54. Nordische Filmtage Lübeck 2012
Die Rache des Allzumenschlichen
„Leg ihn um!“ (Jan Georg Schütte, D 2012)
Es ist eine alte Theaterweisheit: Führe die Figuren in eine ausweglose und/oder absurde Situation, und sie werden zeigen, wer und was sie sind. Jan Georg Schütte beherzigte diese schon in seinen früheren Filmen „Swingerclub“ (2006) und „Die Glücklichen“ (2008), indem er den Darstellern nur das ungefähre „Setting“ der Situation ins Drehbuch schrieb und sie ansonsten frei agieren ließ, spionisch beäugt von mehreren Kameras – fast wie bei „Big Brother“. In „Leg ihn um!“ verfolgt er dieses experimentelle, vom (Improvisations-) Theater her kommende Konzept weiter, wenn auch, wie es diesmal scheint, etwas stringenter, „drehbuch-mäßiger“.
Der Impuls der Geschichte, die episodenhaft zwischen den jeweiligen Beziehungs-„Settings“ der Figuren hin und her „zappt“ und dabei auch harsche Brüche in Kauf nimmt, ist noch absurder als in den Vorgängerfilmen: „Wer es schafft, mich innerhalb der nächsten Woche umzubringen und mich damit von meiner schweren Krankheit zu erlösen, bekommt die Firma, ansonsten geht alles an die Kriegsgräberfürsorge“, stellt der todkranke, aber wie ehedem gesund misanthropische Firmen- und Familienpatriarch August Manzl (herrlich wortkarg-faltig grantelnd: Hans-Michael Rehberg) seinen Kindern und ihrem jeweiligen (halbseidenen) Anhang eine Aufgabe, die imgrunde die Rache des Patriarchen an seiner verkommenen Nachkommenschaft, von der er manche schlicht für einen „Fehler“ hält, darstellt. Denn in den hilflos bleibenden Versuchen, solchem „Vermächtnis“ gerecht zu werden, zeigt Manzls Brut, aus welchem familiären Schoß sie kroch – dem von Neid, Gier, Missgunst, aber auch Verlorenheit. Ein geradezu soziologisches Experiment, das Altvater Manzl und Regisseur Schütte anzetteln, um sich und uns Zuschauern die Abgründe des Allzumenschlichen zu demonstrieren.
Allzumenschliche Verwandtschaft: Alleinerbin Elisabeth Manzl (Pheline Roggan) im Kreise ihrer Ungeliebten (Foto: NFL)
Letzteres ist bei Schütte nicht Stoff für Tragödien, sondern vor allem für Komödien. Eine erfrischende Lachnummer, wie Manzl-Sohn Karl (verschmitzt verklemmt: Oliver Sauer) zusammen mit seinem „tuntigen“ Lover sein Coming-Out wenn auch nicht als verkappter Schwuler, so doch als gewiefte Mordpläne Schmiedender im Baumarkt erlebt, wo die beiden für den Vater eine „besonders große Marder-Falle“ aufstellen wollen. Genauso komisch, wenn auch augenzwinkernd verhaltener, wenn Schütte den Topos „Der Mörder ist immer der Gärtner“ zitiert, als derselbe mit der ebenso therapie-erfahrenen wie -resistenten Manzl-Tochter Elisabeth (treffend mausgrau-blond: Pheline Roggan) anbändelt und ihr, die „noch nie einen Orgasmus mit einem Mann hatte“, diesen erlösend bereitet. Kleine, wundervolle Szenen, die zwar die Handlung eher retardieren und den Film auf zu lange 102 Minuten aufblähen, die man aber ob ihrer untergründig ironischen Komik und ihrer Verweise auf geradezu „hitchcocksche“ (Mord-) Konstellationen nicht missen möchte.
Man könnte meinen, eine wirkliche Inszenierung hätte solcher Story besser getan. Indes zeigt gerade die Improvisation die Figuren umso eindringlicher, könnte fast als Rache an Plot und gewöhnlichem Drehbuch gelten. Schütte gelingt so erst die wahre (Tragi-) Komik – und ist damit nicht nur der im (ironischen) Untertitel annoncierte „Familienfilm“, sondern auch ein gelungenes Experiment über den Spielfilm und seine – allzumenschlichen – Methoden. Die Selbst-Dekonstruktion des an seinem Drehbuch Rache nehmenden Regisseurs als dessen „Patriarch“ eingeschlossen. (jm)
„Leg ihn um!“, D 2012, 102 Min., DCP. Buch, Regie: Jan Georg Schütte, Kamera: Bettina Herzner, Roland Fritzenschaft, Darsteller: Hans-Michael Rehberg (August Manzl), Susanne Wolff (Silvia Manzl), Stephan Schad (Hugo Manzl), Pheline Roggan (Elisabeth Manzl), Oliver Sauer (Karl Manzl), Anne Weber (Dr. Anette Sieveking), Ole Schlosshauer (Peter Hinz), Oana Solomon (Jaqueline Heise), André Kaczmarczyk (Otto „Fehler“ Manzl). Trailer: www.youtube.com/watch?v=hPwZP34pQ-M