62. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2012
Heil Kortzfleisch!
“Iron Sky” (Timo Vuorensola, Finnland/Australien/Deutschland 2011)
Finnische Männer reden wenig, am allerwenigsten in der Sauna. Und wenn sie dort doch über etwas sprechen, muss es etwas Wesentliches sein. So geschehen 2006, als Jarmo Puskala seinem Freund Timo Vuorensola von einem Traum erzählte: dass ihm Nazis begegnet seien, die auf dem Mond wohnten, jetzt aber die Erde erobern wollten – und dass das doch eine prima Idee für einen gemeinsamen Film sei.
Gesagt, getan: Vuorensola und sein Produktionsteam holten die Unterstützung finnischer, deutscher und australischer Institutionen ins Boot und warben sogar noch 10% des Budgets unter einer wachsend begeisterten Internet-Fan-Community ein. Deren Anfänge waren schon mit der 2005 alle Rekorde sprengenden Download-Gemeinde der SciFi-Parodie “Star Wreck: In the Pirkinning” entstanden, zu deren digitalen Schöpfern Vuorensola und Puskala gehörten. Alle Downloads in Ehren: Wenn der Run auf die Tickets für “Iron Sky” an den deutschen Kinokassen ab 5. April 2012 ähnlich stark ausfallen sollte wie der während der Berlinale, hätte sich das Kultpotenzial des Films einmal mehr bestätigt.
Wir befinden uns im Jahr 2018, und zwar auf der erdabgewandten Seite des Mondes. In der dortigen Nazi-Kolonie “Neuschwabenland” unterrichtet eine adrette Offizierin namens Renate Richter (Julia Dietze) ihre “Pimpfe” und “Mädels”. Sie bereitet sie mental auf den “Meteorblitzkrieg” vor, mit dem Neuschwabenland die Erde über 70 Jahre nach Ende des tausendjährigen Reiches unterjochen will. Denn die Weltherrschaftsallüren der Nazis sind auch auf dem Mond ungebrochen, auch wenn der Führer natürlich schon lange nicht mehr Hitler, sondern inzwischen Kortzfleisch heißt (Udo Kier).
Aber die Nazis haben die Rechnung ohne die US-Amerikaner gemacht: Per Raumkapsel landet nämlich der Astronaut James Washington (Christopher Kirby) zu Erkundungszwecken auf dem Mond und entdeckt die sinnigerweise im Hakenkreuzformat angelegte Kolonie. Doch leider entdecken die Mondnazis auch Washington, der sein Leben, zumal als Afroamerikaner, nur retten kann, indem er die (volks-) gemeinschaftsbewegte Renate und vor allem ihren Verlobten, den designierten Führer Klaus Adler (Götz Otto), dazu überredet, sich gemeinsam mit ihm als Späher nach US-Ami-Land zu begeben. Dort angekommen trifft es sich gut, dass die als Sarah-Palin-Klon daher kommende amerikanische Präsidentin (Stephanie Paul) gerade mitten im Wahlkampf steckt und genau wie ihre männer- und machtgeile Managerin (Kym Jackson) von der Reichsparteitags-Rhetorik der Nazi-Gäste tief beeindruckt ist …
In effektvollen Weltraum-Stahlgewittern: “Iron Sky” (Foto: Berlinale)
Dass die Ästhetik des Totalitären eine universelle Faszination ausübt und in der Weltpolitik ebenso wie im SciFi-Genre funktioniert, demonstrieren die Macher von “Iron Sky” auf respektlos gruselig-witzige Weise. Für”˜s Drehbuch hat sich Vuorensola dafür u.a. von der preisgekrönten finnischen Romanautorin Johanna Sinisalo, die vor allem im Fantasy-Genre gepunktet hat, Unterstützung geholt. Auch die Filmmusik, vor allem der polarisierende Sound der slowenischen Band Laibach, arbeitet kräftig am Totalitätsrausch mit. “Krieg der Sterne”-Melodien werden mit Wagnerklängen gleichgeschaltet; da kommt sogar – vorher flott gemacht durch den Einstein-Verschnitt Dr. Richter (Tilo Prückner) – das Nazi-Raumschiff “Götterdämmerung” wieder auf Touren. Aber um im von Ami-Land und den Mondnazis angezettelten Weltraumkrieg den Endsieg zu erreichen, ist das Kriegsgerät der Mondnazis definitiv zu veraltet …
Der Regisseur von “Iron Sky” Timo Vuorensola wurde 1979 geboren und hat auch als Schauspieler und Grafik-Designer gewirkt. “Iron Sky” ist ohne das gesamte hinter ihm stehende internationale Team und die ideelle (!) Beteiligung der Crowdfunding-Gemeinde gar nicht denkbar. Auch der Dreh wurde zur immerhin die halbe Welt umspannenden Aktion: eine Hälfte wurde in Frankfurt am Main und eine in Australien gedreht (die New York City-Szenen stammen aus Brisbane).
“Iron Sky” persifliert das SciFi-Genre und etliche menschliche Grundkonstanten so lustvoll, dass man – egal, ob SciFi-Fan oder -Skeptiker – ungehemmt einen ziemlich abgefahrenen Kinoabend damit verbringen kann. Außerdem macht es Riesenspaß, dass die verstaubte Nazi-Sippschaft ebenso wie die machtgeilen Ami-Politiker und die belämmerten Vertreter der Vereinten Nationen so richtig schön durch den Kakao gezogen werden. Und schließlich gibt es auch viele nach allen visuellen Effektkünsten inszenierte Höhenflüge- wenn auch keine intellektuellen. Aber das muss bekanntlich ja auch nicht immer sein. (gls)
“Iron Sky”, Finnland, Australien, Deutschland 2011, 93 Min., Regie: Timo Vuorensola, Darsteller: Christopher Kirby, Götz Otto, Julia Dietze, Udo Kier u.a.