Schwimmen gegen den Strom
Neu im Kieler Lessingbad: Der Blaue Salon
Joseph Beuys mit seinem Konzept der “sozialen Plastik” und Christoph Schlingensief mit seinen Happenings wie “Passion Impossible – 7 Tage Notruf für Deutschland” haben es vorgemacht: Kunst kann sich in aktuelle gesellschaftspolitische Diskurse einmischen, ohne plattes Agitprop zu werden. Die norddeutsche Künstlergruppe “Institut für Lebensfreude” will diese Verbindung von Kunst und (gegenkultureller) Politik wiederbeleben – wie auch den Salon, jene Institution, die im 19. und bis hinein ins frühe 20. Jahrhundert Künstler und Publikum im Diskurs vereinte. Am 25.11.2011 startet im Kieler Lessingbad der “Blaue Salon”, ein Filmclub, der nicht nur politisch-künstlerisch relevante Dokumentarfilme zeigt, sondern sie auch mit anderen Kunstformen von der Performance bis zum Poetry Slam oder Konzert verbindet und zum künstlerischen Dialog über Politik verleiten soll.
Eine Kultur der Einmischung, die der bei Flensburg lebende (Straßentheater-) Schauspieler und Theaterpädagoge Folke Witten und das von ihm gegründete “Institut für Lebensfreude” schon seit einigen Jahren mit Performances und Aktionskunst betreiben. Im April 2010 organisierten sie anlässlich eines Castor-Transports in Hamburg eine “Menschenkettenreaktion”, bei der sie zur “Privatisierung des Atommülls” einen “Mini-Castor” in strahlender Dose/Dosis für jedermann feilboten. Schon 2008 installierten sie auf dem Flensburger Südermarkt einen “begehbaren Schuldenberg”, um auf die damals noch junge Finanzkrise hinzuweisen.
80 Prozent der Deutschen, so zeigen Umfragen, haben nur nebulöse Vorstellungen davon, was die gegenwärtige Finanzkrise und die des Euros und seiner schuldengebeutelten Regionen hervorriefen. Es besteht also Aufklärungsbedarf jenseits politischer und oft nicht minder nebulöser Verlautbarungen. Wie schon Bewegungen wie ATTAC und jüngst OCCUPY! zeigen, ist des Pudels Kern die seit Jahren laufende Privatisierung von gesellschaftlichen Ressourcen wie der des Lebensstoffs Wasser. Passend zum “Wasserort” Lessingbad zeigt der “Blaue Salon” bei seiner Eröffnung den preisgekrönten Dokumentarfilm “Water Makes Money”. Ergänzt wird der Film von Performances, einem “Blauen Briefkasten”, dem Auftritt des Kieler Ernst-Busch-Chors und der Hamburger Band The Very First Teenager.
“Wie fordert die aktuelle Politik uns Künstler heraus?”, fragt Witten. Die Eröffnung des “Blauen Salons” sieht er weniger als fertiges Konzept denn als Start für einen gesellschaftspolitisch-künstlerischen Dialog, der wiederum ab Januar 2012 das etwa zweiwöchentliche Programm bestimmen soll. Vorschläge, Wünsche des Publikums, Einsendungen von sich beteiligenden Künstlern sind durchaus erwünscht. Ein offenes Projekt also, das sich bewusst ins “Schwimmen” begibt. Passend zum Spielort, in dessen Nichtschwimmerbecken sich die noch “Nichtschwimmer” in der aktuellen Politik künstlerisch einmischend zu Schwimmern gegen den Strom emanzipieren. (jm)
Eröffnung am Freitag, 25.11.2011, 20 Uhr, Lessingbad, Kiel. Infos auf Facebook.