Der beobachtete Beobachter
Dokumentarfilmlegende Klaus Wildenhahn war zum Start der Filmreihe „Poesie der Wirklichkeit“ zu Gast im KulturForum Kiel.
So richtig wohl fühlt sich Klaus Wildenhahn nicht auf dem Podium des KulturForums, befragt von Karl Dahmen (NDR) und Quinka Stoehr, seiner „Schülerin“, die ihn in ihrem Film „Klaus Wildenhahn – DIRECT! Public and private“ porträtierte. Denn Wildenhahn ist ein Beobachter aus Passion, der sich an die Rolle, beobachtet zu werden, erst gewöhnen musste.
Schon die erste Szene von Stoehrs Film, der am 4.12.2011 im KulturForum im Rahmen von „Stadtgalerie Kiel EXTRA“ die Filmreihe „Poesie der Wirklichkeit“ eröffnete, macht deutlich, wie sich Wildenhahn ein Porträt über sich vorstellt. Stoehr heftet ihm das Mikro an, und Wildenhahn sagt: „So fängt der Film an, so kannst du den ganzen Film starten: Du präparierst mich!“ Diesem Vorschlag folgte die Kieler Filmemacherin, nicht jedoch seinem Ansinnen, die Hauptfigur möge „im Film am besten abwesend, nicht richtig greifbar sein“. Womit Wildenhahn bereits einen der „Glaubenssätze“ des „uncontrolled“ oder auch „direct cinema“ formuliert, das er in den frühen 60er Jahren unter anderem von dem britischen Dokumentarfilmpionier Richard Leacock lernte und damit in Deutschland Dokumentarfilm- und TV-Geschichte schrieb: „Dokumentarfilmmachen ist der denkbar subjektivste Prozess, und jeder gute Film gibt das zu.“ Der Kreis um Leacock wie dann auch Wildenhahn nahmen Abschied von den Inszenierungen des Dokumentarfilms mit großem Team-Aufgebot und künstlich gesetztem Licht, verwendeten vielmehr eine kleine Schulterkamera, die sich mitten ins Geschehen begeben konnte und dieses als Beobachter nicht mehr störte, sondern unmittelbar zeigte.
„So fängt der Film an“ – Klaus Wildenhahn gibt „Regieanweisungen“ zu Beginn von Quinka Stoehrs Dokumentarfilm (Foto: Still aus dem Film)
Wenn sie auch Wildenhahns radikaler Forderung, als Hauptfigur „nur am Rande“ vorzukommen, nicht folgte, wandte Quinka Stoehr dennoch diesen „direkten“ Kamerablick an, indem sie Wildenhahn an den Orten seines Lebens und Arbeitens meistens allein und nur begleitet von ihrer Handkamera aufsuchte und ihn ohne Drehbuch frei assoziierend von seinem Dokumentarfilmschaffen erzählen ließ. „Das war ihre Kunst, dass sie Sachen aus mir herausholte, von denen ich gar nicht wusste, dass sie in mir stecken“, lobt Wildenhahn im Podiumsgespräch.
Entstanden ist ein intimes Porträt, das Wildenhahn dennoch nicht allein über seine Biografie, eher seine Arbeit erfasst. Etwa seine Mitte der 70er Jahre gedrehte Reihe „Emden geht nach USA“. Darin zeigte Wildenhahn die Arbeiter des VW-Werks in der ostfriesischen Stadt, dessen Schließung und Verlegung nach USA drohte, so „ungeschminkt“, das dies einen Skandal auslöste. Örtliche Presse, Politik und auch einige VW-Arbeiter konnten solche dokumentarische Nähe nicht ertragen und protestierten. Eine regelrechte „Hatz“ auf die Filmreihe und ihren Macher gipfelte in einer Diskussionssendung des NDR-Fernsehens, in der sich Wildenhahn wie vor einem Tribunal rechtfertigen musste, trotz späterer Auszeichnung mit dem Grimme-Preis. Aus heutiger Sicht muten derartige Aufgeregtheiten seltsam an, wenngleich diese Art des Dokumentarfilmschaffens heute im Fernsehen kaum noch stattfindet. Das zu kommentieren, schickt Wildenhahn sich indes nicht an. „Dazu bin ich zu lange raus aus dem Geschäft“, lächelt er. Und da wäre er wohl auch zu sehr der Beobachtete statt der Beobachter. (jm)
Die Filmreihe „Poesie der Wirklichkeit“ im KulturForum wird fortgesetzt mit zwei Filmen von Klaus Wildenhahn:
Mi, 14.12.2011, 19 Uhr: „498, third avenue“, BRD 1967, 83 Min.
Do, 19.1.2012, 19 Uhr: „Emden geht nach USA (Teil 5): Im Norden das Meer, im Westen der Fluss, im Süden das Moor, im Osten Vorurteile“, BRD 1975-1977, 63 Min.
Eintritt jeweils 3 Euro.