62. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2012
Überleben im System
„Barbara“ (Christian Petzold, D 2012)
Barbara Wolff (Nina Hoss) steht unter Beobachtung: Die Ärztin wurde von der Berliner Charité an ein Provinzkrankenhaus an der Ostseeküste zwangsversetzt. Der Ausreiseantrag, den die engagierte Ärztin an die DDR-Behörden gestellt hat, ist im Jahre 1980 Grund genug für berufliche Restriktionen und fortgesetzte Observierungen inklusive regelmäßiger Wohnungsdurchsuchung und demütigender Körpervisite. Barbara hält sich von den neuen Kollegen fern, die Annäherungsversuche des sympathischen Chefarztes André (Ronald Zehfeld) wehrt sie sarkastisch ab. Zu tief sitzt das Misstrauen und zu wahrscheinlich ist, dass auch André sie observiert.
Eine menschliche Ausnahmesituation, wenn auch sicher keine Ausnahme im DDR-Regime. Der Mensch unter ständiger, missgünstiger Beobachtung. Jede kritische Äußerung, jeder Regelverstoß hat existenzielle Konsequenzen. Der Einzelne im Ringen mit dem erdrückenden, starren System. Eine Konstellation, die Christian Petzold schon mehrfach untersucht hat, am augenscheinlichsten in „Die innere Sicherheit“ (D 2000). Welche Überlebensstrategien entwickelt der Mensch in der Isolation, was lässt ihn weitermachen? In Barbaras Fall ist es Ihre Arbeit, ihr Engagement für Stella, ein junges Mädchen, das schon mehrfach aus einem „Werkhof“ für schwer erziehbare Jugendliche entkommen ist und nun nach tagelanger Flucht mit einer Zecken-infizierten Hirnhautentzündung intensiv behandelt werden muss. Barbara liest ihr aus Mark Twains „Huckleberry Finn“ vor, einer Geschichte von ungebremstem Freiheitsdrang, auf Leben und Tod. Wie Stella auch hält Barbara es nicht mehr in ihrem „Werkhof DDR“ aus. Die Vorbereitung zur Republikflucht mit finanzieller Hilfe ihres West-Lovers ist ihre Perspektive für ein Leben in Freiheit.
Doch was macht Freiheit aus? Petzold interessieren Ideologien ebenso wenig wie eine Verteufelung der DDR als Hort ausschließlicher Trostlosigkeit. Seine Barbara ist nicht an dem vermeintlichen Glanz und Glamour interessiert, den ein verheißungsvoller Quelle-Katalog aus dem Westen transportiert. Die selbstbewusste Frau stockt, als ihr Liebhaber ihr versichert, im Westen müsse sie nicht mehr arbeiten, weil er genug für beide verdiene. Der Tausch einer Unfreiheit gegen eine andere ist für eine Frau wie Barbara keine Alternative.
Bären-verdächtig: Nina Hoss als Barbara (Foto: Christian Schulz)
Petzold verwehrt seiner Protagonistin jegliche Sicherheit in der Entscheidung. Die wohlmeinende Hilfsangebote und amourösen Gesten Andrés könnten ebenso eine perfide Fortführung der Stasi-Observation sein. Ronald Zehrfeld hält die Ambivalenz seiner Figur äußerst geschickt in der Waage. Aber auch der von Rainer Bock auf den Punkt gespielte Stasi-Offizier offenbart zutiefst menschliche Verwundbarkeit. Barbaras Entscheidung wird nicht allein auf Basis äußerlicher, unmittelbarer Vorteile fallen. Ihre Freiheit beginnt im Kopf.
„Barbara“ ist die fünfte Zusammenarbeit Christian Petzolds mit seinem „Medium“ Nina Hoss, eine äußerst glückliche Arbeitsgemeinschaft, die nach anfänglichen Schwierigkeiten bei der ersten gemeinsamen (TV-) Produktion „Toter Mann“ (D 2001) zu Highlights im deutschen Filmschaffen geführt hat und nach „Yella“ (D 2007) nun erneut mit einer Wettbewerbseinladung honoriert wurde. Darüber hinaus ist es der dritte Film, der auf dem Boden der ehemaligen DDR spielt. Der gebürtige Haaner Petzold hegt ein heimatliches Gefühl für die DDR, war er in seiner Jugend doch dort häufig bei der Verwandtschaft zu Besuch. Auch wenn Petzold vielleicht nicht in erster Linie an einer filmischen Bebilderung der DDR gelegen ist, so trägt er doch zu einer unnostalgischen Erinnerungsarbeit bei, die sich von eindimensionaler Dämonisierung und Verklärung fernhält.
Petzold und Hoss setzen ihre filmischen und schauspielerischen Mittel äußerst konzentriert ein. Das lässt sie so gut miteinander funktionieren und die Leinwand vor Intensität vibrieren, ohne dass mit Schauwerten nachgeholfen werden müsste. Es ist gut vorstellbar, dass die Petzold/Hoss-Kollaborationen einmal zu den modernen Klassikern des deutschen Films zählen. „Barabara“ und die darstellerische Leistung von Nina Hoss sind auf jeden Fall Bären-Kandidaten. (dakro)
„Barbara“, D 2012, 105 Min., Buch, Regie: Christian Petzold, Kamera: Hans Fromm, Schnitt: Bettina Böhler, Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Rainer Bock, Christina Hecke.