Der Film als Lebensreise

„Klaus Wildenhahn. Direct! public and private“ (Quinka F. Stoehr, D 2010)

Wenn Quinka Stoehr mit ihrer Kamera einen privaten Raum betritt, betrachtet sie diesen nicht als Wohnung, sondern als ein Archiv, mit Zeit gesättigt. Der hier wohnt, heißt Klaus Wildenhahn. Ein Regisseur, gerade achtzig geworden. Quinka Stoehr sieht und hört geduldig zu, wie er Bücher aus Regalen zieht, Malereien und Fotos kommentiert. Jede Äußerung, jede Geste, jeder Gegenstand eine Geschichtsspur.
Dann geht es hinaus, kreuz und quer durch Deutschland und Belgien, zu den Stationen eines bewegten Lebens. Einmal, bei einer Lesung in Berlin, der Stadt seiner Kindheit, trägt Wildenhahn einen seiner Texte vor: „Radiostimmen 1945 „¦ Moment meiner Geburt „¦ D-Day“¦ Licht im August „¦ Schwarzweiß die Bilder“. Gesammelte Augenblicke und Assoziationen, Beschreibung einer Selbstfindung. Im Nachkriegsdeutschland hatte Wildenhahn angloamerikanische Wörter und Töne regelrecht aufgesogen; sie prägten auch seine Kunst. Was Quinka Stoehr durch einen wunderbaren Schnitt vor Augen führt; der führt von Wildenhahns Zeilen direkten Wegs in einen seiner frühen Filme: „Zwischen 3 und 7 Uhr Morgens“, U-Bahn-Fahrt im Berlin der 1960er, schwarzweiße Bilder, dazu Jazzsounds, Black Music. Ein Filmschnitt erzählt mehr als tausend Worte: Deutschlands Weltkriegsniederlage war keine, es war eine Befreiung, ein Aufatmen.
Quinka Stoehr, das macht ihren Film zu einer wahrhaften Schatztruhe, hat viele Szenen aus Wildenhahns Werk in ihren Dokumentarfilm hinein genommen. Ihr Film ist nicht einer über diesen Künstler, sondern einer mit ihm, seinen Bildern, welche das wirkliche Sehen, Hören, Fühlen, Denken über die Schablonen und Muster in den Medien wie in der Gesellschaft stellen. Einnehmende Offenheit, atmende Lebendigkeit – davon ist das Werk Wildenhahns erfüllt. Qualitäten, die – auf verwandte und dann doch ganz andere, eigene Weise – auch Quinka Stoehrs Dokumentarfilm eigen sind.
Wildenhahn machte Filme, die nicht alles schon wissen, sondern erkunden, Filme, die den Zufall anerkennen, das heißt, die Menschen und ihre Realitäten wie sie sind; Filme zudem, die eine Plattform sind für jene, die sonst nicht zu Wort kommen in der Gesellschaft. In den 1970ern sorgte er damit für einen handfesten Skandal. Das war, als er die Verlagerung eines friesischen VW-Produktionsortes in die USA dokumentierte. Sein Film wurde heftig bekämpft, an dessen Verteidiger gingen gar Morddrohungen. Mit ruhiger und eindringlicher Genauigkeit rollt Quinka Stoehr den Fall auf, besucht Hauptfiguren des 35 Jahre alten Films, gräbt eine hitzige damalige Fernsehdiskussion aus. Man reibt sich die Augen, verblüfft über das Ausmaß der Erregung, die intellektuell verkleidete Muffigkeit der Argumente gegen Wildenhahn. Doch zeugt all dies auch davon, wie sehr der dokumentarische Film die Menschen berühren und bewegen kann.
So ein Filmkünstler arbeitete fürs Fernsehen, für den NDR. Heute, auch angesichts seines 80. Geburtstags, wird Wildenhahns Werk dort nicht mehr ausgestrahlt. Man muss schon ins Kino gehen, muss Quinka Stoehrs Film gucken, um zu sehen, wie mutig und großartig das deutsche Fernsehen einmal war.
„Direct! public and private“ – der Titel lässt auf ein Stück aus der Sensationspresse schließen. Eine Erwartung, welche aufs angenehmste enttäuscht wird. Unaufdringlich, aber höchst aufmerksam macht Quinka Stoehr den schöpferischen Reichtum sichtbar, der in der Alltagsrealität steckt, lehrt so auf schöne Art das Misstrauen gegen jede Kunst, die darauf aus ist, zu überwältigen. (Michael Girke)
„Klaus Wildenhahn. Direct! Public and private“, D 2010, 84 Minuten, Farbe, 16:9, Deutsche OF, Buch, Regie, Ton: Quinka F. Stoehr, Kamera: Volker Tittel, Stefan Grandinetti, Quinka Stoehr, Schnitt: Margot Neubert-Maric, Dramaturgische Beratung: Rainer Komers, Produktion: StoehrMedien in Koproduktion mit ZDF/3sat und NDR, Redaktion: Bernd Michael Fincke (NDR), Katya Mader (Filmredaktion 3sat), Gefördert von: Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein und Filmstiftung Nordrhein-Westfalen. Der Film hat Premiere auf dem Filmfest Hamburg am 2.10.2010, 17.30 Uhr im Abaton.
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