Nicht im Denken, sondern in den Dingen
Die Filmemacher Viola Rusche und Hauke Harder porträtierten den Komponisten Alvin Lucier durch sein Werk
„No Ideas but in Things – nicht in den Ideen, sondern in den Dingen“ vermutete der Dichter William Carlos Williams den Urgrund des Klangs wie aller Kunst. Der Komponist und Klangkünstler Alvin Lucier zitiert ihn geradezu als Credo am Ende des gleich betitelten Dokumentarfilms, den Viola Rusche und Hauke Harder drehten und als Kiel-Premiere im Koki vorstellen.
„Frage mich nicht, was ich meine, sondern was ich mache“, fordert Lucier darin, und so orientiert sich das filmische Porträt vor allem an seinem Werk, das Harder gut kennt. Denn seit 15 Jahren ist der einstige Motor der „Gesellschaft für akustische Lebenshilfe“, die bis 1999 Neue Musik – unter anderem auch von Lucier – nach Kiel brachte, Luciers Assistent, als der er etwa dessen „Music on a long thin Wire“ europaweit und vor einem Jahr auch im Kieler Lessingbad installierte. Viola Rusche, durch ihren Dokumentarfilm „Amor Vati“ (2008) über ihren dichtenden Vater Christian Saalberg erfahren in Künstlerporträts, hatte Harder dabei öfter begleitet, so dass beiden die Idee kam, einen Film über Lucier zu machen, was allerdings erst durch die Förderung der Filmwerkstatt Kiel möglich wurde.
Nach Den Haag folgten sie dem 80-Jährigen zu einer Installation seiner „Sferics“, worin er mittels Antennen den Radio-Klängen von geladenen Teilchen am Rand der Atmosphäre nachspürt. Oder lauschen bei mit ihm seinen Gehirnwellen, die, abgetastet von Elektroden an der Stirn, Lautsprechermembranen und daran mechanisch angeschlossene Trommeln zum Klingen bringen. Zwar sind es Luciers Gehirnwellen, die in dieser „Music for Solo Performer“ wiedergegeben werden, doch sei er „nicht am Ausdruck meines Selbst interessiert“ – und inszeniert dieses doch in den von ihm kreierten Klangwelten. Ebenso der Film, wo er Lucier im heimischen Middletown (Connecticut) als minimalistischen Koch zeigt, der seiner „Pasta für erschöpfte Tänzer“ ganz bewusst keine „den eigentlichen Geschmack störenden“ Gewürze beigibt. „Es geht ihm immer um die Kunst als solche“, sagt Rusche über das, was sie auch im Film einfangen wollte: weniger die Person als ihr Werk. Dennoch scheint erstere in letzterem immer wieder durch, wenn Lucier fröhlich wie ein spielendes Kind den Deckel einer Teekanne hebt, aus der klingt, was ihre „Natur“ ist.
Aufnahmen bei den Proben zu „Music for Solo Performer“: (v.l.: Alvin Lucier, Hauke Harder, Viola Rusche, Martin Zawadzki) (Foto: Anne Wellmer)
Indem sich Lucier geradezu widerständig als Person zurücknimmt, zeigen ihn Rusche, Harder und Kameramann Martin Zawadzki doch umso näher als einen, der die Natur der Klänge, also die Dinge statt der Ideen, aufspürt und dazu physikalische Versuchsanordnungen mehr denn Noten komponiert. So zieht sich ein „Beat“ strukturierend durch den ganzen Film: Lucier, wie er in „I’m Sitting In A Room“ seine Stimme wiederholt durch den Loop eines Aufnahmegeräts jagt, bis nur noch die eigentliche Natur des Raums, sein Klang übrigbleibt. Und damit auch die Luciers, dessen Person hinter seinem Werk verschwindet, um als das „per-sonare“ umso sicht- und hörbarer durchzutönen. (jm)
„No Ideas but in Things – The Composer Alvin Lucier“ (engl. OV): Kiel-Premiere am Mittwoch, 28.11.2012, 20.30 Uhr im Koki in Anwesenheit der Filmemacher. Infos: www.alvin-lucier-film.com.