ARTE: planmäßige Selbstzerstörung?
Schon seit Jahren ist die Tendenz bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten in Deutschland zu konstatieren, das Programm stromlinienförmiger zu machen und vor allem nur eine möglichst hohe Zuschauerquote als das wichtigste also das relevante Programm-Kriterium anzulegen. Auf der Strecke bleiben unter anderem Sendeplätze für anspruchvolle Dokumentarfilme (z. B. „unformatierte“ Autorenfilme bzw. creative documentaries). Sendeplätze für diese Filme nicht nur zu besseren Sendezeiten (d. h. vor 23 Uhr) werden entweder oft ersatzlos eingespart, oder es wird diesen Filmen eine „Schattenexistenz“ in den Hauptprogrammen von ARD und ZDF um Mitternacht herum oder später gewährt. Nischen für diese Dokumentarfilme bieten zumeist noch Phoenix, 3Sat und vor allem ARTE. In diesen TV-Kultur-Reservaten braucht nicht unbedingt nach dem Main Stream geschielt zu werden, sondern können auch andere Bedürfnisse befriedigt werden. In diesem Zusammenhang ist die im Folgenden dokumentierte Presseerklärung von AG DOK und zwei französischen Filmverbänden zu sehen, die sich mit der aktuellen Programmstrukturreform von ARTE auseinandersetzt. Auch bei ARTE werden fortgesetzte „Popularisierungstendenzen“ auf Kosten eines anspruchvollen Kulturprogramms befürchtet. (redaktionelle Anmerkung)
Vorbemerkung der AG DOK
Am Rande eines deutsch-französischen Koproduktionstreffens in La Rochelle haben sich die AG Dokumentarfilm und zwei befreundete französische Produzentenverbände sehr intensiv mit der aktuellen Programmstrukturreform des deutsch-französischen Kulturkanals ARTE beschäftigt und eine gemeinsame Erklärung verabschiedet. Anders, als es die offiziellen Verlautbarungen glauben machen wollen, sehen wir die Programmreform als ein Alarmzeichen, denn aus unserer Sicht beschleunigt sie den Trend zur Beliebigkeit und die bereits vor zwei Jahren begonnene schleichende Verabschiedung von den Gründungsideen, die den Kulturkanal aus allen anderen Fernsehangeboten herausheben:
Gemeinsame Presseerklärung AG DOK / SPI / USPA (27.06.2011)
ARTE: planmäßige Selbstzerstörung?
Mit wachsender Sorge beobachten die französischen Produzentenorganisationen USPA und SPI sowie die deutsche Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm / AG DOK die aktuelle Programmpolitik des deutsch-französischen Kulturkanals ARTE. Denn mit der gerade beschlossenen Neuordnung der Programmstruktur hat der Trend zur Popularisierung des ARTE-Programms einen neuen Höhepunkt erreicht.
ARTE wurde gegründet, um das Zusammenwachsen der Völker und Kulturen Europas zu stärken. Heute, zwanzig Jahre danach, durchlebt dieses Europa eine seiner schwersten Krisen. In dieser Situation gewinnen die Gründungsideen von ARTE ganz neue Aktualität und eine enorme Bedeutung.
Wir, die Autoren, Regisseure und Produzenten des kulturellen Filmschaffens in Deutschland und Frankreich, stellen daher die folgenden Fragen:
- Mit welchen spezifischen Konzepten will Arte künftig sein europäisches Publikum erreichen?
- Wie will ARTE verhindern, dass künstlerische, vom persönlichen Blick der Autoren geprägte Programme künftig noch stärker aus dem regulären Programm ins Internet abgedrängt werden?
- Warum ist es den deutschen Senderketten ARD und ZDF erlaubt, aus dem ARTE-Budget Gelder zur Finanzierung des eigenen Programms und ihrer internen redaktionellen Strukturen herausziehen? Wie lässt sich verhindern, dass ARTE auch in Frankreich zu einem beliebigen Fernsehkanal unter vielen wird?
- Kann der Kulturkanal unter solchen Umständen überhaupt sein einzigartiges Profil, seinen hervorragenden Ruf in der internationalen Fernseh-Landschaft und seine weltweit anerkannte Sonderstellung bewahren – oder steht der Kulturkanal in der Gefahr, seine Vorreiterrolle zu verspielen?
Unsere Welt, unsere Zeit und unsere beiden Kulturnationen brauchen dieses unverzichtbare Fernseh-Modell heute mehr denn je!
AG DOK / Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, Deutschland
SPI / Syndicat des Producteurs Indépendants, France
USPA / Union Syndicale de la Production Audiovisuelle, France