14. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Wir lassen uns nicht wegwaschen

„The Sound After the Storm“ (Patrik Soergel, Ryan Fenson-Hood und Sven O. Hill, Deutschland/Schweiz 2009)

Die Jazzsängerin Lillian Boutté lebt, wenn sie nicht gerade auf Konzerten durch die Welt tourt, seit über 25 Jahren so gut wie „unerkannt“ in der schleswig-holsteinischen Provinz, ist aber als „Stimme von New Orleans“ bekannt und ihrer Heimat immer eng verbunden. Zu Beginn des Dokumentarfilms „The Sound After the Storm“ beschreibt Boutté einen Albtraum, der für Hunderttausende in New Orleans zur Realität wurde: Ein Sturm kommt, die Behörden versichern, es wird schon gut gehen. Mitten in der Nacht wacht man mit einem Frösteln im Bett auf. Das Wasser hat den Körper erreicht … Dann sieht man aus der Vogelperspektive eine überflutete Stadtlandschaft, aus der nur noch die Dächer und hohen Baumkronen herausragen. 80 Prozent von New Orleans wurden Ende August 2005 infolge des Hurrikans Katrina bis zu 7,60 Meter unter Wasser gesetzt.
Das überflutete New Orleans
Drei Jahre später: Noch immer sieht die Stadt in vielen Teilen mehr als nur lädiert aus. Ruinen, verwüstete Vorgärten und immense Leerstände kennzeichnen die Situation. Der Fotograf Armand „Sheik“ Richardson fährt durch verlassene Suburbs und führt allerorten, wenn er auf die verwaisten Häuser weist, das Wort „empty“ im Munde. Auch der afroamerikanische Jazz-Musiker Michael White begleitet den Zuschauer durch neues Brachland, aus der die Bevölkerung verschwunden ist. Die Natur eroberte sich Areale zurück, Buschland wuchert in ehemaligen Wohngebieten.
Da wirken dann die Jungs von der „The Next Generation Brass Band“, die an einer Straßenecke ihre Blasinstrumente rhythmisieren, wie ein Häuflein der letzten Aufrechten, die unverzagt gegen die Mutlosigkeit der sozialen und kulturellen Versteppung anspielen. Ein Quell der alten Lebensfreude, der die Mutterstadt des Jazz einst so berühmt und unvergleichlich gemacht hat, strömt aus ihren Trompeten und Posaunen. Und so erschütternd die Lage für einen Großteil der Bevölkerung und ihre Stadt immer noch ist, an Aufgeben wird bisher noch nicht gedacht. Boutté und ihre Freunde lassen sich nicht „wegwaschen“. Sie sammelt unermüdlich landauf landab Spenden, gibt Benefizkonzerte, hält Vorträge. Michael White, der seine umfangreiche historische Instrumenten- und Tonträgersammlung durch die Flut verloren hat, findet neue Kraft und Inspiration beim Komponieren mit seiner Klarinette. Auch Fotograf Richardson versucht, mit seinen Fotos an den Soziotop der afroamerikanischen Musikkultur zu erinnern und ihn wach zu halten.
The Next Generation Brass Band
Die Regisseure Patrik Soergel, Ryan Fenson-Hood und Sven O. Hill begleiten so die beiden Musiker und den Fotografen bei ihren Bemühungen um die Revitalisierung ihrer zerstörten Heimatstadt und folgen deren Erinnerungen auch in den August 2005 und die Folgezeit. Boutté erlebte die Katastrophe und das organisatorische Chaos, bei dem über 1.800 Menschen ums Leben kamen, aus der Ferne, via Computer und Telefon von Deutschland aus. Als sie daraufhin ihr Elternhaus besucht, findet sie nur noch Müll und das Hausgerippe vor. Die fauligen Wände sind aus den Holzkonstruktionen herausgeschlagen worden. Resultat einer Sisyphusarbeit von vielen Freiwilligen nicht nur in ihrem Viertel, zu denen auch Armand Richardson gehörte. Letztendlich war sie meist vergeblich, da sehr viele der betroffenen Häuser dann doch in Gänze abgerissen wurden. Ein Sieg des Schimmels.
Der Film liefert keine vollständige Chronik der Ereignisse und fragt auch nicht nach den Verantwortlichen des organisatorischen Desasters bei den Hilfsaktionen. Er schildert vielmehr an Hand der persönlichen Geschichten von drei Betroffenen die Ereignisse, die traurigen Konsequenzen und die Aufarbeitung der Traumata, die wie der Wiederaufbau der Stadt noch lange nicht abgeschlossen sind. Er verlässt sich dabei zu Recht ganz auf die emotionale, anrührende Ausstrahlung seiner Protagonisten und auf ihre Musik, die wie ein unerschütterlicher Schatz von melancholischem Optimismus den Film stützt und ihn so (fast wie nebenbei) zu einem Musikgenuss macht. Die Katastrophe ist noch nicht bewältigt, sondern bedroht in ihren Konsequenzen New Orleans weiterhin. Genauso wie die brüchigen, nur notdürftig und ungenügend instand gesetzten Dämme. Der Film macht eindringlich klar, was unterzugehen droht. (Helmut Schulzeck)
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