“afterimage”

Rückblick auf eine Ausstellung von Heike Marie Krause in der Hamburger Galerie “Westwerk”, 9.-15. November 2012

In einer Nische hängt ein kleines Küchenregal gefüllt mit offensichtlich leeren Apotheker-Flaschen. Darum herum sind Bilderrahmen angeordnet, die Menschenhaar zu Mustern und Ornamenten arrangieren. Eine graue Ahnengalerie verschrammt-verrauscht-verregneter Portraits schließt sich an, und im Rücken spürt man von der Wand gegenüber den bohrenden Blick der Künstlerin im achtfachen Selbstbildnis. Daneben gerahmte Fotos, die uns scheu den papiernen Rücken zuwenden, versehen mit zarten Bleistiftnotizen: “Konfirmation 1976”, “Meiner allerliebsten Anne” und ähnliches.
An einem Pfeiler schließlich wispert aus den Kopfhörern eines CD-Players dem Besucher eine Geschichte entgegen.
Die Kieler Fotokünstlerin Heike Marie Krause, die an der Muthesius Kunsthochschule Fotografie unterrichtet, hat in ihrer Ausstellung “afterimage” Arbeiten vereint, die auf den ersten Blick schwerlich in eine Linie zu bringen sind und sich gängigen Erwartungen an eine Fotoausstellung bewusst verweigern.
Dass mit der Hamburger Galerie “Westwerk” (www.westwerk.org) ein ehemaliges Speichergebäude als Ausstellungsort gewählt wurde, passt gut ins Konzept, denn das Bewahren und Sichern von Bildern und Erinnerungen, das Überdauern von Zeit und Raum, sind zentrale Themen dieser Ausstellung, die sich in ihrer Fragestellung konsequent mit Fotografie beschäftigt, auch wenn einige Ausstellungsstücke eher an eine alchimistische Hexenküche denken lassen.
Heike Marie Krause in ihrer Austellung “afterimage” in der Hamburger Galerie “Westwerk” (Foto: Lorenz Müller)
Die Fotografie als Bildmedium hat seit ihrer Erfindung zwei großen Erblasten zu tragen. Zum einen ist es der hartnäckige Glaube, dass Fotografie ein kaum verfälschtes Abbild der Wirklichkeit wiedergeben kann. Der britische Fotopionier William Henry Fox Talbot nannte 1844 seinen ersten Fotobildband dem entsprechend: “The Pencil of Nature”.
Die zweite große Erblast, ist die Idee, dass man mit Fotografie die Zeit anhalten könnte; dass man Momente für die Ewigkeit bewahren und damit Vergänglichkeit und Tod überwinden kann. So bezeichnete der Franzose Jacque Louis Mandé Daguerre seine hochglänzenden Silber-Jodid-Fotografien auch als “Spiegel mit Gedächtnis”.
Es liegt also nahe, dass die Fotografie das Medium der Wahl ist, wenn man sich an Menschen erinnern möchten, die abwesend sind. Entweder weil sie in der Ferne sind, weil sie fremd geworden oder verstorben sind. Mit Ihrem Abbild wollen wir ihrer habhaft werden und uns ihrer Gegenwart versichern.
Die Fotografie als Werkzeug der Erinnerungskultur bedient damit einen Reliquienkult, der sie vom reinen Zweck der bildlichen Darstellung befreit. Die Situation, in der ein Erinnerungsfoto aufgenommen wurde, ist genauso wichtiger Bestandteil des Bildes, wie das, was darauf zu erkennen ist.
Passend zur Vergänglichkeitsthematik lässt sich Heike Marie Krauses Ausstellung wie ein Zifferblatt im Uhrzeigersinn lesen. Am Anfang stehen die gesammelten historischen Fotografien einer mit “Sacrifice” betitelten Arbeit, von denen nur die beschrifteten Rückseiten im Rahmen präsentiert werden.
Die handschriftlichen Jahreszahlen und Ereignisse, die Namen und Anmerkungen rufen im Kopf des Betrachters sofort die standardisierten Bilder hervor, die sich in jedem Familienalbum wieder finden: Krabbelnde Säuglinge, stolze Kinder mit Schultüten in prallen Siebzigerjahre-Farben, strenge Liebespaare in Schwarzweiß aus dem vorletzten Jahrhundert.
Indem hier das Bild bereitwillig geopfert oder verweigert wird, werden die Betrachter sogleich eingestimmt auf das Unsichtbare und das Abwesende in den nachfolgenden Arbeiten.
Schon technisch gesehen besteht ein fotografisches Bild ja nicht nur aus belichteten sondern auch unbelichteten Stellen. Die Frage nach Positiv oder Negativ, nach Substanz oder Leerstelle ist ein grundliegender Bestandteil der Fotografie, die nicht nur eine Licht- sondern immer auch eine Schattenzeichnung ist.
In der Hängung der anschließenden Arbeit “Selves” sind die Leerstellen zwischen den Bildern so groß wie die Bilder selbst. Man ahnt, dass etwas geschehen sein muss zwischen den einzelnen Fotos, denn der Gesichtsausdruck der Künstlerin wandelt sich ein klein wenig von Bild zu Bild wie in einem Filmstreifen. Man fühlt sich erinnert an eine Art umgedrehtes “Kuleschow-Experiment”.
Der sowjetische Filmregisseur Lew Wladimirowitsch Kuleschow veranschaulichte 1928 die Wirkung des Filmschnitts, indem er das immer gleiche Bild eines neutral blickenden Mannes zusammen montierte mit Reizbildern, die abwechselnd eine Mahlzeit, einen Toten oder eine Frau in anzüglicher Pose zeigten. Das Publikum konnte im Gesicht des Schauspielers eindeutig Gefühlsregungen wie Gier, Trauer oder Lüsternheit erkennen, obwohl sich nichts verändert hatte.
Heike Marie Krause: “selves” (Ausschnitt)
Heike Marie Krause dreht den Spieß um: Wir sehen eindeutig die wechselnden Emotionen in ihrem Gesicht, aber nicht deren Ursache. Der durchdringenden Blick, der uns fixiert, lässt jedoch keinen Zweifel: Der Plural der Namen gebenden “Selves” meint nicht nur die Vielzahl der Portraits, sonder zielt auch auf unser eigenes Selbst. Hält man dem Blick lang genug stand, dann brennen sich die kontrastreichen Portraits buchstäblich ein in die Netzhaut des Betrachters, und in den weißen Leerstellen an der Wand erscheint eine ins Negativ gekippte Silhouette als Nachbild, als “Afterimage”.
Die Frage nach dem “danach”, nach dem, was außerhalb und jenseits des Bildes ist und bleibt, beschränkt sich jedoch nicht auf solche optischen Effekte.
Kernstück der Ausstellung ist die umfangreiche Bilderserie “Stolen Promises”, die sich schon von ihrer Technik her einer klaren Zuordnung entzieht: Malerei? Grafik? Fotografie?
Es sind geschundene Bilder, befleckt, bepunktet, bewölkt. Scheinbar grau in grau, doch bei näherer Betrachtung finden sich auch Farbelemente. Allen gemeinsam sind die mehr oder weniger detaillierten menschlichen Silhouetten in klassischer Portraithaltung, die teilweise selbst wie Nachbilder auf einer ermüdeten Netzhaut wirken.
Wie aus dem Begleittext zu der Ausstellung deutlich wird, dokumentieren die Bilder Momente einer Zersetzung. Technische Grundlage sind die Entwickler-Folien von 9 x 12 cm großen Instantfotos. Auf diesen Folien findet sich ein Doppelbild des eigentlichen Fotos. Doch der Entwicklungsprozess setzt sich fort und lässt das Bild auf diesem Abfallprodukt nach und nach verschwinden.
Heike Marie Krause hat diesen Prozess unterbrochen, indem sie die Folien in verschiedenen Stadien gescannt und das Bild vergrößert ausgedruckt hat.
So wie das Familienfoto der Zeit und dem Tod ein Schnippchen schlagen soll, so werden hier Erinnerungsfotos von sterbenden Bildern gemacht. Gleichzeitig wird das Genre der Ahnenbilder und Herrscherportraits persifliert, indem das Ewigkeitsversprechen der Fotografie gebrochen und gestohlen wird. Denn nicht der Mensch wird hier verewigt, sondern das Bild selber und noch dazu mit Mitteln, die eigentlich für den Abfalleimer bestimmt waren.
Dass ein klassischer, analog-chemischer Fotoprozess dabei mit digitalen Mitteln wie Scanner und Drucker gestoppt wird, erscheint zudem als subtiler Seitenhieb auf den digitalen Fortschritt, der die analoge Fototechnik fast verdrängt hat.
Heike Marie Krause: “stolen promises” (Ausschnitt)
Die Uhr tickt weiter, und auf dem Zifferblatt dieser Ausstellung bewegt sich der Besucher immer weiter fort von den überlieferten Formen und Ideen der Fotografie. Was kann noch kommen, wenn schon die Auflösung und Zersetzung des Bildes gefeiert wurde?
Heike Marie Krause wagt den großen Sprung und kehrt den technischen Bildgebungsverfahren den Rücken, indem sie Haarlocken von Freunden sammelt und zu Bildern und Mustern anordnet.
Das Haar ist wichtiger Bestandteil der menschlichen Identität und der Körperkultur; ein Indikator von Alter und Gesundheit. So wird das Haar einerseits gehegt und gepflegt, um den Eindruck von Kraft und Jugend zu bewahren, andererseits ist seine gewaltsame Entfernung ein Mittel der Uniformierung oder Demütigung.
Die Sagen und Märchen sind voll von haarigen Geschichten, von Simson im Alten Testament bis zu Rapunzel oder dem im Kyffhäuserberg schlafenden Kaiser Barbarossa.
Die Geschichte des Haars als Gegenstand der Erinnerungskultur schlägt einen weiten Bogen. Vor der Fotografie war es ein leicht verfügbares Mittel, um ein authentisches Andenken, eine persönliche Reliquie zu erhalten.
Heute können Haarlocken als wissenschaftlich verwertbare Gewebeproben dienen, die Aussagen erlauben über Alter, Geschlecht, oder die Krankheitsgeschichte bis hin zum Nachweis von Drogenkonsum.
Was früher ein emotional aufgeladenes Souvenir war, eine Projektionsfläche romantischer Vorstellungen, ist heute ein unbestechliches Identifikationsmittel.
Dieser historische Spannungsbogen vom romantischem Sinnbild zum sachlichen Wissenschaftsgegenstand findet sich auch in dem rätselhaften Ausstellungsobjekt mit den Glasfläschchen, die äußerlich an Apothekerutensilien erinnern.
Sie sind sorgsam geordnet und beschriftet und enthalten jeweils eine Atemspende von Menschen aus dem Umkreis von Heike Marie Krause.
Zumindest muss der Betrachter das glauben, weil die Künstlerin es so will. Das Erinnerungs-Medium wird immer weniger greifbar und gleichzeitig immer symbolhafter. Nicht nur das Bild, sondern auch die die Grenze zwischen Glauben und Wissen hat sich in Luft aufgelöst. Lateinisch steht der Begriff Anima sowohl für den Atem als auch für den Lebenshauch oder die Seele, und damit für das Wesen eines Menschen.
Gemessen an den virtuellen Spuren, die wir täglich mit unseren Mobiltelefonen, unseren bargeldlosen Zahlungsmitteln, unserem Online-Konsum und den selbsterschaffenen Netzwerkidentiäten hinterlassen, erscheint ein Hauch in einem Glas allerdings als Monument körperlicher Präsenz.
Auch wenn sich die Ausstellung im Uhrzeigersinn lesen lässt, bewegen sich die Besucher schöpfungsgeschichtlich scheinbar rückwärts. Eben noch war man beim eingehauchten Lebensatem, und nun ist man beim reinen Wort angelangt, das bekanntlich am Anfang war.
Als einzige Arbeit wird das Hörspiel “Esther und ein Tag” mitten im Raum präsentiert, von einem CD-Player mit Kopfhörer, doch das Medium spielt in diesem Fall keine Rolle, denn es gilt das gesprochene Wort. Nach allen Formspielen und -experimenten sind Wort und Gedanke der eigentlich Kern der Erinnerungskultur und gleichzeitig das am stärksten abstrahierte Mittel.
In dem von Heike Marie Krause selbst geschriebenen Stück wird ein ganzer Mensch zum Souvenir; zu einer Art lebenden Erinnerungsfoto. Eine junge Frau rutscht nach und nach in die Rolle ihrer älteren Schwester, die sich in einer schweren Depression aus der Welt zurück gezogen hat. Eltern und Freunde nehmen den Rollenwechsel hin, bis schließlich Original und Doppelgängerin nicht mehr zu unterscheiden sind. So wie ein Foto an die Stelle einer Erinnerung treten kann.
Heike Marie Krause hat mit ihrer Ausstellung ein großes Requiem auf die Fotografie inszeniert, einen frechen Abgesang auf die sentimentale Bildkultur und den naiven Wahrheitsglauben, der noch immer daran gebunden ist.
Sie stellt mutig die Frage nach dem Kern und den Grenzen ihres eigenen Handwerks und der Zeit nach dem Bild.
Wie geht es weiter, wenn der “Spiegel mit Gedächtnis” zerbrochen und der “pencil of nature” stumpf ist?
Die Antwort findet sich vermutlich irgendwo in den Leerstellen zwischen den Bildern. (Lorenz Müller)
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