14. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide
Brüchige Paradiese
Beim Filmfest Augenweide gewann unter anderem Bartosz Werners „Unkraut im Paradies“.
„Ihr glaubt gar nicht, wie wichtig mir gerade dieser Preis ist“, ist der Kieler Filmemacher Bartosz Werner den Tränen nah. Die Jury des 14. Filmfests Schleswig-Holstein – Augenweide verlieh am 28.3.2010 nach drei Tagen Filmfest in der Pumpe seinem „Unkraut im Paradies“ den mit 2.000 Euro dotierten und von der Kulturellen Filmförderung S.-H. gestifteten Spielfilmpreis.
Werners Tränen sind solche der Freude, aber auch der filmfamiliären Rührung. Er ist eines der „Kinder“ der Kulturellen Filmförderung, der Filmwerkstatt Kiel und auch der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein. Die stete Förderung seiner ersten Kurzfilmversuche über seinen und Irma-Inga Stelmachs Filmhochschul-Abschlussfilm „Preußisch Gangstar“, der 2007 auf dem Augenweide-Siegertreppchen stand, bis zum jetzigen Kinospielfilmdebüt zeigt nicht zuletzt, wie kontinuierlich und zielsicher die hiesige Filmförderung den Nachwuchs nicht nur finanziell, vor allem auch ideell und durch Beistellung von Technik bis zum Erfolg begleitet.
Dass dabei nicht Mainstream, sondern innovative Filmideen im Zentrum stehen, der Film als soziologischer Seismograf die Randbereiche auskundschaftet, beweist Werner mit dem Porträt einer heutigen Jugend, die zwischen den Stühlen bürgerlicher Paradiese nicht sesshaft werden kann. Werners Anti-Held Lukas (Remo Schulze) hätte gerne eine ganz normale Arbeit, würde mit seiner Freundin Meike (Klara Manzel) vielleicht ins Paradies einer ganz normalen Familiengründung einziehen. Allein, die Verhältnisse, sie sind nicht so. Das „Coming-of-Age“ dieser Generation ist immer wieder nur ein Auszug aus dem Paradies.
Augenweide-Spielfilmpreis: In Bartosz Werners Jugend-Paradiesen wächst das Unkraut – und eine leise Liebelei
Lukas schlägt sich vom einen Praktikum zum nächsten Teilzeitjob durch. Wer selbst das nicht schafft, weil ihm die Möglichkeiten dazu nicht geboten werden, wird Flaschenpfandsammler auf der Kieler Woche. Mit bis zu 90 Euro pro Tag kann Jan W. sein Hartz IV, das selbst zum sparsamsten Leben nicht reicht, aufbessern, wenn er mit seinem vierspännigen Einkaufswagen-Truck über die Feiermeilen des Paradieses zieht. Malte Blockhaus und Philipp Achterberg, Studenten am Bereich Geomedien der CAU, begleiteten ihn mit der Kamera. Der Jury war „Bücken für 8 Cent“, in dem es „um Würde und Respekt geht, vor sich selbst und zwischen einem Dokumentarfilmteam und seinem Protagonisten“ (Jury-Begründung) eine lobende Erwähnung wert.
Flaschensammeln im Feiermeilenparadies: Jan W. in „Bücken für 8 Cent“
Den von der Pumpe gestifteten Preis in Höhe von 2.000 Euro teilte die Jury weise zu gleichen Teilen in einen Kurzfilm- und einen Dokumentarfilmpreis. Letzteren erhielt Rainer Komers für seine ganz auf Musik und Kommentar verzichtende Studie „Milltown, Montana“. Sie zeigt ein von Menschenhand verwüstetes Paradies. Wo Kupferabbau sich einst nicht um die Umwelt scherte, sind nach der Schließung der ausgebeuteten Minen nicht nur die Arbeitsplätze weg, auch das Wasser ist vergiftet. Mühsam baggern sich die Schaufeln durch den Abraum, was Komers ebenso streng dokumentarisch wie in ästhetisch berauschenden Bildern einfängt.
Vom Paradies blieb nur der Müll: Rainer Komers’ „Milltown, Montana“ gewann den Dokumentarfilmpreis der Augenweide
Manchmal ist das Paradies auch nur einen Sprung weit – wenn man ihn denn wagte. Christian Mertens, ebenfalls ein langjähriges „Förderkind“ der Filmwerkstatt und des Landesverbands Jugend & Film, verfilmte Niels Freverts Song „Baukran“ (Video) als Geschichte eines Jungens, der sich den ersten Sprung vom Drei-Meter-Brett im Schwimmbad nicht traut.
Kurzfilmpreis für die Melancholie vor dem Sprung … Christian Mertens’ „Baukran“
Die Jury, die Mertens dafür den Kurzfilmpreis verlieh, lobte „den wunderbar sanften Rhythmus, die Melancholie“ des Musikvideos, „das einen packt, weil es unerwartet tiefe Gefühle anspricht“. An dessen zeitlupendem Ende gelingt übrigens der Sprung – offen bleibt, ob aus dem oder ins Paradies. (jm)