14. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Zu Gast auf der Augenweide: National Film School in Łódź

Mit der Staatlichen Hochschule für Film, Fernsehen und Theater „Leon Schiller“ Łódź war in diesem Jahr eine der ältesten und renomiertesten Filmschulen weltweit zu Gast auf der Augenweide. Zu den aus ihr hervorgegangenen Regisseuren gehören Andre Wajda, Roman Polanski und Krzysztof KieÅ›lowski. Da Łódź im Zweiten Weltkrieg im Vergleich zu Warschau weitestgehend von der Zerstörung durch Bombenangriffe verschont blieb, siedelte sich dort in den Nachkriegsjahren die Filmindustrie an. Konsequenterweise wurde 1948 in Łódź eine Filmhochschule gegründet. Während damals zunächst nur die Ausbildung von Kameraleuten und Regisseuren möglich war, bietet die Schule heute zusätzlich fünfjährige Studiengänge in den Bereichen Animation, Filmproduktion, Schauspiel, Drehbuch und Fotografie, die mit jeweils einem Master abgeschlossen werden.
Da die Studenten auch praktisch ausgebildet werden, verfügt die Filmhochschule nicht nur über eigenes Equipment zur Filmherstellung und Postproduktion, sondern hat seit ihrer Gründung einen steten Output an studentischen Kurzfilmen. Aus ihrem Katalog präsentierte die Filmschule Łódź auf der Augenweide sechs Werke ihrer Studenten von 1958 bis heute.
Den Anfang des Programms, das auch nach der Augenweide im Umfeld des diesjährigen Schleswig-Holstein-Musikfestivals (Partnerland Polen) zu sehen sein wird, machten die Kurzfilme zweier namhafter Absolventen.
In „Two Men and a Wardrobe“ („Dwaj ludzie z szafa“, POL 1958) erzählt Roman Polanski, der unlängst auf Sylt seinen aktuellen Politthriller „The Ghost Writer“ (F/D/UK 2010) drehte, eine absurd anmutende Allegorie auf menschliche Ängste und Niedertracht. Zwei Männer tauchen mit einem schweren Schrank aus der Ostsee auf. Nur in gemeinsamer Anstrengung können sie den Schrank, scheinbar ziellos, durch das kleine Städtchen tragen. Immer wieder treffen sie auf Bewohner der Stadt, die entweder ablehnend, ängstlich oder gar aggressiv auf die Fremden reagieren. Schließlich entschwinden die beiden, samt dem Schrank, wieder in den Wellen. Schon in dieser frühen Arbeit finden sich die Themen, die Polanskis Filme bis heute prägen.
Fünf Minuten nur braucht Krzysztof KieÅ›lowski um in „The Office“ („Urzad„, POL 1966) uns ein bleibendes Bild einer ausufernden Bürokratie zu vermitteln. An einem Amtsschalter stehen polnische Rentner Schlange, um sich ihre Bezüge auszahlen zu lassen. Während die Kamera zunächst diesseits und jenseits des Schalters beobachtet, schlägt sich KieÅ›lowski bald auf die Seite der Antragsteller. Dabei montiert KieÅ›lowski seinen Dokumentarfilm so geschickt, dass die Enttäuschung der Wartenden und ihre unterschwellige Wut spürbar werden.
2004 stirbt ein Fußballfan bei Ausschreitungen von Hooligans nach einem Zusammenstoß mit der Polizei. Wojcieh Kasperski erzählt vor diesem realen Hintergrund in seinem Film „Refugee City“ („Miasto ucieczki“, POL 2006)eine fiktionale Geschichte von falsch verstandener Männlichkeit und unterdrückter, latenter Homosexualität, die in Gewalt umschlägt. Formal auf der Höhe der Zeit und handwerklich außerordentlich versiert komprimiert Kasperski den eigentlich abendfüllenden Stoff auf eine gute Viertelstunde und schafft es doch, Spannung und Stimmung aufzubauen. Beachtlich.
Von den Härten im Auswahlverfahren für die Staatliche Ballett-Akademie in St. Petersburg erzählt die Kurzdokumentation „52 Percent“ (POL 2007) von Rafal Skalski. Der Titel spielt auf die idealen Körperproportionen für eine Balletschülerin an, definiert durch das Verhältnis von Beinlänge zur Körpergröße. Die junge Tänzerin Alla verfehlt dieses Maß um Haaresbreite und hat zwei Monate Zeit, sich durch ein martialisches Training auf das Traummaß zu bringen. Skalsis Film zeigt die ungeschminkte Realität einer fast menschenverachtenden Selektion. Aber er feiert auch die unglaubliche Disziplin seiner kindlichen Heldin, die unverzagt an ihrem Traum festhält.
In dem preisgekrönten Kurzfilm „Echo“ (POL 2008) lässt der schwedische Jungregisseur Magnus von Horn zwei Jugendliche ihren Mord an einem jungen Mädchen noch einmal durchleben. Um den Tathergang genau zu rekonstruieren, insistiert der ermittelnde Kriminalbeamte auf einem detaillierten Nachspielen des brutalen Verbrechens am Tatort. Die Jugendlichen sind gezwungen, sich ihrer unfassbaren Tat zu stellen. Ein intensives Mini-Psycho-Drama.
Die kurze, witzige Animation „Birth Of A Nation“ („Narodziny narodu“, POL 2001) von Kamil Polak beschließt das exzellente Auswahlprogramm. In der Tradition schlichter, grafischer Stop-Motion-Animation bringt Polak gesellschaftliche Ausgrenzungsprozesse und die damit verbundene Zwangsläufigkeit von gewalttätigen Konflikten auf den Punkt.
Die Filmschule Łódź verpflichtet sich nicht nur einer handwerklichen Tradition, sondern nach wie vor auch dem Blick auf das politisch und gesellschaftlich Essentielle. Die Wiederaufführung des Programms in den nächsten Monaten sollte man nicht verpassen. (dakro)
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