Verbotenes Lichtspiel präsentiert: Eurocrime – Gangsters in the Seventies

Dass Verbrechen sich nicht lohnt, mag für kleine Gauner stimmen. Für die organisierte Kriminalität gilt eher das Gleiche wie für die großen Investment-Banken: Too big to fail. Solange der einzelne im warmen Strom der Organisation mitschwimmt, wird für ihn gesorgt. Taucht er aber auf und wechselt die Richtung, weht ihm ein eiskalter Wind ins Gesicht.
In fünf Filmen – allesamt Genreperlen – erforscht “Verbotenes Lichtspiel 5: Eurocrime” das Verbrechen in den 70er Jahren. Es ist die Blütezeit des Poliziottescho, des harten Krimis in seiner italienischen Spielart. Wie der Name schon vermuten lässt, liegt hier ein Schwerpunkt auf der Ermittlungsarbeit. Die Polizisten sind dabei ähnlich harte Knochen wie ihre Gegenspieler, die ihre Fälle in No-Nonsense-Manier anzugehen pflegen, aber auch hier und da zur linken Gesellschaftsanalyse neigen. Aber ebenso oft sind es die ehemaligen Agenten des Corporate Crime, die sich unversehens ihrer Haut erwehren müssen.
In Hamburg bekommt es Horst Tappert alias “Perrak” in seiner Prä-Derrick-Phase mit Mord, Erpressung und erfrischend uneindeutigen sexuellen Orientierungen zu tun. Und Michael Caine tritt in “Get Carter” verschnupft und mit biblischem Furor einen Rachefeldzug durch das unwirtliche Newcastle an. Aber Mailand oder Newcastle, Hauptsache Italien. So wird die norditalienische Metropole zum Schauplatz außerordentlich unerfreulicher Vorkommnisse, wenn in “Milano Kaliber 9” Mario Adorf für einen ehemaligen Gangsterkumpanen zum massiven Ausstieghemmnis wird. Und eben dieser Mario Adorf wechselt für “Der Tod trägt schwarzes Leder / La polizia chiede aiuto” die Seiten, um sich über die Aufklärung einer Serie grausamer Mädchenmorde den Kopf zu zerbrechen. Etwas weniger filigran und sorgenvoll gehen die Ermittler in “Eiskalte Typen auf heißen Öfen / Uomini si nasce poliziotti si muore” vor, denen sexuell wie investigativ die Waffe etwas zu locker sitzt.
Während in den USA die filmischen Verschwörungsfantasien blühen, weht ein Hauch Fatalismus durch Europa. Mit etwas weniger Paranoia, aber ähnlich desillusioniert wird die Ohnmacht des einzelnen gegen die – nicht selten staatlich geduldete – Verbrechensindustrie registriert. Aber obwohl Italien wie üblich Nägel mit Köpfen macht und auch die Polizeifilme vom Fließband laufen lässt, treibt das Verbrechen auch europaweit die schönsten Blüten.
8.11.2012, 21 Uhr, Luna
Der Tod trägt schwarzes Leder (La polizia chiede aiuto)
Auf einem Dachboden wird die nackte und erhängte Leiche eines 15-jährigen Mädchens gefunden. Die Polizei, durch einen anonymen Hinweis auf das Verbrechen aufmerksam geworden, nimmt die Ermittlungen auf und schnell wird klar, dass es nicht bei einer Leiche bleiben wird. Die Suche nach den Drahtziehern und ihrem in schwarzes Leder gekleideten Handlanger führt hinein in den tiefen Sumpf der Kindesprostitution und hinauf in die höchsten Kreise der Macht. Vier Jahre nach dem ersten deutschen “Schulmädchenreport”, Untertitel “Was Eltern nicht für möglich halten”, nähert sich Massimo Dallamano sexuell wie politisch verdorbenen Jugendlichen aus einer ganz anderen Richtung. Unter dem englischen Verleihtitel “What have we done to our daughters” präsentiert der gelernte Kameramann (“Für eine Handvoll Dollar”, “Für ein paar Dollar mehr”) einen atmosphärisch unglaublich dichten, schnell erzählten und unerwartet humorlosen Schocker. Genretheoretisch schwer zu greifen und irgendwo zwischen Poliziottesco und Giallo einzuordnen, kombiniert Dallamano bewährtes und beliebtes wie Beile und Verfolgungsjagden und schafft es, diese, in einem exzellent fotografierten Darstellerfilm nicht zum Selbstzweck verkommen zu lassen.
“La polizia chiede aiuto”, Italien 1974, Regie: Massimo Dallamano, mit: Mario Adorf, Claudio Cassinelli, Giovanna Ralli
10.11.2012, 22.15 Uhr, KoKi
Milano Kaliber 9
Ugo Piazza (Gastone Moschin) kommt aus dem Gefängnis. Er hat für das Syndikat gearbeitet, das vom ominösen “Amerikaner” geleitet wird. Er hat dichtgehalten. Das wird ihm nicht gedankt. Es fehlt Geld. Das soll er auf die Seite geschafft haben. Der Meinung ist auch die Polizei. Also steht der Mann bald zwischen allen Fronten, was sich für ihn und sein persönliches Umfeld nachteilig auswirkt. Und er hat mit dem überwältigend schmierigen Mario Adorf einen exquisiten Quälgeist im Nacken. “Milano Kaliber 9” (1972) ist ein absoluter Glücksfall. Er ist ungeschliffen und hart und macht keine Gefangenen. Das Tempo ist atemraubend und wird von der umwerfenden Musik von Luis Bacalov vorgegeben. Die scheinbar nachlässig geführte Kamera ist immer dran am Geschehen, die Handlung ist so ökonomisch arrangiert wie das Syndikat seine Verbrechen plant. Allein die meisterliche Anfangssequenz ist so schnell, elliptisch und ultraschlank, dass sie fast einen kleinen Film im Film darstellt. Und wer “The International” noch im Kopf hat, wird nicht daran zweifeln, dass Tom Tykwer “Milano Kaliber 9” gesehen hat.
“Milano Calibro 9”, Italien 1972, Regie: Fernando di Leo, mit; Gastone Moschin, Barbara Bouchet, Mario Adorf, Frank Wolff, Luigi Pistilli, Lionel Stander. Italienische Originalfassung mit englischen Untertiteln
14.11.2012, 21 Uhr, Weltruf
Perrak
“Ein pulvertrockener Sittenreißer!”, wie es im Presseheft heißt. Horst Tappert spielt nicht Der-rick, sondern Per-rak, Kriminalkommissar im Sittendezernat Hamburg und alleinerziehender Vater von Sohn Joschi, der ihn auch schon mal fragt, wo er “bloß den ganzen Dampf hernimmt”. Und wer nur den späten Derrick kennt wird sich wundern, wie cool Tappert hier durch eine verworrene Story aus Gut/Böse + Mann/Frau + Elend/High Society sprintet. Ein ermordeter Transvestit, ein Erpresserring, ein zum Bordell umfunktioniertes Mädchenpensionat, Bonzen, die sich allmächtig fühlen, krude Ganoven und Sadisten, die schon mal gerne mit goldenem Zahnstocher oder Dampfhammer foltern. Das alles mit einer wunderbaren Kamera eingefangen, unterlegt mit grooviger Musik, dargestellt von bekannten Gesichtern des westdeutschen TVs und einer Hauptfigur, die einen feinen Unterschied zwischen Verbrechen und Neigung macht und nie voreilig urteilt.
Regie: Alfred Vohrer, BRD 1970, Farbe, 88 min, 1,66:1, DVD, mit: Werner Peters, Judy Winter, Erika Pluhar, Jochen Busse, Walter Richter, Wolf Roth, Arthur Brauss und Ramonita Vargas
20.11.2012, 21 Uhr, Schaubude
Eiskalte Typen auf heißen Öfen
Mädchen, Maschinenpistolen, Motorräder und Festwochen für die Bestattungsindustrie. Die Zerschlagung eines Verbrecherrings dient dabei lediglich als lockerste Rahmenhandlung für die Exekutions-Eskapaden der beiden Protagonisten. Verbrechensbekämpfung passiert hier noch immer am besten durch einen sauberen Kopfschuss, im Optimalfall noch vor der eigentlichen Straftat. Präventionsarbeit, die Harry Callahan wie einen Sozialdemokraten erscheinen lässt. Man muss sich wundern, auf welchen Resonanzboden der Film im September 1976 beim deutschen Publikum gefallen ist, ein Jahr vor dem Deutschen Herbst. Die Tagline “ein hochaktueller Thriller aus den Straßen Roms” mag einen Hinweis geben. Regisseur Ruggero Deodatos einziger Beitrag zum Genre erscheint allerdings gänzlich ungeplagt von der Bürde eines Sozialkommentars oder auch nur der Notwendigkeit einer ernsthaften Geschichte. So taumelt der Film herrlichst trunken zwischen groovy Motorradfahren und Mädchen, wilden Verfolgungsjagden, sexuellen Abenteuern, Drogen und Gewaltexzessen. Stets der Sensation des Augenblicks verpflichtet, eint der Film seine narrativen Unebenheiten durch einen beständigen Schauwert.
“Uomini si nasce poliziotti si muore”, Italien 1976, Regie: Ruggero Deodato, mit: Marc Porel, Ray Lovelock, Adolfo Celi, Silvia Dionisio. Italienische Originalfassung mit englischen Untertiteln
22.11.2012, 21 Uhr, Hansa48
Get Carter
“Get Carter” (1971) bezieht sich auf die Klassiker des französischen Noir-Films, aber er zerrt seinen Trenchcoat tragenden Helden durch die Kohlenstaub-getränkte Realität einer britischen Industriestadt. “Get Carter” modernisiert im Alleingang ein ganzes Genre und bleibt in dieser Hinsicht bis heute unerreicht. Jack Carter (Michael Caine) ist die rechte Hand eines Londoner Mobsters. Als er vom tödlichen Autounfall seines jüngeren Bruders erfährt, vermutet Carter falsches Spiel. Er macht sich auf in seine Heimatstadt Newcastle, um mit der Gradlinigkeit eines Projektils das örtliche Geflecht des organisierten Verbrechens zu durchlöchern. Carter räumt ohne Erbarmen auf, bis er endlich die Hintermänner kennt, die seinen Bruder auf dem Gewissen haben. In einem grandiosen Finale steht er allein gegen alle. Michael Caine ist Jack Carter. Selten traf dieses Kino-Klische mehr zu als in diesem Ultra-Hard-Boliled-Thriller mit dokumentarischem Gestus. Caine bricht mit seinem erfolgreichen Alfie-der-Verführer-Charme, um mit Jack Carter eines der stimmigsten Gangster-Portraits der Filmgeschichte abzuliefern. Kompromisslos unsympathisch und arrogant, aber mit Klasse und Haltung prügelt und schießt sich Caine durch ein trostloses Working-Class-Newcastle, das in dem erstaunlichen Regiedebut von Dokumentarfilmer Mike Hodges die zweite Hauptrolle spielt.
“Get Carter”, Großbritannien, 1971, 112 min., englische Originalfassung mit englischen Untertiteln (OmeU), Regie: Mike Hodges, Kamera: Wolfgang Suschitzky, Musik: Roy Budd, mit: Michael Caine, Ian Hendry, John Osborne, Britt Ekland
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