60. Internationale Filmfestspiele Berlin: Berlinale Special
Nieder mit der Dauerwelle!
„Die Friseuse“ (Doris Dörrie, Deutschland 2010)
Kathi König, Friseuse aus Leidenschaft, ist ein Stehaufmännchen. Dank ihres positiven Naturells steckt sie so manches weg und lässt sich nicht unterkriegen. Als sie vom Verhältnis ihres Mannes Micha mit der Nachbarin erfährt, hält sie es nicht mehr im beschaulichen Gräfenhainichen aus und zieht kurzerhand mit Sack und Pack, vor allem aber mit Tochter Julia nach Berlin-Marzahn. Das dortige Leben in der Platte ist ihr vertraut; schließlich ist sie selbst dort aufgewachsen. Das für sie zuständige Jobcenter kann der Friseurmeisterin sogleich eine Stelle vermitteln, im Friseursalon Krieger im Konsumtempel Eastgate. Doch ihr Vorstellungstermin endet mit einem Rausschmiss, denn Kathi ist kurz an Wuchs, bringt aber tendenziell zwei Zentner auf die Waage und ist in den Augen der Inhaberin nicht „ästhetisch“ genug für den Beruf. Kathi wäre jedoch nicht Kathi, wenn sie nicht eine viel bessere Idee hätte: ihren Traum von einem eigenen Salon zu verwirklichen.
Kathi König hat ein reales Vorbild: die Friseuse – ach nein: Friseurin – der Drehbuchautorin Laila Stieler. Doris Dörrie begeisterte sich für den Stoff und führte für „Die Friseuse“ erstmalig bei einem Film Regie, dessen Drehbuch sie nicht selbst verfasst hat. Auch der Ort des Geschehens, das Ostberliner Marzahn-Hellersdorf, war für die Regisseurin zunächst unbekanntes Terrain. Doch in „Die Friseuse“ bringen Dörrie und ihre Crew mit einer grandiosen und körpermutigen Gabriela Maria Schmeide in der Hauptrolle Farbe und Hoffnung in die Plattenbauwüsten. Dabei muss Kathi König im Laufe der Handlung noch mit einigem mehr fertig werden als den familiären Unbillen, den Schwierigkeiten der Existenzgründung und der Tatsache, dass es ihr tatsächlich oft schwer fällt, ihren massigen Körper zu bewegen.
Farbenfroh: Gabriela Maria Schmeide und Natascha Lawiszus in „Die Friseuse“ (Foto: Berlinale)
Durch Dörries Komödie schimmern Realitäten wie Krankheit, Geldsorgen, Generationenkonflikt und Gewalt nicht zu knapp. Doch Kathi lehnt eigentlich nur eines aus tiefstem Herzen ab: die Dauerwelle. In Kathis Frisur-Wunderwerken glänzen vor allem spannende Haarfarben und perfekte Schnitte, und sie kann als mobiler Frisierservice im Altenheim sogar Frau Peters von „Dauerwelle silbergrau“ abbringen. Frisieren als Kunst zu bezeichnen, wäre lapidar: den Einen führt es direkt zur Ekstase, für den Anderen ist es eine Sache von Leben und Sterben – wie man in „Die Friseuse“ in immer wieder einfallsreichen und überraschenden Wendungen zur Genüge erfährt.
Exzellente Darsteller wie Natascha Lawiszus in ihrer allerersten Filmrolle als Tochter Julia und die schnippisch-hilflose Christina Große in der Rolle der kurzzeitigen Geschäftspartnerin Silke kommen ebenso zum Einsatz wie zahllose gekonnt platzierte Überraschungsgäste von Maren Kroymann über Matthias Freihoff bis zu Rolf Zacher. Und sogar den Altkanzlern Willy Brandt und Helmut Kohl kommt jeweils eine dramaturgische Rolle zu; Margot Honecker dient hingegen – bei ihrer Dauerwelle kein Wunder – nur als abschreckendes Beispiel. Kathi hingegen demonstriert, wie aus einer „Frau König“ eine wahre „Königin“ werden kann.
Nachdem Dörries Werk „Kirschblüten – Hanami“ 2008 im Wettbewerb der Berlinale zu sehen war, hatte „Die Friseuse“ 2010 im Rahmen von „Berlinale Special“ Weltpremiere und startet bereits am 18.2. in den Kinos. Möge diesem farbenfrohen Film über die Machbarkeit von Lebensfreude ein fetter Erfolg beschieden sein! (gls)
„Die Friseuse“, D 2010, 100 Min., D-Cinema/35 mm, Buch: Laila Stieler, Regie: Doris Dörrie, Kamera: Hanno Lentz, Uwe Neumeister, Schnitt: Ines Regnier, Frank Müller, Darsteller: Gabriela Maria Schmeide, Natascha Lawiszus, Ill-Young Kim, Christina Große u.a.