17. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide 2013
Die „Mercedesmamis“ bauen das Land auf
„Nana Benz“ (Thomas Böltken, D 2012)
Der Film erzählt von Stoffhändlerinnen aus Togo, die die wirtschaftliche Emanzipation und damit auch die politische Befreiung der ehemaligen deutschen, später französischen Kolonie entscheidend mitbestimmten und damit die kleine Hauptstadt Lomé zu einer Handelsmetropole für die ganze westafrikanischen Region machten. So nüchtern lässt sich der Inhalt von „Nana Benz“ in einen Satz gerafft beschreiben. Und man möchte es vorher kaum glauben, doch der farbenfrohe und lebendige Dokumentarfilm von Thomas Böltken schafft es in knapp anderthalb Stunden, den wichtigsten Teil der Wirtschaftsgeschichte des kleinen westafrikanischen Landes Togo mit all seinen sozialen Aspekten so unterhaltsam, facsettenreich und kurzweilig aufzurollen, dass sich der Zuschauer am Ende nur verwundert, aber zufrieden bis begeistert die Augen reiben kann. Er hat viel über Westafrika, seine Menschen und ihre Kultur erfahren, sich staunend vom Tatendrang, Geschäftssinn und lebensfrohen Charakter der afrikanischen Frauen unterhalten lassen.
„Nana“ heißt übersetzt Mutter, und so waren die Nana Benz, die ersten Frauen Westafrikas, die einen Mercedes fuhren. Nana Benz, ursprünglich eine Namenserfindung der Presse, nannte man später die togolesischen Großhändlerinnen für Pagne-Stoffe, die so reich geworden waren, dass sie sich die Luxuskarossen leisten konnten und diese sogar gönnerhaft für Staatsempfänge an die Regierung ausliehen, die nach der Unabhängigkeit Togos in den 60er Jahren noch nicht so gut mit diesen Statussymbolen ausgestattet war. Pagne-Stoffe waren damals vorzugsweise in den Niederlanden industriell gefertigten Stoffe mit bunten Wachsdrucken, die sich in Westafrika großer Beliebtheit erfreuten und erfreuen. Die Nana Benz erkämpften sich den Zugang zu den großen Handelshäusern im ghanaischen Accra und versorgten diese schließlich mit Mustern für die farbigen Stoffe, wofür sie das Handelsmonopol für die entsprechend bedruckten Stoffe bekamen. Das erfolgreiche Geschäft bewirkte eine Initialzündung für die togolesische Wirtschaft und machte Lomé für Jahrzehnte zum wichtigsten Handelshafen der gesamten westafrikanischen Region.
Starke Frauen, die das Land aufbauten (Still aus „Nana Benz“)
Der Film verfolgt die Biografien von einigen Nanas, allen voran die von Manavi, die als eine der reichsten Nana Benz Geschichte geschrieben hat. 1921 in einem Dorf in ländlicher Abgeschiedenheit geboren, landet sie als junges Mädchen in Lomé, verdingt sich anfangs als Sammlerin von Kokosnussschalen, die sie als Brennmaterial verkauft, und schafft es schließlich nach ganz oben als einflussreiche Geschäftsfrau in Wirtschaft und Politik.
Sieht man Böltkens Film, so fällt es einem schwer, von Emanzipation der Frauen zu sprechen. Man hat eher den Eindruck, dass sie zumindest im Wirtschaftsleben wie selbstverständlich ganz oben mitmischten, ja sogar eher in natürlicher Rangordnung vor den Männern agierten. So bescheinigen einheimische Männer rückblickend auch gerne, dass es die „Mercedesmamis“ gewesen seien, die das Land aufgebaut hätten. Auch später haben sie, wenn es sein musste, dem Präsidenten Paroli geboten, schließlich sogar einen Generalstreik angezettelt, auf den die Regierung nur mit militärischer Gewalt zu antworten wusste, was schließlich in den wirtschaftlichen Niedergang des Landes in den 90er Jahren mündete. Zehntausende flohen in die Nachbarländer, und Lomé verlor seine ökonomische Bedeutung als zentraler Hafen Westafrikas.
Doch der Film beschäftigt sich nicht nur mit diesen Themen, sondern erzählt lebendig in vielen Farben und Geschichten von den Menschen Togos und der Bedeutung der Pagne-Stoffe für ihre Kultur. Als Brautgeschenk musste der Bräutigam der Braut ein Dutzend Pagne-Tücher schenken, sechs für jeden Arbeitstag, zwei mal sechs für zwei Lebenshälften. Die Großmütter gaben ihre Tücher den Enkelinnen als Windeln weiter. Die Muster und Farben der Stoffe „sprechen“, haben unterschiedliche Bedeutungen und werden auch zu bestimmten Anlässen als aussagekräftige Symbole getragen. Auf einem Muster sieht man Vögel, die ihre offenen Käfige verlassen. Das heißt, Madame ist eifersüchtig: „Wenn du ausgehst, gehe ich auch aus.“ Alle Muster haben nach den Abbildungen Namen, z.B. Würfelzucker: „Wollen wir ein wenig Zucker in unsere Beziehung streuen?“
Thomas Böltken begleitet seine aussagekräftigen Bilder mit klugen Off-Kommentaren und liefert so en passant auch eine kleine Kulturgeschichte Togos der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bei der auch Ausblicke auf die junge Generation von heute nicht fehlen. Man kann dabei die immer noch reiche Voodoo-Tradition symbolhaft dem automobilen Statusfetisch der neuen Nana Benz gegenüberstellen, welche heute nicht mehr so genannt werden wollen. (Helmut Schulzeck)
„Nana Benz“, Deutschland 2012, 87 Min., Farbe. Buch, Kamera und Regie: Thomas Böltken, Schnitt: Brigitta Tauchner und Thomas Böltken, Musik: Aly Keita, Produzenten: Stefan Schneider und Thomas Böltken, Filmförderung: Filmwerkstatt Kiel der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein GmbH (FFHSH).
Der Film eröffnet das 17. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide am Freitag, 15. März 2013, 19.30 Uhr in der Pumpe, Haßstr. 22, 24103 Kiel.