60. Internationale Filmfestspiele Berlin: Forum

Gefangen in Armut

“Congo in Four Acts” (Dieudo Hamadi, Divita Wa Lusala, Kiripi Katembo Siku, Patrick Ken Kalala, Demokratische Republik Kongo, Südafrika 2010)

Jedem, der einen Klagegesang über hiesige Verhältnisse anstimmen möchte, sei der Dokumentarfilm “Congo in Four Acts” empfohlen. Er beleuchtet einige der typischen Missstände des afrikanischen Kontinents am Beispiel der Demokratische Republik Kongo (ehemals Zaire, davor belgische Kolonie) stellvertretend für viele andere afrikanischen Länder. Vier junge kongolesische Regisseure zeigen mit einfachen technischen Mitteln (DV-Kameras) eine beeindruckende Innensicht aus dem afrikanischen Alltag. Dass dabei nicht immer alles perfekt filmisch in Szene gesetzt sein mag, kann bei der Beurteilung ihres aus vier einzelnen Kurzdokumentationen bestehenden Films vernachlässigt werden, zu eindringlich sind die erschütternden Befunde, die sie abliefern.
Wer sich nur ein klein wenig mit “afrikanischen” Verhältnissen auskennt, wird vieles, manchmal ratlos, wiedererkennen. Ruhig beobachtet im ersten Film Ladies in Waiting” von Dieudo Hamadi und Divita Wa Lusala die Kamera die Situation in der Geburtsstation eines Krankenhauses. Kein Kommentar der Filmemacher mischt sich in das Geschehen ein, braucht es auch nicht. Die brutalen Tatsachen sprechen für sich, in allen vier Filmen. Hier ist es das Problem, dass die Mütter mit ihren Babies nicht die Klinik verlassen dürfen, bevor sie ihre Rechnung bezahlt haben. Sie beschweren sich beim Personal, dass die Toiletten nicht gereinigt werden. Worauf ihnen pampig erwidert wird, da sie nicht bezahlen könnten, müssten sie die Reinigung selbst übernehmen. Zweiter Schauplatz dieses gut 25-minütigen Films ist das Rechnungsbüro des Hospitals. Die Akten stapeln sich wie in einer Deko zu einem satirischen Film. Patienten feilschen tagtäglich geduldig mit einer latent genervten Mitarbeiterin des Krankenhauses um ihre Freiheit. Sie wollen endlich raus aus dem Krankenhaus, können ihre Entlassung aber nicht bezahlen. Billige Stereoanlagen werden in Zahlung gegeben, Eheringe oder Kleidung als Pfand hinterlegt. Gefangen in Armut und Bürokratie.
Zeichen der Armut: Stinkende Kloaken (Foto: Berlinale)
“Symphony Kinshasa” von Kiripi Katembo Siku beschäftigt sich mit der desolaten Infrastruktur der kongolesischen Hauptstadt, die in großen Teilen immer mehr verslumt. Man würde es nicht glauben, wenn es die Bilder nicht so drastisch zeigen würden. Die Kamera dokumentiert das Desaster, die Leidtragenden äußern sich verzweifelt bis resigniert. Müll säumt die Wege allerorten, Abwässer und desolate Stromleitungen teilen sich fast dieselben Routen, Überschwemmungen verwandeln ganze Straßenzüge in stinkende Kloaken. Ein Fäkalienparadies für Fliegen. Frischwasser ist knapp, Malaria dagegen die Regel. Ein Priester beschwert sich, Kinshasa werde zu einem Dorf, von einer zivilisatorischen städtischen Situation sei nichts zu merken.
Die bedrohte Presse- und Meinungsfreiheit (und damit auch Demokratie) ist das Thema der dritten Kurzdokumentation, “Shrinking Press” von Patrick Ken Kalala. Eine junge Journalistin erzählt von ihrem Schicksal. Ihr Vater, leitender Kopf einer NGO, bei den Regierenden als Unruhestifter verschrien, wurde ermordet. In einem Land, wo der tägliche Durchschnittsverdienst bei einem Dollar liegt (so viel kostet eine Zeitung), weiß sie nicht, wer in Zukunft ihre Zeitung noch kaufen soll. Die Reichen kaufen sich die Meinung und damit die politische Macht.
Am optisch eindringlichsten wird die Hauptursache aller behandelten Probleme, die Massenarmut, im letzten Beitrag illustriert. Mit berührenden, filmischen Bildern entwirft Kiripi Katembo Siku in “After the Mine” eine Elegie der Not. Verwüstete Einöden verstören den Blick. Stoisch scheinen sich Frauen und Kinder in ihr Schicksal zu fügen. Von morgens bis abends harte Sisyphosarbeit. Mit simpelsten Werkzeugen zerschlagen sie Steinbrocken zu Schotter. Schon Dreijährige müssen sich darin üben. Die Kamera harrt auf verbrannten Gesichtern in der von Minen zerstörten Landschaft.
Verwüstete Einöden (Foto: Berlinale)
“Congo in Four Acts” ist das Ergebnis eines Trainingsprogramms für junge Filmemacher. Ganz im Stil des Cinéma vérité wurde bei allen vier Teilen auf Musik oder eine auffällige Schnitttechnik verzichtet. Der Film entwickelt trotz seiner unterschiedlichen Macher und Themen eine überzeugende Einheitlichkeit. Man kann diesem Debüt nur wünschen, dass es seinen Weg in die europäischen Programmkinos oder ins Fernsehen findet. (Helmut Schulzeck)
“Congo in Four Acts”, Demokratische Republik Kongo, Südafrika 2010, 72 Min., DVCam, Regie: Dieudo Hamadi, Divita Wa Lusala, Kiripi Katembo Siku, Patrick Ken Kalala.
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