62. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2012
Die gefährliche Naivität von Angelina Jolie
„In the Land of Blood and Honey“ (Angelina Jolie, USA 2011)
Angelina Jolie engagiert sich seit geraumer Zeit für Flüchtlinge. Ihr Regiedebüt verfolgt das Schicksal einer flüchtigen Frau im Bosnienkrieg.
Kaum ein anderer Star der Megaklasse nimmt sein humanitäres Engagement so ernst wie Jolie. Sie unterschreibt nicht während der Pediküre einige Werbeverträge für die Imagepflege, sondern reist umher, sammelt Spenden, ist vor Ort. Für ihren ersten Film in eigener Regie und Produktion schrieb sie das Buch selbst. Sie übernimmt die volle Verantwortung – hinter der Kamera.
Ihr Film erhebt Anklage: gegen Krieg, Mörder, Sadisten, Vergewaltiger, Rassisten. Man sieht ihre Untaten und die Schmach der Opfer. Nicht viele unterscheidet das serbische Gefangenenlager vom Nazi-KZ: bestialische Serben als SS, Bosnierinnen als Juden. Frauen werden vor versammelter Mannschaft geschändet. Manche Tschetniks lachen beim Totschießen sehr laut. Man soll nicht auf die Idee kommen, in den Tätern sei ein Funke von Menschlichkeit. Böser sind sonst nur die Feinde von Lara Croft.
Vergesslich …: Zana Marjanović in „In the Land of Blood and Honey“ (Foto: Dean Semier)
Immer wieder wiederholt der Film Gräuel, denn er will an ein verdrängtes Kapitel der jüngeren europäischen Kriegs- und Massenmordgeschichte der Jahre 1992-95 erinnern. Leider hat er selbst auffallende Gedächtnisprobleme. Sonst könnte man sich die Frau nicht erklären, die im Mittelpunkt der Wirrnisse von Krieg, Flucht, Gefangenschaft und Liebe steht … – ja: Liebe. Denn Ajla (Zana Marjanovic) ist eine bosnische Muslimin, die am Vorabend des Kriegsausbruchs eine Romanze mit einem (menschlichen!) Serben beginnt, der alsbald unter väterlichem Kommando Bosniaken tötet. Heimlich wird er Ajla schonen, ihr einen Fluchtweg weisen, sie als Geliebte unterhalten. Ganz edelmütig ist er dabei nicht, misstraut ihr, lässt sie tagelang auf dem Bett in Fesseln liegen. Sind die Fesseln aber abgelegt, ist Ajla auch erotisch entfesselt, während Jolie aus den Himmeln des Vergessens die Musik der Fernsehromantik rieseln lässt. Vergeben und vergessen, dass der Liebende eben Nachbarn und Freunde schlachtete, aus dem Hinterhalt erschoss und Kumpane befehligte, die Ajlas kleine geliebte Nichte aus dem Fenster schmissen. Ajla weiß das, doch seltsam einig ist sie in ihrer Vergesslichkeit mit einem Film, der selbst Figuren (wie Ajlas Schwester) über Bord wirft, nachdem sie als Emotionsspender ausgedient haben. Erstaunlich, wie ignorant ein Film verfährt, der gegen die Verachtung der Mörder zu Felde zieht. Vielleicht merkt Jolie gar nicht, wie sehr sie ihr Anliegen mit ihrem Frauenbild sabotiert. Naivität kann, ohne es zu wollen, in Zynismus umkippen. (Gerald Koll)
„In the Land of Blood and Honey“, USA 2011, 126 Min., Regie: Angelina Jolie, Darsteller: Zana Marjanovic, Goran Kostic, Rade Serbedzija, Vanesa Glodzo u.a.