61. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2011

Von der Notwendigkeit, Wagnisse einzugehen

„Utopia Ltd.“ (Sandra Trostel, D 2011)

Anton, Gesang und Gitarre, Basti am Bass und Schlagzeuger Jonas sind „1000 Robota“, eine junge Hamburger Band mit den musikalischen Koordinaten Joy Division, Palais Schaumburg und Tocotronic. Vor wenigen Jahren sind alle drei noch Schüler kurz vorm Abi, wohnen bei ihren Eltern in einem dörflichen Hamburger Vorort und proben hart für ihre bevorstehenden Live-Gigs. Hier setzt Sandra Trostels Dokumentarfilm „Utopia Ltd.“ ein, der den Zuschauer teilhaben lässt an den ersten, schwierigen Schritten dreier junger Musiker in einer Unterhaltungsbranche, die im Gegensatz zu den Idealen von Anton, Basti und Jonas geprägt ist von ökonomischen Zwängen und immer kürzer werdenden „Produktzyklen“, die eine kontinuierliche Entwicklung werdender Künstler kaum noch unterstützt.
Das Tourleben ist anstrengend: Jonas, Basti und Anton sind „1000 Robota“
Für 1000 Robota läuft es zunächst sehr gut an, schon wenige Monate nach der Gründung und den ersten Konzerten kommt es zum Plattenvertrag mit dem Hamburger Label „Tapete Records“ und kurz darauf, Anfang 2008, zu den Aufnahmesessions zur ersten EP „Hamburg brennt“ und ein paar Monate später zur ersten LP „Du nicht Er nicht Sie nicht“. Schon muss die Band die erste wirkliche Belastungsprobe aushalten, als es zu schwierigen Diskussionen um die Tracklist und den Sound der LP geht. Soll das Erkennungsstück des Trios „Hamburg brennt“ noch mal verwertet werden, um den Appeal der LP zu steigern, obwohl die Band sich musikalisch weiterentwickelt hat? Die Band weigert sich. Ein erster Knacks im Verhältnis Band/Produzenten. Die Platte verkauft sich schleppend, und auch die Live-Erfolge bleiben aus, Konzerte sind nicht ausverkauft, die Tour-Reisen im gemieteten Minibus beschwerlich, gepennt wird in den billigsten Hostels. Zu dieser Zeit kommt das verlockende Angebot, an Stefan Raabs TV-quotenreicher Suche nach einem zeitgemäßen deutschen Kandidaten für den European Song Contest teilzunehmen. Das würde einen karrierefördernden TV-Auftritt bedeuten. In der Band wird die Option diskutiert, doch letztendlich lehnen die Jungs das Angebot ab: Das ist nicht der Weg, den die Band beschreiten will. Sie will nicht Erfolg um jeden Preis, Glaubwürdigkeit und Entscheidungsfreiheit sind ihr wichtiger.
Aber dafür lebt der Musiker: Konzerte mit fettem Sound und begeistertem Publikum
Sandra Trostel verfolgt die Entwicklung von 1000 Robota, die internen Diskussionen und den Spagat zwischen Bandkarriere und Existenzsicherung mit dem beobachtenden Gestus der Fly-On-The-Wall-Dokumentation. Sie hat das Vertrauen der Band: Die Regisseurin (und ihre Kamerafrau Lilli Thalgot) werden weder von den schmerzhaften Auseinandersetzungen mit Produzenten und Labelchefs ausgeschlossen, noch werden ihr gegenüber die düsteren, unglamourösen Momente einer schlecht laufenden Tournee beschönigt. Dazwischen gibt es immer wieder kleine Ausschnitte aus Live-Konzerten, die deutlich werden lassen, welches Potential in der Band steckt und mit welcher Leidenschaft sie ihre Musik präsentieren (sehr gelungener Sound und Abmischung durch Thies Mynther und Michael Riedmiller). Die Band, insbesondere Sänger und Gitarrist Anton, reflektieren laufend in den internen Besprechungen, aber auch in Interviews ihre persönliche Situation, die der Band und des Musikbusiness im Allgemeinen. „Ich weiß, dass ich es geschafft habe, wenn ich davon leben kann“ heißt es einmal zum professionellen Selbstverständnis als Musiker. Aber deshalb kann man das Abi nicht schmeißen und auch eine Ausbildung nicht verschmähen. Moralische Schützenhilfe kommt da von unerwarteter Seite, einer der Drei zitiert seine Mutter: „Es gibt auch noch ein anderes Leben, wo du zählst.“ Die Jungs schätzen ihre Chancen aber realistisch ein: In Zeiten vom MySpace hören die Fans halt nur noch Häppchen hier und dort. Es kann dank der Social Networks zwar schnell gehen mit der Entdeckung, allerdings bleibt dann keine Zeit für ein langsames, substantielles Werden und Wachsen.
Es ist erstaunlich, solch junge Musiker von einer Zeit schwärmen zu hören, als die Fans noch „in den Laden gingen, um die neue Platte der Kinks zu kaufen und sich dann die ganze LP rein zu ziehen“. 1000 Robota wissen, diese Zeiten sind für immer vorbei. Heute gelten andere Regeln. Doch sie wollen sich nicht vereinnahmen und kanonisieren lassen, wollen nicht nur wiederholen. „Neue Kunst muss entstehen können.“ An diesem Anspruch lassen sie sich messen, als es zum Bruch mit dem Tapete-Records-Label kommt, ein Tiefpunkt in der noch jungen Karriere. Anton verliert damit gleichzeitig seinen Arbeitgeber, denn bei Tapete Records hatte er eine kaufmännische Ausbildung begonnen. Die letzten Schulden der Band beim Label bezahlt er mit seiner Gitarre.
Sandra Trostel gelingt mit „Utopia Ltd.“ nicht nur ein intensives Bandportrait, sondern ein Lehrstück über künstlerische Ideale in den Zeiten von beständig steigendem ökonomischen Druck in der Unterhaltungsbranche. Gerade in der Musikbranche, die durch den Umbruch in der Distribution von Musik und deren illegale Verfügbarkeit überdurchschnittlich starke Umsatzeinbußen hinnehmen muss, werden die Verwertungszyklen von der „Entdeckung“ bis zur kommerziellen Auswertung eines Trends oder eines Künstlers immer kürzer. Im Grunde muss heute schon das Debüt ein Erfolg sein. Ein Erwartungsdruck, dem sich 1000 Robota durch ihre Sperrigkeit konsequent entziehen und deshalb auch beispielhaft genannt werden müssen. Sie erobern sich ein Stück subkultureller Unabhängigkeit zurück.
Heute ist die Band bei einem neuen Label unter Vertrag. Für Anton, Basti und Jonas geht der Spagat zwischen Job, Uni und der Bandkarriere weiter. Ihr Wagnis, einen eigenen Weg zu gehen, wird hoffentlich belohnt. (dakro)
„Utopia Ltd.“, D 2011, 90 Min. HDCam, Regie: Sandra Trostel, Buch: Sandra Trostel, Thies Mynther, Kamera: Lilli Thalgot, Sandra Trostel, Schnitt: Sandra Trostel, Nicolai Hartmann, Sounddesign: Thies Mynther, Mischung: Michael Riedmiller, Musik: 1000 Robota (Anton Spielmann, Bastian Muxfeldt, Jonas Hinnerkort), Produktion: Sandra Trostel, Ilonka Szokola, Asha Edwards für Tiny Terror Productions, gefördert durch die Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein; Prädikat „Wertvoll“
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