Der Raum hörbar, der Klang sichtbar
Das Symposium “Augenhören | interArtiv | Ohrensehen” entwarf ein umfassendes (Hör-) Bild aktueller Klangkunst
Was ist Klangkunst? Eher eine bildende oder eine musikalische? Wie verbinden sich beide “interartiv”? Was wird aus Klang, wenn er in Relation zum Raum tritt – und umgekehrt? Einige der Fragen, denen das von der Muthesius Kunsthochschule und dem Neue-Musik-Projekt chiffren in Zusammenarbeit mit der Lübecker Musikhochschule und dem Institut für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt im Kieler Lessingbad veranstaltete Symposium “Augenhören | interArtiv | Ohrensehen” nachging – in Vorträgen namhafter Klangkünstler, aber vor allem auch anhand praktischer Arbeiten gegenwärtiger Klangkunst.
Wie ein physikalischer Versuchsaufbau, dessen Gegenstände zur Skulptur werden, mutet zunächst Alvin Luciers Installation “Music on a Long Thin Wire” an, welchen langen Draht Hauke Harder längs über das Schwimmbecken des Lessingbads gespannt hat und der dem Symposium gleichsam den Grund- oder Orgelton gibt. Im Draht fließt Wechselstrom, der ihn vermöge eines Magneten nach dem Funktionsprinzip des Lautsprechers in Schwingungen versetzt. So einfach die elektromagnetische Anordnung ist, so komplex und “chaotisch” sind ihre akustischen Wirkungen, denn der Draht reagiert empfindlich auf Änderungen der Umgebung, etwa Temperatur. “Auf ihm zu spielen erfordert Fingerspitzengefühl”, weiß Harder, der Luciers Klanginstallation seit 15 Jahren in ganz Europa mehrfach realisierte (zuerst 1995 in der Kieler Stadtgalerie). Mit ganz unterschiedlichen Klangergebnissen, denn die Schwingungen des Drahts “entfalten ein Eigenleben”, wechselwirken “individuell” mit dem Raum, bilden ihn gleichsam akustisch ab.
Jene Wechselwirkung, die Wahrnehmung und Erkenntnis auf ungewohnte Weise ermöglicht, scheint alle Klangkunst auszumachen und verbindet in ihr das musikalisch mit dem bildnerisch Komponierten. Der Raum wird hörbar, der Klang sicht- und tastbar. Überdies hinterfragt Klangkunst den künstlerischen Modus des Abbildens erkenntnistheoretisch, was Petra Maria Meyer in ihrem Vortrag mit dem programmatischen Titel “Hören gegen Sehgewohnheiten” verdeutlicht – anhand früher Klangkunst wie Walter Ruttmanns Experimenten mit der Tonspur von Filmen in den 1930er Jahren sowie der Radiokunst, die sich film-rhythmischer (und damit ursprünglich am Bild orientierter) Montagetechniken bedienen.
Neben ihrem skulpturalen hat Klangkunst oft auch einen performativen, den Zuhörer und Zuschauer unmittelbar einbeziehenden Aspekt. Das Staalplaat Soundsystem hat in “Musica povera al dente / fluxYOU” 20 selbst gebastelte Grammophone aufgebaut, die von Hand und nach einer Partitur John Cages bedient das “Scratching” der DJs vorwegnehmen, wobei während der Performance die Schallplatten wie die Schalltrichter aus Pappe mit allerlei Werkzeugen manipuliert und damit die Klänge neu formiert werden.
Staalplaat Soundsystem im Lessingbad in Aktion (Foto: jm)
Auf das Performative der Klangkunst nimmt auch Brandon LaBelle Bezug. Seine Arbeit “The Sound at the Back of the Mouth, almost” kommt wie ein Vortrag daher, ist jedoch eine Performance über die Stille – und deren Lautheit, wie sie sich im Gewirr der “inneren Stimme(n)” entwickelt. LaBelle spricht nicht, er projiziert reinen Text, der dennoch mit uns und unserer inneren Stimme, die wir hören, wenn wir lesen, in Dialog tritt. Und fragt, wer da so hörbar in und mit uns spricht, ohne dass man das hörte. Kunst, die den Klang in den imaginierten Innenraum verlegt, dorthin, wo er womöglich ohnehin nur erklingt und sich verbildert (Pencast by jm – auf den Text klicken und hören, was zu hören war, während er geschrieben wurde …). Wie auch die leisen “Tropfen”, die Muthesius-Absolvent Heiko Wolmersdorf im Treppenhaus erklingen lässt und damit dem ehemaligen “Wasserort” Lessingbad klanginneren wie raumäußeren Tribut zollt.
Ähnliche Ver- und Erinnerungen von Klang aus dem öffentlichen in den inneren Raum untersuchte auch die Klangkunst-Pionierin Christina Kubisch in ihren “Electrical Walks”. Die Klangspuren von Großstädten sammelte sie in komponierten Stadtrundgängen, wo der inzwischen alltäglich gewordene elektromagnetische “Smog” zu Klang im per Induktion empfangenden Kopfhörer wird. Auch hier die instruktive Forschung, wie der Klang sicht- und damit der Raum hörbar wird. (jm)