Dokumentarfilmfest Kaliningrad: Ein Medium sorgt für Gespräche

„In Kaliningrad ist passiert, was man sich von jedem Filmfest wünscht“, sagt Bernd-Günther Nahm begeistert: „Da waren Publikum und Filmemacher drei Tage lang im ständigen Gespräch.“ Keine Selbstverständlichkeit für das Dokumentarfilmfest Territorium Film, das der Leiter der Filmwerkstatt Kiel mit dem Goethe-Institut und ein paar Filmbegeisterten aus Kaliningrad auf die Beine gestellt hat – auf Initiative und mit finanzieller Unterstützung der Staatskanzlei und am Rande des Besuchs einer schleswig-holsteinischen Wirtschaftsdelegation.“
Das deutsch-russische Team der Filmschaffenden mit den Organisatoren Elena Gromova und Bernd-Günther Nahm beim „Landausflug“ auf der Kurischen Nehrung
Zur Eröffnung mit „Full Metal Village“, der hierzulande schon Klassiker-Status hat, gab’s im voll besetzten 250-Plätze-Kino Zarya nicht nur Szenenapplaus, sondern auch ein angeregtes Gespräch mit Regisseurin Sung-Hyung Cho über Fremdheit und Anderssein – ein Thema, das Kaliningrad mit seiner komplizierten ostpreußischen Vergangenheit naheliegt. Ausverkaufte Vorstellungen gab es aber an allen drei Tagen des Filmfests: Muthesius-Absolventin Katja Fedulova stellte ihren preisgekrönten Film „Glücksritterinnen“ vor, über Mütter, Töchter und fünf St. Petersburger Auswanderinnen in Deutschland. Florian Aigner hatte den von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein geförderten Film „Schweigen ist Silber“ dabei. Und da beide Filmemacher an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin Schüler von Andres Veiel sind, lag es nahe, den vielfach Preisgekrönten mit seiner Langzeitbeobachtung von vier Schauspielschülern („Die Spielwütigen“) ebenfalls mitzunehmen.
Einen Altersschnitt von 25 bis 30 Jahren hat der Leiter der Filmwerkstatt im Publikum ausgemacht, aber auch Ältere entdeckt, die der deutsch-russischen Geschichte ihrer Stadt nachspüren. „Vielleicht“, so Nahm, „gibt es in Russlands kleinstem Oblast auch einen Hunger nach solchen Veranstaltungen.“ Denn auch die russischen Beiträge sieht man in Kaliningrad nicht alle Tage. Filme von dem renommierten ukrainischen Dokumentaristen Vitali Manski oder der jungen Julia Panasenko, die als Einzelkämpferin mit ihrer Kamera unterwegs ist. Und „Die nächste Auferstehung“ hatte bei Territorium Film erst seine Kaliningrad-Premiere; der 2008 verstorbene Oleg Morosow erzählt darin vom Leben am Rande der Kaliningrader Gesellschaft.
Dass man sich auf den Dokumentarfilm konzentriert hat, liegt nicht nur an Nahms persönlicher Leidenschaft, sondern auch an dem deutlichen Schwerpunkt in Schleswig-Holsteins Filmlandschaft – und dem Schattendasein, den das Genre allgemein führt. Darüber wurde auch in der eintägigen Masterclass mit Andres Veiel, russischen Kollegen und Studenten der Kaliningrader Hochschule diskutiert. Und Nahm und Veiel waren sich darüber ohnehin einig. „In Russland entstehen im Jahr vielleicht 400 Dokumentarfilme, von denen 20 im Kino ausgewertet werden“, sagt Nahm, „aber auch in Deutschland ist die Lage nicht rosig: Zum Beispiel gibt es immer weniger TV-Sendeplätze für abendfüllende Dokumentarfilme.“
Die Anbindung an die Wirtschaftsdelegation unter Leitung von Staatssekretär Heinz Maurus habe dem Dokumentarfilm sicher zusätzliche Aufmerksamkeit beschert, so Nahm; und er ist durchaus optimistisch, dass die Kooperation in Sachen Film keine Eintagsfliege bleibt: „Es gibt auch aus Kaliningrad positive Signale. Und Kino ist ein Medium, das viele Menschen miteinander ins Gespräch bringt.“ (Ruth Bender, Kieler Nachrichten 21.5.2011)
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