Assistenzsysteme sollen helfen aber nicht beherrschen

Beim Mediagipfel diskutieren Experten Chancen und Risiken von Pflegesystemen

Mit einer Außenschalte beginnt der Mediagipfel zum Thema „Zukunftsmarkt digitale Assistenten“. Ein Auto rauscht an einer Parklücke vorbei, nimmt Maß und steht Sekunden später in der engen Lücke. Einparken auf Knopfdruck, da ist man sich im Saal schnell einig, ist eine gute Sache. Auch Navigationssystem oder Smartphone haben längst den Weg in unsere Gesellschaft gefunden. Sind „nice to have“, wie es Staatssekretärin Dr. Tamara Zieschang vom Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr ausdrückt. Die technische Entwicklung sei immer auch die Suche nach Antworten auf unsere sich rasant verändernde Welt. „Die Schlüsselfrage ist, wie wir den Alterungsprozess menschenwürdig gestalten“, macht Zieschang deutlich. „Bis 2050 wird sich der Anteil der Erwerbstätigen in Schleswig-Holstein um so viele Menschen verringern, wie derzeit in Kiel, Neumünster, Lübeck und Flensburg leben.“ Der Fachkräftemangel sei vorhersehbar, vor allem auch im Pflege- und Gesundheitsbereich, da die Zahl der Älteren Menschen deutlich ansteigen werde.
Diskutierten beim Mediagipfel der Mediatage Nord 2010 über Chancen und Risiken von Assistenzsystemen in der Pflege (von links): Petra Thobaben, Landespastorin für die Diakonie, Lutz Kleinfeldt, Sprecher von SMART Assist, Prof. Norbert Krüger, University of Southern Denmark, Dr. Johann Brunkhorst, Leiter der Landesvertretung Schleswig-Holstein der Techniker Krankenkasse und Moderator Werner Lauff, Unternehmensberater und Publizist. Foto: Michel Mittelstädt, Mediatage Nord
„Werden digitale Assistenten die Enkel der Zukunft sein?“, fragte Jutta Kürtz, Vorsitzende des Beirates des Offenen Kanals Schleswig-Holstein. Reale soziale Netze, in denen Kinder, Partner und Freunde sich in schweren Zeiten kümmerten, seien heute eher die Ausnahme. „Es bedarf künftig der fremden Helfer und der klugen Hilfsmittel.“ Das sei eine Nachricht, hinter der sich unglaubliches wirtschaftliches Potential verberge. Dabei dürfe es aber, so Kürtz, auch künftig nicht an Mitmenschlichkeit, echter Zuneigung und Herzenswärme fehlen. Maschine statt Mensch, das sei eine Horrorvorstellung.
Professor Norbert Krüger, von der University of Southern Denmark in Odensee forscht im Bereich der Robotik. „Ein Rollstuhl, der sich auf Knopfdruck in ein Bett verwandelt, eine Maschine, die Menschen wäscht, oder selbstreinigende Windeln gibt es schon als Prototypen, die kurz vor der Marktreife stehen“, gibt er einen Ausblick auf die nahe Zukunft. Der Hilfsarm, der auf Sprache reagiert und Gegenstände anreicht, sei auch denkbar, aber nicht so schnell realisierbar. „Ein künstlicher Mensch ist auf Jahrzehnte nicht vorstellbar, wenn es ihn denn überhaupt irgendwann gibt“, ist Krügers Einschätzung.
Auch bei SMART Assist in Lübeck wird an Lösungen getüftelt, die Menschen ein längeres selbständiges Leben in den eigenen Vier-Wänden erlauben sollen. „Die Idee ist ein Mosaikkasten der Sensorik, der den Tagesablauf abbildet und so Unregelmäßigkeiten erkennen und melden kann“, erklärt Sprecher Lutz Kleinfeld. „Dabei wird der Wasser-, Strom- und Gasverbrauch registriert oder ein Bettsensor meldet, ob die Schlafstätte benutzt wird. Im Gegensatz zum herkömmlichen Hausnotruf, den der Hilfesuchende selbst auslösen muss, kann dieses System ohne Eingriff in Notsituationen Alarm schlagen.“
„Die totale Überwachung und Fremdbestimmung ist für mich ein Horrorszenario“, macht die Landespastorin für die Diakonie, Petra Thobaben, deutlich. Ethisch bedenklich sei, wenn die menschliche Komponente ausgeblendet werde. Die Begegnung von Menschen mit Menschen, das Bedürfnis nach Nähe und Wärme, könne man nicht an eine Maschine delegieren. Sie sehe aber auch Vorteile. So könne ein Waschroboter beispielsweise helfen, einen Einbruch in die Intimsphäre zu vermeiden.
„In einen Waschautomaten würde ich mich auch setzen“, sagt Dr. Johann Brunkhorst, Leiter der Landesvertretung Schleswig-Holstein der Techniker Krankenkasse. Für den Bereich der Notrufsysteme prognostiziert er: „Da ist noch viel Musik drin.“ Die Hoffnung, dass digitale Assistenten die Kosten im Pflegebereich reduzieren können, habe er jedoch schon lange aufgegeben. Sinnvoll seien die Systeme dennoch, „vor allem, wenn sie den Pflegenden Freiräume schaffen, die diese nutzen können, um menschliche Zuwendung zu geben. Eine industrialisierte Altersversorgung darf es nicht geben.“ Auch dürfe man bei den Entwicklungen nicht auf das System vertrauen, notwendig seien klare gesetzliche Vorgaben. Eine Forderung, die Thobaben aufgreift: „Für den Datenschutz brauchen wir Ombudsleute, die auch gegen den Willen der Familienangehörigen intervenieren können.“
„Der Datenschutz ist keine Hürde“, sagt Kleinfeld. Die größte Herausforderung sei es, die Akzeptanz für solche Systeme zu schaffen. Da sei der Mehrwert ein wichtiger Faktor. So sei es vorstellbar, dass das in Lübeck in der Entwicklung befindliche System zusätzlich auch als Einbruchmeldeanlage fungiere. Bis dahin sei aber noch viel Arbeit nötig, um Computerprogramme so weit zu entwickeln, dass sie zuverlässig die Daten der Sensoren auswerten und tatsächlich nur in Notsituationen Alarm schlagen.
Einig war sich das Podium am Ende in einem „Ja“ zur Sensorik in Grenzen und einer nuancierten Befürwortung der Robotik unter der Maßgabe, dass die Assistenten nicht zum Beherrscher der Menschen werden.
(nach einer Pressemitteilung der Mediatage Nord)
Cookie Consent mit Real Cookie Banner