Cinarchea 2010 – die Jury-Begründungen
Der Große Preis
… geht an einen Film, der mit dem Blick auf eine Fernsehauswertung produziert, aber bezeichnenderweise nie ausgestrahlt wurde – keine nachgestellten Spielszenen, keine computergenerierten Spezialeffekte, keine sensationsheischenden Worthülsen der Superlative oder sommerschöne Postkarten-Motive.
Stattdessen erleben wir einen Musikeinsatz, der sich mit den Winterbildern dieser archäologischen Fundstätte von Weltrang zu einem Stimmungsbild vereint, wie es poetischer kaum sein könnte. Historische Bild- und Textdokumente ersten Ranges veranken die wechselvolle Ausgrabungsgeschichte wissenschaftsgeschichtlich und soziopolitisch. Und über allem steht grundlegend die Frage nach der relativen Wertigkeit moderner Lebenswelten gegenüber den Überbleibseln vergangener Hochkulturen. Oben abreißen, um unten zu forschen – oder nicht?
Ein souverän gemachter Film, der dem Zuschauer Zeit und Raum lässt, den Ort für sich zu entdecken. Und seinen Blick schärft für Abläufe, die für den Touristenstrom verborgen bleiben.
„Herculaneum, Tagebücher von Dunkelheit und Licht“
„Herculaneum, diari del buio e della luce“
von Marcellino de Baggis
Der Preis der Jury….
… zeichnet einen Film aus, der aus einer sehr originellen Perspektive die unserer Zivilisation eigene Zukunftsvorsorge aufs Korn nimmt.
Ein filmisches Essay, das nicht für einen Sendeplatz produziert wurde und deshalb eigene ästhetische Wege gehen konnte. In der Verschränkung der geradezu manischen Bemühungen, die unternommen werden, um auch die nebensächlichsten Dinge für die Zukunft zu bewahren, mit den abgefilmten Spuren unaufhaltsamer Vergänglichkeit, offenbart sich in subtil ironischer Weise das irrationale Moment aller Hoffnung auf Ewigkeit.
Was zukünftige Betrachter einmal aus den von uns absichtsvoll gestreuten Zeitkapseln lesen werden, falls sie sich überhaupt die Mühe machen sollten, die archivierten Akten und Langspielplatten des Homo Sapiens zu entschlüsseln, steht dann ohnehin in den Sternen. Es stellt sich die Frage: „Archivieren Sie noch, oder leben Sie schon?“
„Was wird bleiben…“
von Knut Karger
Den Spezialpreis für Grabung und Methoden
… vergeben wir einer Dokumentation über die sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen, konkreter: jener nach dem verlorenen Schuhnagel im Waldboden. Unser Preisträger erfasst diesen Prozess des Prospektierens, Findens und Rekonstruierens mit exemplarisch unprätentiösen, klaren Bildern vom Grabungsalltag auf einem antiken Schlachtfeld. – und Schlachtfeldarchäologie ist im Kommen, etabliert sich derzeit gar als eigenständiges Forschungsfeld.
Es scheint uns so nur noch eine Frage der Zeit, bis die beteiligten Archäologen dem römischen Kaiser übermitteln können, bei welchem Scharmützel und wo – auf den Zentimeter genau – in der Germania Libera seine Legionäre ihre Lanzen geworfen und ihre Sandalen verloren haben.
„Die Schlacht am Harzhorn“
von Angela Sonntag
Der Spezialpreis für Unterwasserarchäologie
… geht an die vorbildlich modern fotografierte Rekonstruktion einer Seeschlacht skandinavischer Großmächte, deren Ablauf sich bis heute auf dem Grund der Ostsee ablesen lässt. Ausgerechnet die ausführlichen Reenactments, sonst oft eine Schwachstelle überambitionierter Fernsehproduktionen, tragen in diesem Falle wesentlich zur unmittelbaren Erfahrbarkeit der letzten Tage eines mächtigen Kriegsschiffes bei.
„Kampf um die Ostsee – Das Wrack der ’Hedvig Sophia’“
von Kirsten Hoehne
Unsere lobende Erwähnung
… geht an eine südwestdeutsche Dokumentation, die Archäologie und Anthropologie, Fachleute und Laien, Living History und Computertomografie sehr gelungen zusammenbringt- ein wahrer Schatz des Landes.
So wie jener Urmensch, um dessen Bedeutung und Popularisierung es in diesem Beitrag geht, verschwunden ist, beklagen wir auch den Verlust dieses wunderbaren Sendeplatzes, der einer etwas anderen Art der Evolution zum Opfer gefallen ist, dies um so mehr, als diese Anstalt immer wieder preisgekrönte Werke in der Vergangenheit hervorgebracht hat.
Unsere lobende Erwähnung gilt einem Fernseh-Halbstünder, der mit seiner klaren Bildersprache den selben Weg geht wie der Verein von Enthusiasten, dessen Arbeit er würdigt: wissenschaftliche Befunde von weltweiter Bedeutung auf kreative Weise an die Öffentlichkeit zu bringen, ohne zu langweilen oder zu bevormunden.
„Der Urmensch von Heidelberg“
von Tamara Spitzing