Ein kurzer Film über den langen Tod
„Eine Schachtel für die Schrauben“ (Christoph Dobbitsch, D 2010)
„Lieber Gott, mach’, dass ich nicht auch kaputt gehe“, betet der kleine Marc (Sebastian Schaaf) beim Schlafengehen. Schlafengehen auf einem provisorischen Bettchen in einem fremden Zimmer in einem fremden Haus, wo eben noch die Spieluhr vom Englein Clara ihr Gute-Nacht-Lied spielte, um kurz vorm Ende vom Lied kaputt zu gehen. Überhaupt scheint nichts in der gewohnten Ordnung des Kindes, sondern „kaputt“ zu sein an diesem Abend, an diesem Tag, wo die Erwachsenen sich so seltsam verhalten, etwas zu verschweigen scheinen, wo Tante Mona nicht nachhause kommt, wo Onkel Jonas (Christian Brückner) sich in seine Werkstatt zurückzieht, um an einer geheimnisvollen Schachtel zu sägen, zu schnitzen und zu schrauben.
Ein ruhiges, beinahe märchenhaftes Kammerspiel erzählt Christoph Dobbitsch in seinem Kurzfilm „Eine Schachtel für die Schrauben“. Er erzählt in Andeutungen und als Super-8-Bilder markierten Rückblenden von einem Drama, das sein kindlicher Protagonist genauso wie der Zuschauer nur erahnen kann. Kaputt ist das Uhrwerk der Spieluhr, leblos ist ihr Mechanismus geworden, Onkel Jonas’ Holzschachtel hat die Form eines Sarges, und so ahnen wir und der kleine Marc: Es geht in diesem kurzen Film um den lange sich ankündigenden Tod. Tante Mona, Onkel Jonas’ Frau, ist gestorben, ihr Uhrwerk ist abgelaufen, zerfallen in eine Handvoll lockerer Schrauben, für die Onkel Jonas eine Schachtel gezimmert hat wie ein Totengräber den Sarg.
Sebastian Schaaf (l.) und Christian Brückner in „Eine Schachtel für die Schrauben“
Immer wieder setzt Dobbitsch allegoriehafte Vanitas-Bilder. Etwa die stehen gebliebene Uhr, die Onkel Jonas über seinen Vater von seinem Großvater erhielt, die letzterem anzeigte, dass er „alles erledigt haben musste, bevor seine Zeit abgelaufen war“, und die Jonas nun seinem Neffen schenkt, der nächsten, letztendlich auch der Vergänglichkeit preisgegebenen Generation, der, die übrig bleiben wird. „Mitten im Leben sind vom Tode wir umfangen“, heißt es in der Bibel, und darum kreisen – nicht zuletzt durch die tages- wie jahres- und lebenszeitlich gesetzten Lichtatmosphären – Dobbitschs filmische Uhrwerke.
Ein Film über den Tod und seine Unbegreifbarkeit, ein Film aber auch, der in seiner Perspektivierung aus dem Erfahrungshorizont des Kindes heraus für Hoffnung steht. Denn das Särglein, das Onkel Jonas zimmert, ist am Ende eine Schachtel für die Schrauben des zerfallenen Uhrwerks Leben, eine Heimstatt für das, was selbst nach dem Tod bleibt, wenn auch zerlegt in seine Teile.
Im gegenwärtigen Kurzfilmschaffen der jungen schleswig-holsteinischen Filmszene sticht Dobbitschs Film nicht nur durch seine Thematik und den mutigen Umgang damit heraus. Auch durch die elaborierte, aber in ihrer Unaufdringlichkeit schlüssige Verwendung der filmischen Mittel. Vor allem aber dadurch, dass Dobbitschs Kollegen fast alle ihre Kurzfilme allein auf eine erzählerische, meist komische Pointe hin komponieren, während Dobbitsch genau darauf verzichtet. Durch seinen Film, der ohne Sensationen auskommt und gerade dadurch ungemein sinnlich ist, weht nicht das Augenblickliche der Novelle, der besonderen Begebenheit, sondern ein Hauch von Ewigkeit des ganz gewöhnlichen, uns alle irgendwann ereilenden Todes.
Chapeau vor diesem Wagnis wie vor seiner formal rundum überzeugenden Umsetzung! (jm)
„Eine Schachtel für die Schrauben“, D 2010, 20 Min., Regie: Christoph Dobbitsch, Darsteller: Christian Brückner, Jennifer Böhm, Sebastian Schaaf. Infos: www.LifeisaDobbitsch.de, Trailer: http://vimeo.com/11999165.