52. Nordische Filmtage Lübeck 2010
Aus einer anderen Zeit
„Wadans Welt“ (Dieter Schumann, D 2010)
Mythisch überhöht beginnt Dieter Schumanns Dokumentarfilm „Wadans Welt“. Ein weißer Schwan schwimmt auf schwarzem Wasser vor dunklem Stahl, und eine Erzählerstimme berichtet von Wadan (russisch für Wotan), einem nordischen Gott, der trotz aller seiner Kraft und Macht letztlich vom Schicksal abhängig und deshalb sterblich ist. Damit taucht der Film ein in die beeindruckende Bilderwelt einer riesigen Dockhalle, in der sich ein mächtiger Schiffsbau halbfertig in den Raum erstreckt. Vor dem Hintergrund des Niedergangs der Wismaraner „Wadan Werft“ stellt Schumann Beobachtungen über den Wert von Arbeit an. Er porträtiert die Schiffsbauer in ihrer Arbeitswelt, erforscht ihr Selbstverständnis und bestaunt sie bisweilen, wie übrig gebliebene Wesen aus einer anderen Zeit. Sie sprechen von „ihrer“ Werft, als ob sie ihnen gehöre. Hier schaffen sie, und das gibt ihrem Leben Sinn.
Neugierig und ehrfürchtig zugleich folgt die Kamera den einzelnen Werftarbeitern in der fast 400 Meter langen Halle, die mit einem über 70 Meter hohen Dach die Schiffneubauten schützt. Von den Umkleideräumen, in denen sich die Schweißer quasi ihre „Rüstung“ anlegen, bis hinein in die engen Tiefen eines Schiffbaus geht der geduldige Filmblick. Und man wundert sich, wie in den engen Stahlröhren und -höhlen Kameramann (Rainer Schulz) und Kamera neben dem Arbeiter und seinem Gerät überhaupt noch Platz gefunden haben. Die erste viertel Filmstunde lässt mit ruhiger Bildsprache die großen Dimensionen in dem Dock wirken und erschließt dem Zuschauer sinnlich, mit welch einer selbstverständlichen Anstrengung und Konzentration hier geschaffen wird. Eine Handvoll Arbeiter werden eingeführt, deren „Schicksal“ der Film bis zum Ende folgen wird. Da sind die schon älteren Betriebsangehörigen, die von 22- bis 35-jähriger Betriebszugehörigkeit erzählen können, der Kollege Bosnien, der anfangs in der 90er Jahren nur Leiharbeiter ist, doch dann schließlich in die feste Belegschaft übernommen wird, und der Benjamin der Truppe, dessen Großvater schon auf der Werft gearbeitet hat und der sichtlich stolz ist, nun auch dazu zu gehören. Der Film folgt ihnen auch in ihre Wohnungen, in die Küchen und in die gute Stube aufs Sofa, wo nach getaner Arbeit ein Motto lautet „Hufe hoch und Decke drüber“, oder begleitet sie bei einer Mopedspritztour entlang der Ostseeküste. Mittelpunkt bleibt bei allem Tun immer die Arbeit auf der Werft, ohne die man, wie es der bosnische Kollege ausdrückt, quasi oxidieren würde. Die Werft gehört eigentlich nicht den Eignern, sondern den Schiffbauern, sie ist ihre Heimat, stiftet Identität.
In diese selbstverständliche Beständigkeit bricht im Frühjahr 2008 ein Eigentümerwechsel. Die zehn Jahre zum norwegischen Aker-Konzern gehörende „Aker Yards“ wird von diesem mit ihrer 2.500-köpfigen Belegschaft (in Wismar und in Warnemünde) an eine russische Investoren-Gruppe unter Führung von Andrei Burlakow veräußert und heißt ab dann „Wadan Yards“. Schon bei den euphemistischen, nichtssagenden Ansprachen zur Eigentümerübergabe ahnt der Zuschauer, dass nun unruhigere Zeiten auf die Belegschaft zukommen werden. Zu windig und undurchschaubar scheint der neue Eigentümer, zu blumig die sich später nicht realisierenden Versprechungen. Natürlich können die Russen wenig für die anschließende Finanzkrise aus Amerika, die sich zur Weltwirtschaftskrise ausweitet. Aber in deren Folge ist auch der Schiffbau in Wismar existenziell bedroht und damit die ganze Region der kleineren Hansestadt. Da hilft es auch nichts, wenn Burlakow sexistisch von seinen Nerven aus Eisen und seinen „Eiern aus Titan“ schwadroniert.
Im Juni 2009 geht die „Wadan Werft“ in die Insolvenz. Es helfen keine Demonstrationen oder Warnstreiks, die Arbeiter verlieren zum 1. August 2009 ihre Anstellungen. Als der Insolvenzverwalter ihnen die Situation darstellt, bleibt schließlich nur stumme Betroffenheit übrig. Die Kamera fängt die verzweifelte Ratlosigkeit in den Gesichtern der Arbeiter ein, das Hoffen auf neue Anstellung im Folgebetrieb, wenn auch zu schlechteren Konditionen. „Der Beruf Schiffbauer in Deutschland wird aussterben“, stellt der jüngste der Protagonisten ernüchtert fest. Er gehört zu den Hunderten, die keinen neuen Job auf der wieder an einen russischen Finanzier verkauften „neuen“ Werft finden. „Von der Würde der Arbeit“ ist im Untertitel zu Schumanns Film die Rede. Es scheint so, als ob sie immer mehr nur im Selbstwertgefühl der Arbeitnehmer existiert, aus der Perspektive der Arbeitgeber aber verschwindet. (Helmut Schulzeck)
„Wadans Welt. Von der Würde der Arbeit“, Deutschland 2010, 100 Min., DigiBeta, Farbe. Regie: Dieter Schumann, Buch (Konzept): Dieter Schumann, Jochen Wisotzky, Niels Reise, Kamera: Rainer Schulz, Schnitt: Gudrun Steinbrück, Musik: Nils Kacirek, Produktion: Christian Beetz, Gebrüder Beetz Filmproduktion und Basthoster Filmmanufaktur. Filmförderungen: BKM (DFFF), Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein GmbH (FFHSH), Wirtschaftliche Filmförderung Mecklenburg-Vorpommern.