt wie der Wind durchs Dünengras, bleibt unerreichbar. Der Tramp kommt nirgends an. Nirgends? Doch – gerade dort, wo er schon war, am Ziel, von dem er ausging: bei sich. Und vielleicht ist das der Weg dieses Ziels, dieser beinahe buddhistischen Reise des sich aufmachenden Angekommenseins im Nichts, das Ich geheißen wird und ein weites, leeres Land ist. (jm)
„Kalifornia“, D 2013, 27 Min., QuickTime ProRes. Regie, Buch: Laura Mahlberg, Kamera: Tony Kranz, Schnitt: Anton Wezel, Darsteller: Pavel Bobrov, Elvira Köhler, Anselm Breier, Barbara Kosariszuk u.a.