60. Internationale Filmfestspiele Berlin: Wettbewerb
Verführer und Verführte
„The Ghost Writer“ (Roman Polanski, GB/D/F 2010)
Die Erwartungen an „The Ghost Writer“ und Regisseur Roman Polanski waren hoch. Polanski hat bereits mehrfach bewiesen hat, dass er das Thriller-Genre nicht nur beherrscht; er hat mit „Chinatown“ (USA 1974) auch einen Meilenstein gesetzt. Jetzt verfilmte er einen Polit-Thriller von Robert Harris um einen fiktiven britischen Ex-Premierminister, der rechtzeitig zur Premiere des Films mit unerwartet aktuellen Bezügen zu Großbritanniens Ex-Premier Tony Blair und seiner Aussage vor dem Irak-Untersuchungsausschuss die gesteigerte Aufmerksamkeit der Tagespresse erregt. Roman Polanski selbst sorgte durch seine Verhaftung in der Schweiz Ende vergangenen Jahres, dem Auslieferungsgesuch der USA und dem andauernden Hausarrest für unfreiwillige Publicity. Polanski jedoch dürfte es weder um Tagespolitik gehen, noch sind in seinem Film Hinweise auf seine eigene Situation zu vermuten. Er schildert die Welt wieder einmal als Schauplatz immerwährender Machtspiele. Die wirklich Mächtigen bleiben unsichtbar, sie sind skrupelloser und perfider, als wir es wahrhaben wollen. Wer gegen sie aufbegehren will, muss schneller und cleverer sein. Oder sich auf einen verführerischen Pakt einlassen.
Mit einer Verführung beginnt „The Ghost Writer“. Eine enorme Summe bietet ein Verlag dem talentierten Ghostwriter (Ewan McGregor) für die Memoiren des britischen Ex-Premierministers Adam Lang. Der Haken an der Sache: Das Buch muss in Rekordzeit fertig werden, und der letzte Ghostwriter und langjährige Berater Langs kam unter mysteriösen Umständen ums Leben. Kaum hat er die Bedenken in ein paar Glas Whiskey ertränkt und den Job angenommen, findet sich der Ghostwriter in einer modernistisch-düsteren Strandvilla auf der amerikanischen Ostküsten-Insel Martha’s Vineyard wieder. Lang präsentiert sich gut gelaunt, aber undurchsichtig. Seine Ehefrau Ruth spart nicht mit bissigen Bemerkungen. Die attraktive Beraterin und Geliebte Langs hält das bisherige Manuskript der Memoiren unter Verschluss, lediglich ein Papierausdruck darf der Ghostwriter einsehen. Als Lang durch den Vorwurf des Kriegsverbrechens international unter Druck gerät, verwandelt sich die von Presse und Demonstranten umlagerte Villa in eine Festung. Der denkwürdige Tod seines Vorgängers bringt den Ghostwriter auf eine Spur, die auf eine Verschwörung der CIA und eines Rüstungskonzerns mit dem britischen Ex-Premier hindeutet. Kann der Ghostwriter die Wahrheit ans Licht bringen, bevor er selbst zum Opfer der Verschwörer wird?
Ewan McGregor als Ghostwriter, der finsteren Machenschaften auf die Spur kommt (Foto: Berlinale)
Polanski inszeniert seine Protagonisten als Verführer und Verführte. Der Ghostwriter kann weder das lukrative Angebot des Verlegers ablehnen, noch einen Whiskey oder die vernachlässigte Gattin des Ex-Premiers. Ihr galanter Gatte verführte einst die britische Nation, ihn zum Staatschef zu machen; jetzt hat er alle Macht verloren und verführt höchstens noch seine Angestellte. Wurde er wiederum von der CIA und der Waffenindustrie zum widersinnigen Kriegsbeitritt und in der Folge zu Kriegsverbrechen verführt? Lang bleibt undurchsichtig, ein Schauspieler, dem die Lieblingsrolle des charmanten Liebhabers und Draufgängers nicht mehr zusteht, der sie aber noch nicht abgeben mag. Idealerweise besetzt mit Pierce Brosnan, für den die Ablösung an der Agentenfront auch unerwartet und schmerzhaft kam. Es ist diese Ambivalenz, die Polankis Figuren so interessant und nachhaltig macht. Jeder versucht, seine Motive, so gut es geht, zu verstecken. Es werden viele Vorhänge zu- und aufgezogen in der Villa auf der Insel; von Schmierenkomödianten ist die Rede. Die politische Weltbühne scheint als ein einziges Theater, und wir, die Zuschauer, lassen uns von geschickten Marionettenspielern verführen.
Gefangener der eigenen Verführungen: Pierce Brosnan als Premierminister (Foto: Berlinale)
„The Ghost Writer“ ist Filmemachen alter Schule, da zählen zunächst die Geschichte und interessante Figuren. Auf oberflächliches Spektakel verzichtet Polanski seit jeher. Dafür zieht er alle Register einer stimmigen Inszenierung. Orte und Räume spielen bei ihm immer schon eine wichtige Rolle. Wie in „Cul de Sac“ (GB 1966) sitzen Täter und Opfer gemeinsam auf einer Insel in einer festungsartigen Villa zusammen fest. Die Räume verdunkeln sich zusehends, auch das großzügige Panoramafenster ist letztlich eine unsichtbare Barriere. Polanskis Apartment-Triologie („Repulsion“, GB 1965; „Rosemary’s Baby“, USA 1968; „The Tenant“, USA 1976) klingt an, die Wohnung, das letzte private Refugium, bietet keinen Schutz mehr, es wird zur Falle. Wie tief Lang und seine Entourage in einer solchen sitzen, wird deutlich, als ein Kamera-Hubschrauber direkt ins Wohnzimmer filmt und sich Lang deshalb gleichzeitig im Fernsehen beobachten kann. Ein treffendes Bild für die vergeblichen Bemühungen, den unsichtbaren Mächten Paroli zu bieten, findet Polanski im Gärtner, der bei stürmischen Wind versucht, das Dünengras von der Terrasse zu fegen. Solche abstrus-komischen Momente sind ein Markenzeichen Polanskis seit seinen frühen Kurzfilmen: Das Leben ist absurd. Und es geht nicht gut aus. (dakro)
„The Ghost Writer“, GB/D/F 2010, 128 Min., D-Cinema/35mm Cinemascope, Buch: Robert Harris, Roman Polanksi nach dem Roman von Robert Harris, Regie: Roman Polanksi, Kamera: Pawel Edelaman, Schnitt: Hervé de Luze, Ton: Jean-Marie Blondel, Darsteller: Ewan McGregor, Pierce Brosnan, Kim Cattrall, Olivia Williams, Jemas Belushi u.a.