6 Jahre BLITZFILM
Rückblick
Die 6. Reise des BLITZFILM Festivals durch die neue Weltmacht im Osten Asiens war ein großer Erfolg und blieb ein Abenteuer. Vor Ort wurde ein Teil der Tourplanung umgestaltet, um zusätzliche Spielstätten einzuflechten. Ein neuer Schwerpunkt der BLITZFILM Tour war, Kontakte für zukünftige Kooperationen zu chinesischen Filminstitutionen aufzubauen. Zur Eröffnung des New Media Departments des Sichuan Fine Arts Institute (die bedeutendste Kunsthochschule des Landes) in Chongqing wurde ein Vortrag über die Geschichte des Festivals erbeten.
Auch der Kunstbetrieb, der jenseits staatlicher Einrichtungen boomt, zeigt ein verstärktes Interesse für Medienkunst. Wir trafen uns in Chengdu mit der Leitung einer neu eröffneten Galerie für neue Medien. Diese Galerie von beachtlichem Ausmaß und mit großzügiger technischer Ausstattung versucht, der jungen chinesischen Szene ein Forum zu bieten. Internationale Programme beweisen das Ende der Abschottung des Landes und sollen den chinesischen Filmern zum Vergleich und zur Inspiration dienen.
In Hong Kong besuchten wir wieder Visible Record, eine Non-Profit-Organsisation für den unabhängigen chinesischen Film. In Hong Kong nutzt man die größere politische Freiheit als China angeschlossene Sonderzone und organisiert dort den Vertrieb und ein jährliches Festival für chinesische Filme, auch solche, die in Festlandchina verboten sind.
Erstmalig fand 2011 ein BLITZFILM Event im Goetheinstitut in Shanghai statt. In China hat der Name einer solchen Institution einen magischen Klang. In dem Land hat man ein merkwürdiges Verhältnis zu Titeln und Hierarchien, egal wie rebellisch man sich auch geben mag. Während man durch “Goethe” die Weihen offizieller deutscher Kultur erhält, haben im zentral verwalteten Reich der Mitte, die Institutionen der Hauptstadt eine ähnliche Bedeutung. Die Koordinatoren unserer Rundreise waren ganz aufgeregt, dass wir erstmals von der Filmakademie Beijing eingeladen worden waren, als größte und bedeutendste Filmhochschule Asiens. Wir kennen uns gut aus in der chinesischen Filmszene und wussten entsprechend mit Programm und Vortrag auch in den heiligen Hallen der Filmakademie tiefen Eindruck zu hinterlassen. Wir sollen wiederkommen.
BLITZFILM hat in China inzwischen viele Fans (Fotos: Karsten Weber)
Folgen
Mit BLITZFILM 2011 waren wir zum 6. Mal mit deutschen Kurzfilmen in China unterwegs und haben insgesamt mehr als 7 Monate in dem Land verbracht. Wir sind Zeugen spannender und unglaublich rasanter Entwicklungen. Unsere Pionierarbeit trägt Früchte. In den ersten beiden Jahren wurden wir noch oft gefragt, was ein Filmfestival überhaupt sei. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von unabhängigen Festivals im Land, man beginnt sich zu vernetzen, und es bilden sich eigene Strukturen.
Revolutionäre Tradition trifft auf moderne Marktwirtschaft
Die lange Abschottung des Landes hatte Folgen, und bei unseren früheren Veranstaltungen ernteten wir Unverständnis und wütende Reaktionen wegen “unverständlicher” Filme. Es ging dabei nicht um fehlende Untertitel, sondern um die Filmsprache. Inzwischen werden wir gefragt, warum wir nicht mehr experimentelle, schräge und subversive Filme im Programm haben. Es sind aber weiterhin Filme mit Happy End und Trickfilme die erfolgreichsten Beiträge in unseren Programmen.
Wir haben richtige Fans gewonnen. Einige unsere Zuschauer erzählten, sie hätten keine Veranstaltung der letzten Jahre verpasst. Andere reisten uns sogar nach, auch über große Entfernungen. Man will bestimmte Filme erneut sehen, und die musikalischen Performances, unsere wechselnden Zusatzveranstaltungen mit Vorträgen und Workshops sind wohl auch ein Grund.
BLITZFILM beim Animationsfilmfestival Spectrum
Erst zum Jahrtausendwechsel begann man mit den überall erhältlichen digitalen Kameras zu filmen und die staatlichen Restriktionen, die Drehgenehmigungen vorschreiben, einfach zu ignorieren. Der Staat hat sich der neuen Situation weitgehend gefügt und nimmt hin, was nicht aufzuhalten ist. Es gibt aber noch Themen, die die Autoritäten auf den Plan rufen. So etwa der Widerstand der Bauern gegen die Zwangsenteignung für die Errichtung einer “Universitätsstadt” am Rande von Guangzhou. Die Filmemacherin Wang Bang wurde gewarnt, die Polizei werde versuchen, die Vorführungen ihres Films zu verhindern, und werde sie suchen. Sie verließ sofort das Land und lebt nun in London. Als wir im Rahmen der “China Time”, der Messe der chinesischen Wirtschaft und Regierung in Hamburg ein Filmprogramm der Independentszene zusammenstellten, bedurfte es einiges Verhandlungsgeschicks, auch Wang Bangs “University City Savages” unter Schirmherrschaft der chinesischen Regierung zeigen zu können. Der Versuch, die kritischen Stimmen des Landes mundtot zu machen, ist von wenig Erfolg gekrönt. Auf einer Veranstaltung in der Nähe von Guangzhou wurden wir von einer Filmemacherin angesprochen, die aktuell eine Dokumentation über den Widerstand von Bauern gegen die Vertreibung wegen eines profitablen Bauprojekts plant. Eine Filmemacherin wurde vertrieben, und die Nächste macht an gleicher Stelle weiter. Sie verabredete sich mit unserem britischen Soundkünstler Lepke B., der einen Soundtrack zu dem Film einspielte.
Die Entwicklungen in diesem Bereich sind überaus spannend. Die privatwirtschaftlich operierende Kunstszene spielt eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Filme und hilft gelegentlich mit Sponsoring. Aber auch in staatlichen Institutionen finden sich Unterstützer der jungen, unabhängigen Filmkultur. Es ist vieles in Bewegung. Auch recht kritische Werke können an einigen Universitäten gezeigt werden.
Neben den in gewisser Weise schon etablierten Projekten des unabhängigen Films beeindruckte uns die Gruppe “Independent Film Fans Kindergarten” in Tianjin, die unter “Underground-Bedingungen” arbeitet. Die Aktivisten finanzieren das Projekt aus eigener Tasche und zeigen einmal pro Woche unabhängige Filme, oft auch in Anwesenheit der Filmemacher. Sie zeigen auch die Filme, die als verboten gelten. Das hat den Aktivisten schon Besuch von der Polizei in ihren Wohnungen eingebracht, und den Behörden gelang es fünf Monate, jegliche Veranstaltung der Gruppe zu unterbinden. Sie ließ sich aber nicht einschüchtern und macht weiter.
Filmplakate des in China regen filmischen Undergrounds
Für uns gelten besondere Bedingungen. Kritik an den Verhältnissen in Deutschland ist keinerlei Problem für die chinesische Regierung. Das Publikum kann das Gesehene sehr gut auf die eigenen Verhältnisse übertragen, und so diskutiert man gern und ausgiebig über die Filme, die Widerstand gegen Flughafen- oder Bahnhofsprojekte zeigen. Bei dem Ausschnitt aus “Water makes Money”, der die Privatisierung der Wasserversorgung in Deutschland und Frankreich thematisiert, wusste das Publikum, das die in dem Film genannten Unternehmen unlängst in China aktiv geworden sind.
Auf der Weihnachtsveranstaltung am 25.12.2011 zeigte der “Independent Film Fans Kindergarten” unseren HÄUSERFILM. Hausbesetzungen sind inzwischen auch in China ein Thema. Per Skype-Live-Schaltung wurde uns eine Diskussion mit dem Publikum ermöglicht.
Pläne
Einen Rückblick auf die wochenlange Tour durch China gibt es durch Lepke B. Er fertigt aus den vielen Stunden Tonaufzeichnungen Soundcollagen für mehrere Sendungen bei dem Londoner Radiosender Resonance FM.
BLITZFILM in Shanghai
Wir versuchen, unser Festival fester in die chinesischen Strukturen einzubinden. Unsere Tour-Organisation lag all die Jahre allein bei dem Organhaus in Chongqing. Wir haben nun den Kurator Chin Thom aus Guangzhou hinzugewonnen, der die Organisationsarbeit mit eigenen Schwerpunkten unterstützt. Er ist derjenige, der für unsere erste Einladung nach China verantwortlich zeichnet, und ist tief verwurzelt in den Strukturen des Kulturbetriebs des Landes.
BLITZFILM versucht, die bilaterale Arbeit weiter in den Mittelpunkt zu rücken und chinesische Filme und Filmemacher nach Deutschland zu holen. Es gibt die Anfrage von “China Time” in Hamburg, der chinesische Kultursommer in Schleswig-Holstein bietet sich ebenso an. Es sollen auch Veranstaltungen jenseits von Hamburg und Schleswig-Holstein stattfinden. (Karsten Weber)