54. Nordische Filmtage Lübeck 2012
Wo die Poesie noch unter den Menschen lebt
„Volkspoeten“ (Dirk Manthey, D 2011)
Die Szenerie wirkt zu Beginn in ihrer Verlassenheit sehr schön, aber auch sehr ärmlich. Verdörrtes Land, ausgebrannt, bestimmt von gelb-braunen Farben unter einem gnadenlos blauen Himmel. Sertão bezeichnet die halbwüstenähnlichen Landschaften im Hinterland Brasiliens. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, zwischen ausgetrockneten Savannen und kleinen Dörfern, die bescheiden, von Abwanderung in ihrer Existenz bedroht, ihr Dasein fristen. Nur hier, so scheint es, konnten die „Volkspoeten“ wie in einem folkloristischen Biotop überleben. Dirk Manthey entwirft ihnen in seiner Kurzdokumentation ein liebevolles Denkmal. In ruhigen Bildern zeigt er die wandernden Volkssänger und Alltagslyriker wie Relikte aus einer anderen Zeit und aus einer fast vergessenen Gegend abseits unserer Aufmerksamkeit. Mit Gitarren ausgestattet erzählen sie, bisweilen auch verhalten traurig, vom Alltag der Menschen, aber auch von kleinen Sensationen. In einem Sprechgesang mit Improvisation, Witz und Poesie verstehen sie, willkommene Abwechselung und Unterhaltung in die leise Tristesse der Verhältnisse zu bringen. Oder preisen in rührenden Gedichten ihre Heimat und Menschen. Man merkt erstaunt: Hier lebt die Poesie noch unter den Menschen.
Junge Dorfschönheiten unterm Sonnenschirm, alte Männer in der Billardstube. Die Menschen, die hier geblieben sind oder noch ausharren, scheinen gelassen, aber nicht ohne Stolz ihr Leben hinzunehmen. Manthey gruppiert sie ruhig stehend quasi in Familien- und Berufstableaus in ihren heimatlichen „Kulissen“ vor seine Kamera (Hajo Schomerus). Geduldig aber kurzweilig streift die Kamera in ausdrucksvollen Bildern das Leben dort, ohne sich auf nähere Details einzulassen. Impressionen von Reisenden, die den Blick für die Schönheit der Momente, aber auch die Härte des Lebens dort haben. Freilich: manchmal sind die Bilder fast zu schön, dass man sofort in diese Gegend reisen möchte. Die Lieder und Gedichte der Volkspoeten geben Text und Melodie dazu und ersetzen so den Filmkommentar aufs Vorzüglichste: „Unsere Geschichte hat sich verloren, da sie keine Schulsachen hatte und sich weder Busticket noch Schulbrot leisten konnte.“ (Helmut Schulzeck)
„Volkspoeten“, Deutschland 2011, 24 Min., Farbe, Buch, Regie, Schnitt: Dirk Manthey, Kamera: Hajo Schomerus, Filmförderung: Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein GmbH (FFHSH)