61. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2011

Einsam trotz Social Network

„Medianeras“ (Gustavo Taretto, ARG/D/ES 2011)

Medianeras, um das vorneweg zu klären, sind die riesigen Plakate, die in Großstädten auf die Häuserwände gepinselt werden. Diese kaum zu übersehenden Werbeträger verbreiten ihre eindeutigen Botschaften auf kaum zu überbietende plakative Weise. Aber wer nimmt diese altmodischen Riesen der Kommunikation im Großstadtgewimmel der allgegenwärtigen, elektronisch blitzenden Werbetafeln noch wahr? Ähnlich dürften sich die vielen Singles in einer 3-Millionen-Großstadt wie Buenos Aires fühlen: Deutlich sichtbar und doch nicht wahrgenommen, weil einer unter vielen. Allein. Einsam. Isoliert.
Die Geschichte des einsamen Großstädters ist wahrscheinlich so alt wie die modernen Metropolen selbst. Trotzdem bleibt sie ein fester Bestandteil des Kinorepertoires. Warum? Na, weil das Problem akut ist und die Zielgruppe beständig nachwächst. Umso erfreulicher, wenn dieses Sub-Genre der Romanze (aber z.B. auch des Verschwörungs-Thrillers) originelle Ergänzung erfährt, wie im Falle von Gustavo Tarettos „Medianeras“. Der argentinische Werbefachmann drehte mit „Medianeras“ seinen ersten Langfilm, basierend auf dem gleichnamigen Kurzfilm, mit dem er vor einigen Jahren bereits Festivalpreise sammeln konnte. Für den Langfilm reichert er seine Geschichte um den Webdesigner Martín (Javier Drolas) und die als Schaufensterdekorateurin arbeitende Architektin Mariana (Pilar López de Ayala) mit filmischen Reflektionen über städtische Architektur und moderne Kommunikation an. Außerdem benutzt Taretto Buenos Aires nicht als Kulisse für eine Wann-treffen-sie-sich-endlich-Geschichte, sondern portraitiert die Stadt als Spiegelbild seiner Protagonisten: Chaotisch, unberechenbar, widersprüchlich und gleichzeitig unerklärlich attraktiv.
Haarscharf aneinander vorbei: Martín und Mariana
Bevor sich Martín und Mariana schließlich doch noch begegnen (es geht um das wie, und das wird hier nicht verraten), müssen sie zunächst durch die Höllenkreise des Großstädterlebens: Alleine nach unglücklicher Trennung in der zu dunklen Wohnung, miese Jobs ohne Kollegenanschluss, Zufallsflirts, die nach hinten losgehen. Obwohl sie nur wenige Meter voneinander entfernt leben (und wie wir ahnen, für einander bestimmt sind), führen ihre Wege durch den Großstadtdschungel immer wieder haarscharf aneinander vorbei. Taretto erzählt das in leichtem Tonfall, ohne zu viel Humorkapital aus seinen übrigens zauberhaft gespielten, tragischen Helden zu schlagen. Ihm ist wichtiger, die Zwangsläufigkeit von urbaner Einsamkeit aufzuzeigen, die unter unglücklichen Umständen in einer Paranoia münden kann. Neurosen blühen ohnehin in (je-) der Großstadt, wie ein Verweis auf „Manhattan“ (USA 1979), das Meisterwerk des Großstadt-Erzählers Woody Allen, belegt.
Einsame Nächte im Chat-Room
In den Zeiten von E-Mail und Chat-Rooms sollte es eigentlich leichter sein, einen Lebenspartner zu finden. Doch das Gegenteil scheint der Fall: Die elektronischen Medien liefern uns die besten Entschuldigungen, sich in den eigenen vier Wänden zu isolieren. Raus also aus der Bude, ruft uns Taretto deshalb zu, weitersuchen, nicht aufgeben. Seid eure eigenen „Medianeras“. Es wird schon klappen, irgendwann. (dakro)
„Medianeras“, ARG/D/ES 2011, 35 mm 1:1.85, 91 Min., Regie und Buch: Gustavo Taretto, Kamera: Leandro Martinez, Schnitt: Pablo Mari, Rosario Suarez, Musik: Catriel Vildosola, Darsteller: Pilar López de Ayala, Javier Drolas
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