16. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide 2012
Es ist nicht wie es bleibt
„Die Frau des Fotografen“ (Karsten Krause und Philip Widmann, D 2011)
1.241 Filme hat er zwischen 1958 und 1980 belichtet, so seine vorläufige, akribisch aufgezeichnete Bilanz. Macht bei 36 Bildern pro Kleinbildfilm rund 44.600 Fotos. Eugen Gerbert hat ein umfangreiches privates Fotoarchiv hinterlassen, durch das sich nun seine Frau und Witwe Gerti kämpft, die auf einer großen Anzahl dieser häufig künstlerischen (Akt-) Fotos das Objekt der immer wieder anschauenden Begierde des Fotografen war.
Manches zerreißt sie vor den behutsam sich nähernden Kameraaugen der Dokumentarfilmer Karsten Krause und Philip Widman. Das verschwinde lieber, da finde sie sich nicht schön genug, sie, welche die Muse, nicht nur das Nacktmodell dessen war, der damit doch immerhin, so Gerti heute, „gezeigt hat, dass er mich liebte, dass er mich als Frau begehrenswert fand“. Das Posieren vor der Kamera hat Gerti nicht verlernt. Auch vom Alter gezeichnet macht sie eine gute Figur vor der heutigen Kamera der jetzt nicht ganz so Vertrauten – im bevorzugt roten Outfit.
Auch heute noch ein „Model“: Gerti Gerbert
Privatarchive bergen Geschichten, die des Lebens wie des künstlerisch bildnerischen Umgangs mit ihnen. Krause und Widmann haben eines gehoben aus der Versenkung des nur unfreiwillig privat Gebliebenen: Fotos, die in ihrer Kunstfertigkeit ein größeres Publikum verdient hätten – und nun, post-postum bekommen.
Minutiös hat Eugen Gerbert verzeichnet, was er in sein Archiv aufnahm. Ein telegrammhaftes Rezitat aus seinen Archiveintragungen durchzieht den Film als der rote Faden, den Gerti bevorzugt trug, wenn ihr Gatte sie fotografierte – den sie gleichwohl oft ablegte, um sich ihm so zu zeigen, wie Gott sie und Eugens äugende Liebe schuf.
Das hat etwas ungemein Inniges, Zärtliches – und es erzählt in Bildern aus einer vergangenen, gleichwohl dadurch, durch seine Fotos, unverlorenen Zeit. Eugen fotografierte gegen die Zeit, war sich, wie er in den zitierten Tagebuch- und Bildarchivaufzeichnungen immer wieder vermeldet, bewusst, wie vergänglich sein Unterfangen – mehr als bloß ein Hobby – sein musste. Und dass er mit jedem Foto etwas wie Ewigkeit schuf, weil Zelluloid länger hält als ein Menschenleben und seine Lieben.
Anarbeiten gegen den bedrängenden Fluss der Zeit, manisch katalogisiertes Aufbewahren: der ungestüme Wunsch des Festhaltens dessen, was vergehen muss, was nicht bleibt und bleiben kann. „Es ist nicht wie es bleibt“, sagte einst Heiner Müller zu derlei Unterfangen.
Eugen Gerbert hat ein fotografisches Erbe hinterlassen, das vielleicht nur aus Zufall nicht den Weg in die Fotografie-Museen fand. Jener Zufall, dem sich auch viele seiner Fotos verdanken. Er drückte auf den Auslöser. Auf den zehntausenden Fotos immer wieder seine Frau Gerti, seine angeschaute Obsession, die Muse seiner Kunst. Auch wie die noch heute schön ist, begehrenswert als Mensch, der im Foto in seiner Existenz festgehalten werden möchte und muss, zeigt dieser bezaubernde Film, der sich einer Erinnerungsarbeit verpflichtet fühlt. (jm)
„Die Frau des Fotografen“, D 2011, 29 Min., Regie, Bild, Montage, Ton: Karsten Krause & Philip Widmann, Buch: Philip Widmann, Fotografien, Filme und Texte: Eugen Gerbert, Sound Design & Mischung: Roman Vehlken, Postproduktion: Matthias Behrens