Altersgerechte Assistenzsysteme sind ein Zukunftsmarkt

Experten gaben bei den Mediatagen einen Ausblick auf den Stand der Technik – erste Testwohnungen in Lübeck werden eingerichtet

„Altersgerechte Assistenzsysteme können eine Lösung für die Herausforderungen des demografischen Wandels sein und ein großes Marktpotential haben“, sagte Dr. Martin Kruse, Geschäftsführer der IHK zu Kiel, die gemeinsam mit dem Clustermanagement Digitale Wirtschaft Schleswig-Holstein die Veranstaltung „Zukunftsmarkt Assistenzsysteme im Dienste des Menschen“ auf den Mediatagen Nord 2010 organisiert hatte. Ziel der Veranstaltung war es, schleswig-holsteinischen Unternehmen den Zugang zu diesem Markt zu verschaffen und mit Experten die rechtlichen und technischen Voraussetzungen zu klären. Auch die Anforderungen an das Benutzerdesign standen im Mittelpunkt der Diskussion.
Dass Ambient Assisted Living (AAL) ein Zukunftsmarkt sei und Chancen für Unternehmen böte, bestätigte Dr. Hartmut Strese von der VDI/VDE-IT Innovation und Technik GmbH. „Wenn die Generation 50+ nur ein Prozent ihres frei verfügbaren Einkommens für AAL ausgibt, dann stehen jährlich rund 1,16 Milliarden Euro zur Verfügung“, machte er deutlich. Wenn es gelinge, nur jedem zehnten der rund einer Million Demenzerkrankten in Deutschland ein Jahr länger ein Leben zu Hause zu ermöglichen, dann würde das gegenüber der Heimunterbringung noch einmal drei Milliarden Euro sparen. Umfragen des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung hätten 2007 ergeben, dass sich lediglich 10,8 Prozent der Menschen ein Leben im Seniorenheim vorstellen können. Die große Masse wolle möglichst lange im eigenen Haus leben und genau das unterstütze AAL.
Grundlage von AAL sei eine umfangreiche Sensortechnik die beispielsweise Wasser- und Stromverbrauch messe, Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit ermittle, sowie Bewegung oder auch den Kontakt mit Möbeln registriere, erklärte Professor. Dr.-Ing. Andreas Schrader von der Universität Lübeck, die Partner des Projektes SmartAssist ist. „Ganz wichtig für die Akzeptanz des Systems ist, dass weder Kameras noch Mikrofone zum Einsatz kommen.“ Per Datenfunk würden die Sensoren die Werte an einen zentralen Rechner weitergeben, der daraus die Lebensumstände ermittelt. „Für den Nutzer muss der Umgang mit den selbstkonfigurierenden und wartungsarmen Sensoren einfach und kostengünstig sein“, so Schrader. Die wesentliche Aufgabe von SmartAssist sei es, zentral die Daten zu interpretieren und den künftigen Diensteanbietern eine einheitliche und vor allem einfache Schnittstelle für die Nutzung zur Verfügung zu stellen, die die erforderlichen Daten liefere, ohne dass man sich Gedanken machen müsse, wie diese ermittelt würden. „Wir bieten eine Plattform, die Wirtschaft muss sie ausfüllen“, war sein Aufruf an die anwesenden Unternehmer. Mögliche Anwendungen seien zum Beispiel Sportspiele unter Berücksichtigung des ReHa-Profils, individuelle Informationsportale, Erinnerungshilfen für Demenzerkrankte oder auch die Unterstützung für die Planung von pollenfreien Radtouren. „Vorstellbar ist Vieles, da baue ich auf Ihre Kreativität“, sagte Schrader. Derzeit würden für einen Testbetrieb 50 Wohnungen in Lübeck mit Sensoren ausgestattet, um Erfahrungswerte zu sammeln. Die Zielgruppe dort sei älter als 75 Jahre, grundsätzlich sei SmartAssist aber ein System, das den Menschen von der Wiege bis zur Bahre begleiten könne, denn auch die soziale Vernetzung und Kommunikation aller Altersgruppen stehe im Mittelpunkt des Interesses.
Ganz wichtig für die Entwicklung sei die Zentrierung auf den Menschen und nicht alleine auf die Aufgaben, sagte Professor Frank Jacob von der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Das Design der Geräte müsse zum Nutzer passen, sonst würden sie nicht angenommen werden. „Deshalb ist Empathie, also die Fähigkeit sich in die Einstellungen und Empfindungen der künftigen Anwender hineinzuversetzen, ein wichtiges Kriterium für die Entwickler“, so Jacob. Ein ästhetisch gestaltetes Interface lade zur Nutzung ein, motiviere, mache neugierig und schaffe die Bereitschaft zur Interaktion. Im zweiten Schritt müsse es die Nutzungsbereitschaft mit einem Erfolgserlebnis, nämlich der gewünschten ergonomischen Funktion, belohnen, erklärt der Experte. Gelinge das, dann werde das betreffende System auch angenommen.
Für die Akzeptanz sei auch der Datenschutz wichtig, machte Martin Rost vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein deutlich. „Wir sind keine Innovationsbremse“, erklärte er. Ganz im Gegenteil, der Datenschutz helfe gute Produkte zu entwickeln. Die Frage nach der Nutzung der Daten sei eklatant wichtig, denn die Konsequenz dürfe nicht sein, dass der Nutzer in seinem täglichen Handeln unter einen Rechtfertigungszwang gesetzt wird. „Um diese Thematik den Entwicklern der Systeme noch mehr zu verdeutlichen ist auch das ULD mit einer Begleitstudie zu den juristischen Fragestellungen am AAL beteiligt“, sagte Rost.
(nach einer Pressemitteilung der Mediatage Nord)
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