MA HSH-Podiumsdiskussion „Piraten im Netz – sind geklaute Filme schöner?“ verdeutlicht ökonomische Dimension von Filmpiraterie
Längst dient das Internet nicht mehr allein als zusätzliche Vermarktungsplattform für Kinofilme und TV-Produktionen. Zunehmend kursieren dort im großen Umfang Raubkopien. Im Rahmen der Mediatage Nord 2010 fand am 17.11.2010 die Podiumsdiskussion „Piraten im Netz – sind geklaute Filme schöner?“ mit Dr. Holger Enßlin, Vorstand Legal & Regulatory Affairs Sky Deutschland AG, Christian Gisy, Vorstandsvorsitzender CinemaxX AG, Dr. Robin Houcken, Geschäftsführer Studio Hamburg GmbH, und Dr. Mike Sandbothe, Medienphilosoph, statt. Die Veranstaltung wurde organisiert von der Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein (MA HSH). Das Panel verdeutlichte die ökonomische Dimension von Filmpiraterie.
Diskutierten bei den Mediatagen Nord 2010 über die ökonomische Dimension von Filmpiraterie (von links): Dr. Mike Sandbothe, Dr. Robin Houcken, Dr. Friederike Grothe (Moderatorin), Christian Gisy, Dr. Holger Enßlin, Thomas Fuchs
In seiner Begrüßung ordnete Thomas Fuchs, Direktor der MA HSH, die Diskussion um Filmpiraterie in den generellen Diskurs über die Grenzen des Rechts im Internet ein. In den letzten zwei bis drei Jahren sei die Regulierung des Internets zunehmend ein politisches Thema geworden. Ein besserer Schutz kreativer Leistungen im Netz, Datenschutz in sozialen Netzwerken, Jugendmedienschutz und Kinderpornografie oder Verbraucherschutz drängten mit Nachdruck auf die politische Agenda. Doch der Diskurs über die Freiheit des Netzes und die Legitimität regulatorischer Grenzen verlaufe viel zu pauschal. So seien Urheberrechte etwas völlig anderes als Leistungsschutzrechte für Presse und Rundfunkunternehmen im Internet. „Illegales Kopieren und Verbreiten urheberechtlich geschützter Inhalte ist etwas anderes als die gewerbliche Nutzung frei zugänglicher kreativer Leistungen durch Dritte. Und insofern unterscheiden sich die legitimen Schutzbedürfnisse der Leistungserbinger auch erheblich“, führte Fuchs aus. Auch der Datenschutz bei Facebook und bei Google streetview werde gern pauschal parallel diskutiert, es handele sich hier aber um ganz verschiedene Sachverhalte. Die Weitergabe persönlicher Daten, ohne dass man davon wisse, sei nicht zu vergleichen mit dem Abfotografieren von Häusern, die von außen ohnehin für jedermann sichtbar seien. „Ersteres ist nach deutschem Recht schlicht rechtswidrig, letzteres – wenn überhaupt – höchstens grenzwertig“, so Fuchs. Auch hinsichtlich der Abwägung von Zensur und Freiheit im Netz sei die Diskussion in der Vergangenheit seltsam verlaufen. Es sei unverständlich, warum ausgerechnet der Kampf gegen Kinderpornografie Gegenstand derartig vehementer Kritik der Netzgemeinde geworden sei. „Gerade vor dem Hintergrund unserer verfassungsrechtlichen Rechtsprechung sind die Bedenken in keiner Weise gerechtfertigt, die Stärkung des Jugendmedienschutzes und die Sperrung kinderpornografischer Seiten seien quasi der Einstieg in eine fast schon chinesische Netzzensur“, stellte Fuchs klar. Selbst bei einem kritischen Blick auf staatliche Verbote müsse die Freiheit des Internets ihre Grenzen finden, wenn es um schwere Gefährdungen von Kindern und Jugendlichen gehe. Die Beispiele zeigten, dass es einen großen Wurf, das große Internetgesetzbuch, nicht werde geben können. Nur der differenzierte Blick auf die jeweiligen Regulierungsfelder könne im jeweiligen Einzelfall zu sinnvollen Lösungen führen, so Fuchs abschließend.
„Alleine das Portal kino.to bietet illegal rund 300.000 TV-Serien und 66.000 Filme kostenlos an“, sagte Enßlin. Das Geld werde bei kino.to durch Werbung verdient. Er schätze die Einnahmen auf rund fünf bis zehn Millionen Euro. „Die Filme sind schon im Netz, bevor wir sie zeigen können“, beklagte Gisy. Alleine für die Kinos in Deutschland entstehe durch die ausbleibenden Besucher ein Schaden von bis zu 350 Millionen Euro im Jahr. Der Weg ins Netz sei schnell erklärt. „Die Videospur kommt oft aus den osteuropäischen Ländern, in Deutschland wird dann, beispielsweise bei Sneakpreviews vor der eigentlichen Kinopremiere, der Ton mitgeschnitten.“ Beides werde zusammengeführt und sei kurz darauf im Internet verfügbar. „Wir können das so genau nachvollziehen, weil die Tonspuren signiert sind und sich damit ermitteln lässt, wann und in welchem Kino die Aufnahme gemacht wurde“, erklärte der CinemaxX-Chef. „Auch unsere Kinos waren schon betroffen.“
Houcken sprach von einem merklichen Schaden der Piraterie, der ganze Geschäftsmodelle zerstöre und Arbeitsplätze koste. Er machte aber auch deutlich, dass man kreative Lösungen finden könne, die profitabel seien. „Auf Youtube wurde ein Video von Jimi Hendrix veröffentlicht, an dem wir die Rechte haben.“ Zwölf Millionen Mal sei es angeklickt worden. Statt es zu löschen, habe man sich mit dem Videoportal geeinigt und nutze es jetzt für eigene Werbung.
„Für die Vermarktung von Kulturgütern sollte es Grenzen geben“, regte Sandbothe an. Das Urheberrecht sei veraltet und orientiere sich am langsamen Medium Buch. Heute seien die Medien schneller, das mache die Anpassung nötig. „Ab einem bestimmten Zeitpunkt sollte alles für alle frei zugänglich sein, sonst wird der kulturelle Fortschritt verhindert“, lautete seine These.
Filmproduktion koste, und wenn diese Kosten nicht eingespielt würden, dann gäbe es keine Investoren und keine Filme, machte Houcken deutlich. Der Gesetzgeber müsse weiter gehen als bisher. Wichtig sei es, die Nutzer zu sensibilisieren und ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen. Es müsse deutlich werden, dass es zwischen virtuellen und materiellen Gütern keinen Unterschied gebe.
„Schärfere Gesetze und eine Beweislastumkehr“, forderte Enßlin. Man müsse gegen diejenigen vorgehen, die mit illegalen Filmen Geld verdienten. Von den großen Internetbetreibern wünschte er sich, „dass sie den Zugang zu eindeutig illegalen Seiten wie kino.to sperren.“ Damit würden schon einmal 80 Prozent der Nutzer ausgeschlossen werden, schätzte er. Sky kooperiere beispielsweise auf dem Markt der illegal verbreiteten Liveübertragungen, die direkt ins Internet gestreamt werden, mit den Zugangsanbietern. „Wird eine illegale Übertragung bekannt, wird sie sofort unterbunden.“
„Die kriminell Organisierten müssen hart bestraft werden“, sagte Gisy. Die naiven Nutzer sollten eher durch Aufklärungskampagnen erreicht werden. „Dabei darf aber nichts bagatellisiert werden. Filmpiraterie ist eine Straftat, das muss deutlich werden.“
Kriminalisierung sei keine ökonomische Strategie, entgegnete Sandbothe. „Wir brauchen eine Transparenzkampagne, die deutlich macht, was ein Film kostet und wer davon was bekommt.“ Statt sich Feinde zu machen, solle man lieber Verständnis schaffen. Das stärke auch die Bereitschaft zu zahlen. „Wichtig ist es, kulturelle Güter schnell, effizient und zu gerechten Preisen an die Konsumenten zu bringen.“
Sind geklaute Filme jetzt wirklich schöner? „Nein“, antwortete Gisy. Qualitativ seien sie schlechter. „Beim technisch neuen 3D-Film erleben wir jetzt wieder steigende Besucherzahlen.“ Das führe er darauf zurück, dass diese Technik eben nicht über das Internet ins heimische Wohnzimmer komme. Das 3D-Erlebnis sei derzeit nur im Kino möglich und könne schlichtweg nicht kopiert werden.
(nach Pressemitteilungen der Mediatage Nord und der MA HSH)