53. Nordische Filmtage Lübeck 2011

Uneigentlich aufgespießt

“Tatort – Borowski und der coole Hund” (Christian Alvart, D 2011)

Warum ein Kieler Tatort (produziert vom Studio Hamburg) einen Tag vor der TV-Ausstrahlung in der ARD auch im Filmforum laufen muss und da einen Programmplatz wegnimmt für zwar weniger prominentes, aber womöglich besseres Filmschaffen aus dem Norden, sei mal dahingestellt. Aus programmatischer Quelle verlautet, dass nur hier die Hörfilmfassung zu hören, und daher der Tatort auch Blinden zugänglich ist. Ein fadenscheiniges Argument, zumal man sich fragt, warum die Zweikanal-Fassung nicht auch im TV (oder nur später in Wiederholung) ausgestrahlt wird.
Aber solche Filmförderungs- und daher in Lübeck offenbar Programmpolitika – wirtschaftliche, leider immer seltener kulturelle – mal am Rande, präsentiert sich der nach einem Plot-Entwurf des schwedischen Krimi-Papstes Henning Mankell von Michael Proehl drehverbuchte und von Regisseur Christian Alvart solide inszenierte Kieler Tatort als Glücksfall für die sonst aus Hamburger Perspektive eher störrisch an die Förde versetzten Ermittler. Kommissar Klaus Borowski aka Axel Milberg ist wie gewohnt so unlustig wie selbstinszeniert cool (während es in ihm immer sichtbar brodelt). Allein, nach der schnippisch-erotischen Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert) als “Sidekick” bietet ihm nun schon zum zweieinhalbten Male eine von geheimnisvollen Schwindelanfällen wie nicht ungenialen Ermittlungsideen heimgesuchte neue Kollegin Paroli. Sibel Kekilli ist als Sarah Brandt einmal mehr der heimliche Star, wenn nicht die Hauptperson eines Kieler Tatorts, der, statt mit diesem neu entdeckten Pfund noch mehr zu wuchern, auf einen wiedermal völlig durchgeknallten Mörder und baltische Brückenschläge zum schwedischen Co-Ermittler (freilich echt ein cooler struppiger Hund: Magnus Krepper als Stefan Enberg) setzt.
Letzterer steht quer und wie uneigentlich aufgespießt von den als Unterwasserfalle angespitzten Bambusstäben des tollwütigen Mörders in der Story und ist eine der weniger guten Erfindungen des ansonsten wie immer grandiosen Geschichtenentwerfers Mankell. Egal, Enberg ist das Bauernopfer des Plots, wenn er als Entwurzelter Borowski nacheifert, aber am Ende an dessen Stelle das (Un-) Zeitliche segnet, bevor Borowski seinen running Gag, die Zahnschmerzen, treffsicher schlagbekräftigt los wird.
Zwei traurige Ermittler, noch vereint (Foto: NFL)
Gleichwohl, solche Seitenwege sind schon immer das Interessante im Kieler Tatort gewesen. Vergleicht man sie mit den Tatorten anderer ARD-Anstalten, so ist der Kieler Tatort neben dem aus Münster (mit dem Dreamteam Axel Prahl / Jan-Josef Liefers) nach wie vor an der vordersten Ideen-Front des betagten Krimi-Formats. Da ist ein bissiger Hund, der nicht zufällig tollwütig ist, derjenige, der die Ermittler schließlich auf die richtige Spur bringt. Da ist die aberwitzige, aber dennoch einleuchtende Konstruktion des Mordmotivs. Da sind die Ermittler, die immer einen fatalen Schritt hinterher, dennoch schlafwandlerisch sicher dem Täter auf der Spur sind – Detektive, die Verlorene und dadurch offen für die absurde Idee der Aufklärung (im philosophischen Sinne) wären, wenn sie ihre eigene Psyche nicht immer wieder daran hinderte.
Kieler Tatorte sind seit langem (tiefen-) psychologisch – und sie tun gut daran, obwohl sie sich dadurch auch selbst behindern. Im Gewirr der Psychen (und Zahnschmerzen, die nicht zuletzt Thomas Buddenbrook quälten – und dann dahinrafften) bleibt manches auf der Strecke der Ermittlungen, wird nur subkutan aufgeklärt. Und erotisch konnotiert, wenn Enberg und Brandt das Traumpaar werden könnten, wären sie nur nicht so psychisch behindert wie Borowski und alle seine Adepten.
Am Ende bleiben ein unnötiger, dramaturgisch jedoch notwendiger Tod und viele Verluste wie angelegte Gewinne für das Weitererzählen der Krimis aus Kiel. Gut gemacht, weil uneigentlich inszeniert, treffend aufgespießt – aber eben leidend am Nicht-viel-mehr in alledem. Gute Reise, Stefan aus Schweden …! (jm)
“Tatort – Borowski und der coole Hund”, Deutschland 2011, 89 Min., Regie: Christian Alvart, Buch: Michael Proehl (nach einer Idee von Henning Mankell), Darsteller: Axel Milberg (Klaus Borowski), Sibel Kekilli (Sarah Brandt), Mavie Hörbiger (Ina Santamaria), Magnus Krepper (Stefan Enberg), Thomas Kügel (Roland Schladitz), Sebastian Weber (Nils Ackermann)
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