60. Internationale Filmfestspiele Berlin: Forum

Coole Genre-Reverenz

„Im Schatten“ (Thomas Arslan, Deutschland 2010)

Die spannendsten Thriller dieser Berlinale, das wird manchen überraschen, sind deutschsprachige Produktionen. Während Benjamin Heisenberg im Wettbewerb mit „Der Räuber“ im Mantel des Kriminalfilms das Portrait eines Getriebenen zeichnet, liefert Thomas Arslan mit „Im Schatten“ einen lupenreinen Genrefilm ab.
Trojan (Misel Maticevic) ist kaum aus der Haft entlassen, schon steht er bei seinem ehemaligen Auftraggeber in der Tür. Er hat dicht gehalten und verlangt jetzt nicht mehr als seinen Anteil. Das zieht Ärger nach sich, doch Trojan entledigt sich zunächst souverän der Handlanger seines Ex-Chefs. Sofort macht er sich auf die Suche nach dem nächsten Ding, der Planer bietet ihm einen Raubüberfall auf einen Juwelierladen an. Trojan lässt die Sache platzen, denn seine potentiellen Partner stellen sich als Alkoholiker und Junkies heraus. Stattdessen erzählt ihm die Pflichtverteidigerin Dora (Karoline Eichhorn) von einem Geldtransporterfahrer, der selber abkassieren will. Dora, die sich ungeniert zwischen Justiz und Kriminellenmilieu bewegt, fädelt die Sache ein. Trojan überredet seinen alten Kumpel Nico einzusteigen. Währenddessen wird der korrupte Kriminalpolizist Meyer (Uwe Bohm) auf Trojan und seinen geplanten Coup aufmerksam. Doch er lässt Trojan gewähren, um die Beute erpressen zu können. Auch Trojans Ex-Boss lässt nicht locker. Die Schlinge um Trojan zieht sich zu.
Cooler Genre-Gangster: Misel Maticevic als Trojan in „Im Schatten“ (Foto: Reinhold Vorschneider)
Thomas Arslan inszeniert „Im Schatten“ ohne jegliches überflüssiges Beiwerk, ohne Psychologisierung oder gar moralische Wertung. Seine Protagonisten bewegen sich im Schatten der von normalen Menschen wahrnehmbaren und vom Gesetzbuch geregelten Welt. Dort siegt der Schnellere, der schärfer Kalkulierende. Trojan ist solch ein eloquenter Profi, er macht keine Fehler, kennt keine Zweifel und zögert nicht, zur Waffe zu greifen. Loyalitäten beschränkt er auf ein Minimum. Wenn einer eine Chance hat, in dieser Schattenwelt als Individuum zu überleben, dann Trojan.
Große Vorbilder kommen einem bei diesem Heist-Thriller unwillkürlich in den Sinn. Mit Michael Mann („Heat“, USA 1995) teilt Arslan das Interesse an der kriminellen Profession, der präzisen Arbeit, die nur gelingen kann, wenn sie sorgfältig vorbereitet ist und kompetent sowie konsequent ausgeführt wird. Die Rolle Uwe Bohms als skrupelloser, spielsüchtiger und schon deshalb stets allein agierender Polizist gemahnt an Harvey Keitels „Bad Lieutenant“ (Abel Ferrara, USA 1992). Die Perspektive des frei agierenden Kriminellen verweist möglicherweise auf die Filme von Jean-Pierre Melville, der mit „Le Doulos“ (F 1962), „Le Samourai“ (F 1967) und „Le Cercle Rouge“ (F 1970) wichtige Noir-Filme der 60er Jahre schuf.
„Im Schatten“ trägt jedoch visuell ganz klar die Handschrift seines Regisseurs Arslan und seines Kameramannes Reinhold Vorschneider. Gleich die erste, lange Einstellung auf die verregnete Mohrenstraße während der abendlichen Rushhour kündigt auch ein Stadtportrait an. Ungewöhnliche, weil häufig unspektakulär erscheinende Locations vermeiden das Berlin-Typische, zeigen dafür aber ein anderes Gesicht der Stadt, mit ihren dunklen, kalten Ecken.
Arslans Film „Im Schatten“ ist allerdings nicht kühl, sondern „cool“ im besten Sinne. Eine äußerst gelungene Genre-Reverenz. (dakro)
„Im Schatten“, Deutschland 2010, 85 Min., 35mm (gedreht auf Red One), Buch, Regie: Thomas Arslan, Kamera: Reinhold Vorschneider, Schnitt: Bettina Blickwede, Ton: Andreas Mücke-Niesytka, Darsteller: Misel Maticevic, Karoline Eichhorn, Uwe Bohm, Rainer Bock, David Scheller, Peter Kurth.
Cookie Consent mit Real Cookie Banner